Prozess in Freiburg:"Er hat sie wie eine Erwachsene behandelt"

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Bilderabwehr vor Gericht: In einem Freiburger Gericht hält sich ein wegen Kindesmissbrauchs Angeklagter einen Aktenordner mit sehr speziellem Motiv vors Gesicht. (Foto: Patrick Seeger/dpa)

Ein Mann über 50 macht sich eine 13-Jährige gefügig und verschwindet mit ihr - fünf Jahre lang. Ein Gericht hat ihn nun zu einer Haftstrafe verurteilt.

Von Max Sprick

Als Maria H. beim Prozessauftakt Anfang Mai zum ersten Mal wieder auf Bernhard H. traf, würdigte sie ihn keines Blickes. Regungslos hörte sie zu, als H. seine Lebensgeschichte vor Gericht ausbreitete, als er sagte, seine Arme seien "immer offen" für Maria. Bernhard H. ist 58 Jahre alt, Maria H. vor Kurzem 19 geworden. Vor sechs Jahren waren die beiden zusammen verschwunden, erst nach fünf Jahren ohne Lebenszeichen tauchte das Mädchen wieder auf. Nach zweimonatiger Verhandlung ist Bernhard H. nun vom Landgericht Freiburg zu sechs Jahren Haft verurteilt worden, wegen schwerer Kindesentziehung und sexuellen Missbrauchs in mehr als 100 Fällen. Sicherungsverwahrung, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, ordnete das Gericht nicht an. Der 58-Jährige muss aber Marias Mutter Schmerzensgeld in nicht genannter Höhe zahlen.

Maria leide bis heute unter den Taten, erklärt ihre Anwältin Claudia Meng. Trotzdem saß die 19-Jährige im Gericht, sagte selbst aus, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. "Für sie ist es wichtig, aufarbeiten zu können, was ihr widerfahren ist."

Wie verarbeitet eine junge Frau wie Maria H. das Erlebte? Renate Schepker, Regionaldirektorin unter anderem für die Kinder- und Jugendpsychiatrie Weissenau in Ravensburg, sagt am Telefon: "Die direkte Konfrontation ist ein mutiger und sinnvoller Schritt. Es erleichtert die therapeutische Begleitung, wenn jemand in der Lage ist, sich dem Erlebten auszusetzen." Marias Fall sei zwar ein spektakulärer, aber kein Einzelfall. Immer wieder erlebe sie es, dass junge Mädchen sich mit alten Männern einließen oder gar mit ihnen davonliefen.

Er hatte dem Kind eine andere Welt geboten

Am Fall Maria H. lassen sich die Mechanismen nachzeichnen, wie es dazu kommen kann. Maria H. hat im Mai ein TV-Interview gegeben. Sie habe Bernhard im Internet kennengelernt, in ihm einen Helfer und Beschützer gesehen. Wegen schulischer und familiärer Probleme habe sie sich ihm anvertraut. "Er hat ihr eine andere Welt geboten", sagt ihre Mutter Monika B. "Er hat sie wie eine Erwachsene behandelt."

"13-jährige Mädchen finden das natürlich cool", sagt Psychotherapeutin Schepker. Erwachsene Bezugspersonen außerhalb der eigenen Familie seien nicht grundsätzlich ein Problem - sondern "erst einmal sogar gut für das gesunde Aufwachsen. Aber nicht gegen die Eltern, sondern neben ihnen". Dramatisch würde es, wenn ein pädophil geneigter Erwachsener ein Vertrauensverhältnis zum Kind herstelle und dadurch aufrechterhalte, dass er es von der Familie abschotte und eine künstliche Abhängigkeit zu sich herstelle.

Ihre Familie sei eine normale gewesen, sagte Marias Mutter vor Gericht. Bis im Frühsommer 2012 die Polizei geklingelt habe. Dass Maria in Kontakt mit einem älteren Mann stand, habe sie bis dahin nicht bemerkt. Als Monika B. von der Polizei über die Chats und Treffen ihrer Tochter mit Bernhard H. informiert wurde, stellte sie Maria zur Rede. Das Mädchen habe flapsig geantwortet, es habe den Fremden aus dem Internet einfach mal sehen wollen. "Der ist ganz alt und hat einen ganz dicken Bauch."

Die Mutter fragte bei einer Beratungsstelle nach und nahm Maria das Handy ab. Ihre Maßnahme blieb erfolglos, Bernhard H. schickte Maria ein neues Smartphone. Als Monika B. am 4. Mai 2013 merkte, dass Maria weiter in Kontakt mit dem Mann stand, eskalierte die Situation. Maria gab an, bei einer Freundin zu übernachten, doch als Monika B. dort anrief, war das Mädchen weg. Fünf Jahre lang hörte sie nichts von ihrer Tochter, bis sie schließlich freiwillig zurückkehrte. Am 31. August 2018 war das.

Verbote bringen wenig. Nur Reden hilft

Therapeutin Schepker betont, dass sie Monika B.s Verhalten nicht kritisieren möchte, denn diese setzte ja eine klare Grenze. Ganz generell sagt sie: "Verbote bringen in einer solchen Situation weniger, als darüber zu reden - so viel, wie nur geht." Bekämen Eltern mit, dass das Kind Kontakt zu einem viel Älteren hat, müssten sie versuchen herauszufinden: Was sucht mein Kind? Und sie müssten versuchen, mehr am Leben des Kindes teilzuhaben. Schließlich mache der potenzielle Täter genau das Gegenteil: "Er versucht, Elterngespräche zu verhindern." So war es auch bei Bernhard H. "Er war Marias einzige Bezugsperson", sagte Staatsanwältin Nikola Novak. "Er hat ihr den Kontakt zu ihrer Familie verboten."

Offenbar hatte er nicht allzu schweres Spiel, denn in Marias Familie lag, so stellte es sich im Prozess dar, manches im Argen. Zwei Halbschwestern, 34 und 37 Jahre alt, sagten vor Gericht aus. Die eine war laut der Badischen Zeitung mit 13 von zu Hause weggelaufen, weil ihre Mutter sie geschlagen habe. Die andere gab zu Protokoll: "Mit 16 bin ich freiwillig ausgezogen, habe mich beim Jugendamt gemeldet und bin ins Heim gekommen." Sie habe sich "einfach nicht geliebt gefühlt". Auch Maria habe ins Heim gewollt. Da habe die Mutter sie aufgefordert, ihr vom Leben im Heim zu erzählen. Maria habe gesagt, dass sie lieber auf der Straße wohne als zu Hause.

Bernhard H. reiste mit ihr quer durch Europa bis nach Sizilien, wo sie in einer Baracke lebten. Auf seinem Computer fanden die Ermittler 380 kinder- und jugendpornografische Fotos, Tausende Male habe er einschlägige Internetseiten angeklickt.

Als es im Prozess um die Psyche des Familienvaters aus Nordrhein-Westfalen ging, wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen - dem Antrag der Staatsanwältin mit Verweis auf besonderes öffentliches Interesse wurde nicht stattgegeben. Auch die Plädoyers wurden nicht öffentlich gehalten.

Vor dem Prozess hatte Maria H. gesagt: "Ich hoffe, dass ich für mich den Frieden finde mit den vergangenen Jahren und dass es das damit war."

© SZ vom 10.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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