Gesellschaft:„Vorbild der Versöhnung“: Mevlüde Genç mit 79 gestorben

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Mevlüde Genc nimmt an einem Gebet teil. (Foto: Marius Becker/dpa/Archivbild)

Rechtsextreme werfen in der Nacht des 29. Mai 1993 Brandsätze in das Haus von Familie Genç in Solingen. Fünf Familienmitglieder sterben. Mevlüde Genç ruft schon kurz danach zu Versöhnung auf. Nun ist sie im Alter von 79 Jahren gestorben. Viele Politiker würdigen sie.

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Düsseldorf/Solingen (dpa/lnw) - Sie hat bei dem rechtsextremistischen Brandschlag von Solingen vor knapp 30 Jahren fünf Familienmitglieder verloren und schon kurz danach zu Versöhnung aufgerufen: Mevlüde Genç ist tot. Sie starb im Alter von 79 Jahren, wie die Staatskanzlei am Sonntag mitteilte. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) würdigte Genç als „ein großes Vorbild der Versöhnung“. Wie wenig andere habe sie den Glauben an das Gute im Menschen verkörpert.

„Sie verstand es, den unermesslichen Schmerz, der ihr zugefügt wurde, umzuwandeln in Kraft, um sich für andere Menschen einzusetzen. Sie hat den Hass, die Gewalt und die Missgunst, die ihr entgegenschlugen, als Großherzigkeit und Toleranz zurückgegeben“, unterstrich Wüst. Ihr Vermächtnis und ihr Andenken würden auch durch die nach ihr benannte Mevlüde-Genç-Medaille des Landes Nordrhein-Westfalen weiterleben.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb auf Twitter, Mevlüde Genç werde als „Stimme der Versöhnung“ unvergessen bleiben. Sein Beileid gelte ihrer Familie.

Mevlüde Genç und ihr Mann Durmuş Genç hatten im Mai 1993 zwei Töchter, zwei Enkelkinder und eine Nichte verloren, nachdem Rechtsextremisten Brandsätze in ihr Haus in Solingen geworfen hatten. 17 Familienmitglieder waren dabei schwer verletzt worden.

Solingens Oberbürgermeister würdigte Genç als große Frau mit großem Herzen. Er sei tief traurig als ihn diese plötzliche und unerwartete Todesnachricht erreicht habe, sagte Tim Kurzbach (SPD) am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. „Genauso wie wir in Solingen eben auch alle traurig sind, weil wir sie immer in Erinnerung haben, als die Frau, die in der dunkelsten Stunde unserer Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg uns zu Freundschaft aufgerufen hat“, betonte er.

„Und wenn diese große Frau mit ihrem großen Herzen, das jetzt aufgehört hat zu schlagen, von uns gegangen ist, ist ein Gefühl der großen Leere und auch der großen Trauer, was in mir und in uns herrscht“, unterstrich der Oberbürgermeister. Genç würdigte er als Inbegriff einer Mutter. „Aber sie war eben auch eine große Frau, weil sie diese mütterliche Art auch übertragen hat, selbst da, wo es zum Schlimmsten für ihre Familie gekommen ist, allen die Hand zu reichen. Und das hat sie tief ausgezeichnet“, erklärte Kurzbach.

„Nordrhein-Westfalen verliert ein Vorbild für das friedliche und tolerante Miteinander“, erklärte Landtagspräsident André Kuper. „Sie ist Hass und Gewalt mit Vergebung und Liebe entgegengetreten“, sagte er. Die Größe, mit der sie Schmerz und Trauer in Vergebung gewandelt habe, bleibe - auch über ihren Tod hinaus. Er kündigte an, dass der Landtag Genç am Mittwoch mit einer Schweigeminute gedenken werde.

SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty erinnerte an die mahnenden Worte von Genç. „Ihr Satz „Liebe lässt den Menschen leben, aber der Hass bringt den Tod“ wird eine Mahnung bleiben. Wir verneigen uns vor Mevlüde Genç und wünschen ihren Angehörigen viel Kraft in diesen schweren Stunden“, erklärte Kutschaty, der auch SPD-Landeschef ist.

Auch die NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) gedachte Genç: „Zeit ihres Lebens hat Mevlüde Genç zu Toleranz und einem friedlichen Miteinander zwischen den Kulturen aufgerufen. Dafür gebührt ihr mein Dank und der unserer gesamten Gesellschaft.“

Für ihren unermüdlichen Einsatz um Versöhnung bereits kurz nach dem Attentat erhielt Genç das Bundesverdienstkreuz. Die NRW-Landesregierung stiftete bereits 2018 ihr zu Ehren eine Mevlüde-Genç-Medaille. Sie wird jährlich rund um den Jahrestag des Brandanschlags von Solingen am 29. Mai verliehen an Personen, die sich um Versöhnung, Toleranz und Zusammenhalt verdient gemacht haben.

© dpa-infocom, dpa:221030-99-319280/5

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