Potsdam:"Hinterlistiger Überfall" auf einen Häftling

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Vor dem Landgericht Potsdam müssen sich 13 Justizvollzugsbeamte wegen Misshandlung eines Gefangenen verantworten.

Philip Grassmann

Es kommt nicht oft vor, dass ein Verfahren vor dem Potsdamer Landgericht wegen des großen Zuschauerandrangs in ein anderes Gebäude verlegt werden muss. In dem Verfahren um die Misshandlung eines Häftlings in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel war der Umzug schon wegen der Anzahl der Angeklagten notwendig.

Vorfälle hinter Stacheldraht: Die Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel ist schon einige Male in die Schlagzeilen geraten. (Foto: Foto: AP)

Seit diesem Montag müssen sich deshalb 13 Gefängnisaufseher im großen Saal des Landesverfassungsgerichts verantworten. Die elf Männern und zwei Frauen im Alter von 37 bis 57 Jahren müssen sich unter anderem wegen schwerer Körperverletzung und Misshandlung von Schutzbefohlenen verantworten.

Wärter mit schwarzen Masken

Wenn stimmt, was die Staatsanwaltschaft ermittelt hat, dann müssen sich in dem Gefängnis der Kleinstadt brutale Szenen abgespielt haben. Die Ermittler gehen davon aus, dass der 43-jährige Hauptangeklagte den Gefangenen Matthias D. vor dessen Zelle zunächst gegen ein Eisengitter gestoßen hat, so dass dieser hinfiel.

Dann, so die Anklage weiter, sei der Mann, der wegen schweren Raubes eine Haftstrafe absaß, von zwei Aufsehern am Boden festgehalten worden, während sich der Hauptangeklagte dem Gefangenen auf die Brust setzte und ihn mehrfach mit der Faust ins Gesicht schlug. Nachmittags gingen die Misshandlungen nach Erkenntnissen der Ermittler weiter. Der verletzte, fast bewusstlose und an den Füßen gefesselte Häftling sei von zwei Aufseher mit einem schweren Schlüsselbund und einem Schlagstock erneut misshandelt worden, während eine Aufseherin und ihr Kollege vor der Zelle Wache schoben.

Doch auch damit war das Martyrium noch nicht vorüber. Am nächsten Tag sei es dann sogar zu einem "hinterlistigen Überfall" gekommen. Der Häftling, der immer noch an den Füßen gefesselt war, habe darum gebeten, zur Toilette gehen zu dürfen. Einer der Angeklagten warf ihm daraufhin den Schlüssel für die Fußfessel durch das Gitter zu. Als der Häftling aufstand, soll einer der Aufseher "Jetzt geht's los" gerufen haben. Daraufhin, so die Anklage, stürmten die Wärter, von denen einige schwarze Masken trugen, in die Zelle, schlugen auf den Häftling ein und verdrehten ihm Arm und Finger. Die Angeklagten, die die Vorwürfe bestreiten, äußerten sich zum Prozessauftakt nicht.

Der Fall hat nicht nur wegen der erschreckenden Vorwürfe Aufsehen erregt. Er wirft auch ein schlechtes Licht auf den gesamten brandenburgischen Justizapparat. Denn das Opfer hatte bereits kurz nach dem Vorfall im Jahr 1999 Anzeige erstattet. Doch die Ermittlungen verliefen im Sande. Erst 2004, also fünf Jahre später, wurde das Verfahren erneut aufgenommen. Das RBB-Magazin "Klartext" hatte zuvor über weitere Misshandlungen in Brandenburger Gefängnissen berichtet.

Dabei ging es etwa um einen herzkranken Häftling, der zunächst zusammengeschlagen und dem anschließend ärztliche Hilfe verweigert worden sein soll. Die damalige Justizministerin Barbara Richstein (CDU) ordnete daraufhin an, dass alle eingestellten Verfahren wegen Misshandlung von Gefangenen erneut von der Staatsanwaltschaft überprüft werden sollten. Allein aus der JVA Brandenburg hatten sich in dieser Zeit 57 Anzeigen angesammelt, aus allen brandenburgischen Gefängnissen summierte sich die Zahl auf 80.

2005 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die 13 Justizvollzugsbeamte. Die Anklage wurde aber erst knapp drei Jahre später, Ende Januar 2008 vom Landgericht zugelassen. Als Grund für die lange Dauer nannte Gerichtssprecher Frank Tiemann die Fülle zu bearbeitender Verfahren, in denen Angeklagte in Untersuchungshaft auf ihre Prozesse warten mussten. Die U-Haft darf nicht länger als sechs Monate dauern.

Die Angeklagten befinden sich auf freiem Fuß. Gegen sie wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, dass jedoch bis zum Prozessende ruht. Vom Dienst suspendiert wurden die Beschuldigten ebenfalls nicht. Sie wurden lediglich so eingesetzt, dass sie keinen unmittelbaren Kontakt mehr mit den Gefangenen hatten. Angesetzt sind zunächst 18 Verhandlungstage.

© SZ vom 19.02.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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