"Pax mafiosa" auf Sizilien gefährdet:Mafia findet Staat zu lax

Lesezeit: 2 min

Überraschung beim Abhören von Mafiabossen: Die "Ehrenmänner" der Cosa Nostra beklagen, dass der Staat zu nachlässig mit Kriminellen umgehe.

Stefan Ulrich

Als italienische Fahnder unlängst zwei Mafiosi aus der Gebirgsregion Madonie bei Palermo abhörten, muss es ihnen in den Ohren geklingelt haben. Denn die Cosa Nostra ist offenbar stocksauer auf den Staat.

Die Fahndung nach Bernardo Provenzano, Boss von Siziliens Cosa Nostra - inzwischen sitzt Provenzano ein (Foto: Foto: AFP (Archivbild))

Sie wirft der Regierung in Rom vor, zu nachsichtig mit Kriminellen umzugehen. Die "Schwäche des Staates" gefährde die Sicherheit der Sizilianer, klagten die beiden "Ehrenmänner". Also müsse nun wieder einmal die Mafia für Zucht und Ordnung sorgen.

Tatsächlich hatte die Regierung vergangenes Jahr Abertausende Straftäter vorzeitig entlassen, um die Gefängnisse des Landes zu entlasten. In der Folge machten sich etliche Freigelassene wieder ans Werk.

"Beschissene Situation"

"Das Problem der Diebe hat es ja immer und überall gegeben", klagte einer der Mafiosi. "Nun aber, mit diesem Straferlass, sind wir ruiniert." In Palermo herrsche eine "beschissene Situation". "Apotheken, Supermärkte - sie alle haben keine Ruhe mehr."

Die Empörung der Dunkelmänner ist wohl echt. Schließlich sieht sich die Cosa Nostra als Ordnungsmacht auf Sizilien. Im Gegensatz zur Camorra Neapels hält sie auf straffe Organisation und eine auf ihre Weise disziplinierte Herrschaft über Land und Leute.

Der rechte Weg

Wer den "Pizzo", das Schutzgeld, zahlt, der soll dafür auch Sicherheit vor Räubern und Dieben bekommen. Manche der entlassenen Kleinkriminellen aber scheinen derzeit auf eigene Faust zu agieren und sogar zu versuchen, jenseits des Mafia-Systems Schutzgelder zu erpressen. "Man muss ihnen den Kopf abreißen", meinte einer der belauschten Mafiosi. "So geben wir allen ein Signal. Das ist der rechte Weg."

Der Staat konnte nun natürlich nicht warten, bis die Cosa Nostra zur Selbstjustiz schreitet. Daher griffen die Fahnder am Wochenende zu und nahmen neun Mafia-Bosse fest.

Bei den Razzien stießen die Ermittler auf einen unverhofften Schatz: Papiere, die ihnen bei der Entschlüsselung jener kleinen Zettelchen helfen, mit denen der im vergangenen Frühjahr gefasste oberste Mafiaboss Bernardo Provenzano mit seinen Untergebenen kommunizierte. Seit dem Wochenende können die Staatsanwälte nun mit Sicherheit etliche Namen von Mafiosi jenen Zahlen- und Buchstaben-Kombinationen zuordnen, die Provenzano für seine Vertrauten verwendete.

Demnach soll sich hinter "Aless parente 121" der Boss der Stadt Trapani, Matteo Messina Denaro, verbergen. "30 gr" bezeichnet den Capo von Palermo, Salvatore Lo Piccolo.

Denaro und Piccolo gelten als mögliche Nachfolger des lebenslang einsitzenden Provenzano. Doch ist unklar, ob die Cosa Nostra weiter so hierarchisch geführt werden wird wie unter dem alten Boss der Bosse.

Manche Ermittler vermuten, sie könnte in Territorien mit unabhängigen Anführern zerfallen. Andere warnen vor einer Wiederholung der Mafia-Kriege, wie sie in den Achtzigern vor Provenzanos Machtübernahme tobten.

So wurde im Juni ein aufstrebender Gebietschef der Mafia in Palermo auf offener Straße mit sechs Schüssen in Kopf und Brust ermordet. Dies könnte der Auftakt eines blutigen Machtkampfes sein.

"Dieses Verbrechen ist ein sehr schlimmes Zeichen", sagte der Polizeichef von Palermo. Staatspräsident Giorgio Napolitano warnte: "Die Mafia erhebt wieder ihr Haupt." Zugleich erlahme der Staat in seinem Kampf gegen das Organisierte Verbrechen, kritisiert der oberste italienische Anti-Mafia-Staatsanwalt Piero Grasso.

Laxe Gesetze würden den Mafiosi helfen, zu schnell aus dem Gefängnis zu kommen. Wenn nun auch noch, wie in Italien diskutiert, die lebenslängliche Haftstrafe abgeschafft werde, drohe ein "Mafiakrieg von unermesslichen Ausmaßen". Mit der Pax mafiosa unter Provenzano wäre es dann vorbei. Vielleicht sagte der Boss der Bosse deshalb bei seiner Festnahme zu den Fahndern: "Ihr wisst ja nicht, was ihr da tut."

© SZ vom 25.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: