Portugal:Die Hölle im Paradies

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Aus einer Ferienanlage an der Algarve ist ein dreijähriges britisches Kind entführt worden - einiges deutet auf eine Schieberbande hin.

Javier Caceres

Es ist nun schon sechs Tage her, dass Madeleine Beth McCann verschwunden ist. Die Dreijährige war plötzlich nicht mehr da, lag nicht mehr in ihrem Bett im Ferien-Apartment ihrer Eltern an der portugiesischen Algarve.

Am Mittwoch ging die bedrückende Suche weiter - wieder blieb sie ohne Erfolg. Hunderte Polizeibeamte, Nationalgardisten, Feuerwehrmänner und Freiwillige durchkämmten erneut die Gegend um Praia da Luz, dem "Strand des Lichts" an der Atlantikküste; Spuren zu dem entführten Kind fehlen jedoch noch immer.

Prominente Fußballer wie Ronaldo schalten sich ein

Das bestürzende Schicksal von Maddie, wie das Kind mit den großen blauen Augen gerufen wird, hat Engländer und Portugiesen gleichermaßen in Beschlag genommen - und ob der nervenzehrenden Ungewissheit entzweit.

In England schalteten sich die portugiesischen Fußballstars Cristiano Ronaldo (Manchester United) sowie Verteidiger Ricardo Carvalho und Trainer José Mourinho vom FC Chelsea ein. "Wenn Sie irgendeine Information haben, bitte geben sie sie uns. Wir brauchen sie", sagte Ronaldo in einer auf portugiesisch und englisch verbreiteten Fernsehansprache.

Es war Freitagabend, als der Albtraum seinen Ausgang nahm. Gerry und Kate McCann, zwei Mediziner aus Leicester in den Enddreißigern, gingen mit Freunden essen; das Kind ließen sie schlafend in ihrem Zimmer der Ferienanlage namens Ocean Club zurück.

Schlafend aus dem Bett geholt

Gegen 22 Uhr 40, so hat es die portugiesische Polizei rekonstruiert, muss der Täter die Dreijährige aus dem Bett geholt haben - die Tür und ein Fenster standen offen, als die Eltern aus dem nur 50 Meter entfernten Restaurant zurückkehrten und sich ihr Leben in ein unentwegtes Entsetzen verwandelte. Seither kursieren unzählige Gerüchte über die Hintergründe der Tat, eines davon haarsträubender als das andere.

Hunderte Hinweise sind bei der Polizei bisher eingegangen, bei einem falschen Alarm am Dienstag wurden Autobahnen gesperrt. Offenbar deutet einiges darauf hin, dass es sich um eine Auftragsentführung handelt. Eine Schieberbande stecke dahinter, sie entführe Kinder und verkaufe sie im Ausland gegen viel Geld an Adoptiveltern, mutmaßte die seriöse Zeitung Público.

Das Konkurrenzblatt Correio da Manha hingegen berichtete, die Entführung könnte das Werk eines Kinderschänderrings gewesen sein. Britische Medien erinnerten daran, dass vor wenigen Monaten ein Mädchen vergewaltigt wurde, nach dem es von seinem Peiniger aus der Badewanne entführt worden war.

"Wir kommen dem Motiv der Tat näher", sagte Polizeisprecher Olegrio Sousa in einer landesweit in Funk und Fernsehen übertragenen Pressekonferenz. Welches dieses sein könnte, behielt er für sich. Man halte mehrere Ermittlungshypothesen offen, sagte er und wirkte dabei matt und erschöpft.

Der Druck auf die Polizei ist groß

Dies verwundert wenig - und das nicht nur, weil auch er zu den Polizisten zählen dürfte, die nunmehr rund um die Uhr mit der Suche nach dem Kind beschäftigt sind. Wie kein zweiter hat er dem Druck standzuhalten, den nicht nur die um das Image der Algarve fürchtende Tourismusindustrie aufbaut, sondern insbesondere die Medien.

Nicht nur Englands Yellow-Press, auch einige Zeitungen Portugals haben aus dem Fall eine patriotische Angelegenheit gemacht: Pikiert wollte ein portugiesischer Journalist von Sousa wissen, ob die Polizei einen ähnlichen Aufwand betrieben hätten, wenn es sich um ein portugiesisches Kind gehandelt hätte. "Es geht um ein Kind, die Nationalität interessiert nicht", sagte der.

Manch englisches Medium wiederum warf den portugiesischen Behörden Pfusch vor. Der TV-Sender Sky-News nahm einen früheren britischen Polizeikommissar namens Mark Williams-Thomas unter Vertrag, der heute als Privatdetektiv arbeitet und der mittlerweile um britische Spezialisten verstärkten portugiesischen Polizei vorwarf, sie hätte fast 24 Stunden gebraucht, um den Tatort zu sichern.

Dadurch seien womöglich wertvolle Spuren verloren gegangen. Staatspräsident Anibal Cavaco Silva sprang den kompromittierten Beamten bei. "Ich bin mir sicher, dass die portugiesische Polizei in Zusammenarbeit mit internationalen Stellen wirklich alles unternimmt, um das Kind zu finden", sagte er.

"Bitte geben Sie uns unser kleines Mädchen zurück"

Madeleines Mutter Kate hatte sich am schon am Montag an die mutmaßlichen Entführer gewandt. "Bitte machen Sie Madeleine keine Angst und lassen Sie uns wissen, wo wir sie finden können", appellierte die Frau. "Bitte geben Sie uns unser kleines Mädchen zurück." Seither hat sie sich nicht mehr an die Öffentlichkeit gewandt, sondern mit ihrem Mann gebetet.

© SZ vom 10.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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