Otto Waalkes:Abgefahren und angekommen

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Unverwüstlich, zappelig, süchtig nach Lachern - wie es ausgerechnet dieser Ostfriese seit 30 Jahren schafft, eine große Nummer zu sein.

Von Harald Hordych

München, 27. Oktober - Mutter und Kind wiegen sich wie Halme im Wind, sie werfen die erhobenen Arme hin und her. Die beiden singen aus voller Kehle: "Dänen lügen nicht!" Sie singen nicht alleine, der ganze Saal singt, und jetzt ruft Otto Waalkes mit der Geste eines verrückt gewordenen Dirigenten: "Schakale!" Und schon heulen alle wie Schakale. So wie sie vorher auf Ottos Geheiß Geräusche gemacht haben, wie sie nur Brechmöwen machen. Und niemand unter den 2000 Zuschauern hielt sich zurück. Otto, der die Generationen vereint.

Otto Waalkes im Bayerischen Hof in München: "Mein Publikum hat sich verändert. Es ist viel breiter geworden." (Foto: Foto: Jörg Buschmann)

Die Leute haben Otto gesehen. Den Otto, den sie seit 30 Jahren zu Hause in der Platten-Sammlung haben, den Otto aus dem Fernsehen, damals bei den Otto-Shows, später im Kino in "Otto, der Film" und "Otto, der neue Film" und "Otto der Außerfriesische". Und weil ihnen das alles so gefallen hat, haben viele ihre Kinder mitgebracht. Nina ist acht. "Gut", sagt die Kleine auf die Frage, wie sie den Abend fand. Ihr Vater ruft, bewegt nach Worten suchend: "Umwerfend!"

Otto Waalkes aber sagt: "Waren nicht unglaublich viele Kinder da? Können die denn überhaupt die Witze verstehen?" Damit beginnt das Gespräch in der so genannten Empore des Bayerischen Hofs in München: mit blanker Koketterie - könnte man meinen, denn schließlich hat Otto das Verteilen der von ihm entworfenen Ottifanten-Plüschtiere an die Kinder in sein Programm eingebaut.

Er weiß also, dass die Marke Otto längst ein Familienprogramm ist. Trotzdem wundert sich Waalkes mit treuherzigem Augenaufschlag: "Wahnsinn, was da nachwächst!" Die Feststellung bedeutet nichts anderes als: Das läuft ja super!

Womit wir beim Thema sind. Beim Phänomen Otto Waalkes. Der Komiker ist nicht allein in den Salon gekommen. Als Waalkes den in Blau gehaltenen Raum mit den goldgerahmten Spiegeln und den schweren Teppichen betritt, begleitet ihn so etwas wie der Otto-Hofstaat, gebildet aus Tour-Management, Filmverleih-Mitarbeitern und seinem Geschäftspartner, dem Schriftsteller Bernd Eilert.

Mit ihm zusammen hat Waalkes das Programm geschrieben. Auch das Drehbuch für den an diesem Donnerstag startenden Kino-Film "7 Zwerge" hat Eilert mitverfasst - wie die Drehbücher für die anderen fünf Filme. Die beiden wirken selbst wie ein Komiker-Duo: Eilert ist groß und etwas betulich. Otto ist klein und etwas zappelig.

86 Auftritte wird Otto Waalkes in diesem Jahr bis Anfang Dezember haben. Die meisten davon in großen Sälen, die meisten davon ausverkauft, in der ganzen Republik, in der Schweiz und in Österreich. Das findet selbst Otto erstaunlich, denn es gibt ihn als Komiker nun schon seit mehr als 32 Jahren.

Fast 20 Jahre liegt sein größter Kinoerfolg zurück: "Otto, der Film" ist noch immer der erfolgreichste deutsche Film aller Zeiten - wenn man die Kinobesucher aus der DDR dazurechnet, sahen 14,5 Millionen Deutschen seinen Erstling. In das fünfte Werk, "Otto der Katastrophenfilm", allerdings mochten nur noch etwas mehr als eine Million gehen. Und doch funktioniert das "Prinzip Otto" noch immer. "Es ist doch sehr schön, dass ich älter werden kann und die Leute immer noch mögen, was ich mache", sagt Waalkes schlicht.

Und es stört ihn nicht im Geringsten, dass alle Leute sagen, er sei immer der Gleiche geblieben. Auch die Zuschauer im Circus Krone sagen das. Alle, die man fragt, darunter viele junge Leute, betonen immer wieder, dass es ihnen Respekt abnötigt, dass Otto die gleichen Witze immer noch so gut wie früher bringt.

Sie wollen keinen anderen - auch wenn dieser Mann mittlerweile 56 Jahre alt ist, eine geschiedene Ehe hinter sich hat und von seinem 17-jährigen Sohn getrennt lebt. Bei ihm haben die Leute immer was zu Lachen. Bei seinem letzten Programm haben Otto und sein Autor Eilert 210 große Lacher gezählt. Das macht bei 20 Programmen mehr als 4300 Gags.

Ja, aber irgendetwas muss doch passiert sein, in all den Jahren? "Mein Publikum hat sich verändert. Es ist viel breiter geworden. Früher hatte ich nur den studentischen Zirkel", sagt Waalkes, der sich wahlweise Breitenkomiker oder Volkskomiker nennt und viel besser ins Teezimmer des Bayerischen Hofes passt als auf die Couch der Fernsehsendung Wetten dass.

Bei der letzten Gottschalk-Sendung war er in Berufskleidung erschienen: in Turnschuhen und viel zu weiten Trainingshosen, die man mühelos unter die Achseln ziehen kann. So tritt er auch im Circus Krone auf, ein altersloses Kind mit Halbglatze, das virtuos alte und neue Nummern mischt.

Auf der Gottschalk-Couch saß Waalkes neben Weltstar Sofia Loren und Udo Jürgens - und wirkte da wie ein Blödian. Wieviel Otto darf es sein, um nicht zu langweilen? Wieviel seriöser Waalkes muss es sein, um nur ja niemandem die Show zu stehlen? "Ich musste mich wirklich beherrschen, keine Faxen zu machen", sagt Waalkes. "Wetten dass ist ein Ritual. Das bricht man nicht. Da ist Thomas der Gott und der kleine Otto darf still in der Ecke sitzen. Im Grunde finde ich Wetten dass genau so anstrengend wie früher den Kindergottesdienst." Tatsächlich hatte Waalkes Mühe, nicht aus einem interessierten Blick eine Fragefratze zu machen.

Dieses Problem hat Waalkes im Bayrischen Hof nicht. Der Sohn eines Malermeisters, der in dem Emdener Arbeiterviertel Transvaal aufgewachsen ist, trägt Cordhosen und einen leichten Wollpullover, alles Brauntöne, schön aufeinander abgestimmt. Er passt in dieses schicke Ambiente. Er hat sich für Otto Waalkes den Unterhaltungsprofi entschieden.

An diesem Morgen nach dem Auftritt im Circus Krone hat er zunächst ein müdes, faltenreiches Gesicht, aber sobald er spricht, ist in jeder Falte dieses freundliche Leuchten, das wir jetzt in der neuen bio-physikalischen Einheit "Otton" messen wollen. Eine Art Spaß-Kraft, die Gedanken und Sorgen einfach in Windeseile zerstreut und ein angenehm wohliges Gefühl erzeugt, das auch die Besucher seines Solos als Nachhall ihres Gelächters mitgenommen haben dürften. Angetrieben von der Macht des Ottons. Zerstreuung ist ein altes deutsches Wort für Unterhaltung.

Waalkes mag kein Mann der großen Worte sein, aber er ist ein Mann der schnellen Rede. Er spielt sich nicht auf, aber er könnte alle mit seinen Geschichten an die zartblau gestrichene Wand im Bayerischen Hof spielen, wenn er in Fahrt kommt. Wehe, bestimmte Fragen gehen ihm zu weit, da erweist er sich als Meister der Flucht in die rasante Anekdote und all die Nummern, die er im Schlaf abziehen kann.

Mit der Frage, ob sich denn für ihn, den Immergleichen, wirklich nichts geändert hat, holt man ihn aus einer dieser furiosen Darbietungen zurück: "Doch", sagt er leise. "Die Leute sagen immer wieder: ,Otto, du bist damals viel politischer gewesen'." Und Eilert ergänzt prompt: "Erinnerung verklärt!"

"Ja", sagt Otto, ,,damals soll ich schärfer, politischer gewesen sein. Aber womit denn? Mit ,Es wird Nacht Senorita'?" Otto pfeift, wie nur Otto pfeifen kann, ein Pfeifen, das wie huhu und hihi und Körperkontakt zugleich klingt. ",Ja genau!' sagen die Leute dann. "Ja!" fügt Waalkes glucksend, hüpft im Sessel hoch und sagt: "Das also war der politische Tabubruch! ,Es wird Nacht Senorita'!"

Und nun sagt auch Bernd Eilert wieder etwas, der Humorist, auf dessen Anwesenheit Otto bei Interviews besteht. Eilert erklärt bedächtig, ein bisschen wie ein netter Märchenonkel, dass nicht Otto anders war. Die Zeiten waren es. "Das war ja alles so einfach damals. Die Hemmschwelle war so niedrig. Es genügte, einen Pfarrer zu parodieren. Das allein hatte schon das Zeug zum Skandalon."

Wo denn die Übelnehmer und Sinnstifter von einst geblieben wären? Heute könnten Männchen und Weibchen die Kutten voreinander hochheben, und kein Mensch würde daran Anstoß nehmen.

Wer heute den Familien-Otto erlebt, der vergisst leicht, dass dieser Otto Anfang der Siebzigerjahre Teil einer erstaunlichen Komik-Revolution war, die vom salonfähigen Moderatoren-Witz eines Hans-Joachim-Kulenkampff und vom soliden Kabarettisten-Vortrag zur sinnfreien Albernheit führte.

Der mit der Gitarre auftretende Kunstpädagogik-Student Otto Waalkes, der irgendwann merkte, dass seine Anmoderationen besser ankamen als seine Lieder, wurde zum wichtigsten Interpreten der so genannten Neuen Frankfurter Schule, der Gründer der Satire-Zeitschrift Titanic. Dazu gehörten Dichter und Zeichner wie Robert Gernhardt, F.K. Wächter, Peter Knorr - und eben Bernd Eilert. Männer, die des deutschen Bildungsbürgers liebstes Kind, den Reim, zum Spielfeld von sinnfreien Ferkeleien und Blasphemien machten. Freundliche Blödel-Revoluzzer allesamt.

So kam es, dass Otto Waalkes dies zum Vortrag bringen konnte: "Lieber Gott, gib doch zu,/ dass ich klüger bin als du./ Und nun nimm doch endlich hin,/ dass ich was Besondres bin." Das klingt heute leicht betulich, aber damals war das ganz schön frech. Aber da er selbst richtige Gemeinheiten vortrug wie ein Kind, konnte ihm keiner böse sein.

Aus einer Kleinstadt kam er - wo die Leute "Morgen Otto, morgen Tante Helga" sagen. Von dort verschlug es ihn nach Hamburg, in diese Riesenstadt, in der die Leute in der U-Bahn nicht miteinander redeten und auf der Straße einfach aneinander vorbeigingen. "Ich fühlte mich völlig verloren und hatte eine totale Identitätskrise."

Plötzlich konnte er sich in kleinen Klubs mit seinen Auftritten ein bisschen definieren und sagen: "Hallo, Leute, tut mir nichts!" Otto Waalkes blickt ganz ernst drein, als er sagt: "Ich wollte nur meinen Lebensstil in die Öffentlichkeit transportieren. Ich spielte keine Rolle!" Warum Robert Gernhardt, Peter Knorr und Bernd Eilert über viele Jahre Texte ausgerechnet für dieses "ungezogene Kind der 68er" (Spiegel) schrieben?

Den ersten Schritt habe er getan, erzählt Otto, weil er die Texte der Herren kannte, aus dem Satireblatt Pardon zum Beispiel. Aber den zweiten taten die Herren selbst: Sie blieben bei Otto, "weil wir damals ohnehin keine Auswahl hatten", sagt Eilert und breitet die Arme aus. "Es gab nur einen Stand-up-Comedian mit diesen musikalischen Fähigkeiten."

So wurde Waalkes zum Popstar der deutschen Komik und zum Stammvater der vielen Comedians. Während seine jungen Kollegen sich aber teilweise sehr aggressiv die vermeintlichen Schwächen ihrer Mitmenschen vornehmen oder sich dem realen Leben zuwenden, macht Otto noch immer Sachen, die Erwachsene nicht tun. Wie ein Hund bellen. Wie eine Möwe kotzen. Mit einem Gesicht alle Gesichter der Sänger der Comedian Harmonists nachahmen. In seinen Fremdsprachen-Verballhornungen wird "e-mail" zu Emil. Otto ist ein Clown. Deshalb passt er perfekt in den Circus Krone.

Wenn man die Leute an diesem Abend nach Waalkes fragt, dann sagen sie, er gehe so nett mit dem Publikum um. "Sehr sympathisch", sei er, "lieb". Die Leute wissen, dass Clowns niemandem weh tun. Als Otto in München eine Sahnetorte ins Publikum schießt, wartet unten schon ein Mitarbeiter mit einem Handtuch, um den Getroffenen sauber zu wischen. Er kann eben nicht böse zum Publikum sein.

Um das besser zu verstehen, muss man wissen, dass Waalkes aus einer Familie stammt, in der sich die Eltern geliebt haben, wie er sagt. Wo der ältere Bruder und er Weihnachten "gemeinschaftlich gesungen" haben. Das war so viel heile Welt", sagt Otto und guckt selbst unglaublich lieb, "dass es eigentlich fast zum Kotzen war. Aber für mich war es wunderbar. Ich hab mich da so wohl gefühlt."

Nun hat Otto Waalkes die Comedians zu seiner heilen Film-Familie gemacht. In dem von ihm mitproduzierten Film "7Zwerge" wollte er zum ersten Mal eine richtige Geschichte erzählen. Sie ist schnell wiedergegeben: Die sieben Zwergen sind eine Clowns-Truppe. Alle hauen sich ständig aus Spaß gegenseitig Holzbretter vor den Kopf. Es liegt nahe, dass alle Zwerge erwachsene Männer sind, mehr oder weniger dämlich, aber Männer. Einer heißt Bubi. Immer wenn er einen hämmernden Schlag auf den Hinterkopf bekommt, lacht er wie ein Kaninchen, das jemand an den Ohren zieht. Natürlich wird Bubi von Otto gespielt.

Otto, das ewige Kind? Will er denn noch mit 70 der Bubi sein, der sich auf den Kopf hauen lässt? Otto denkt nicht nach, sondern sagt sofort: "Wer legt denn fest, wie lange man Kind sein darf?"

Jetzt sollen Fotos gemacht werden, was einer Einladung für eine Serie von Miniaturgags gleichkommt. Er freut sich über jedes Grinsen. Wenn ihm die Leute auf der Bühne zujubeln, dann wirkt das auf ihn wie eine Droge, hat er vorher gesagt. "Das ist so ungeheuerlich, du wirst süchtig danach, du brauchst es."

Draußen vor dem Hotel, für das letzte Foto, zieht Otto Waalkes noch eine peruanische Zipfelmütze über seine zotteligen Haare, obwohl er schon eine Kappe trägt. Genau genommen verkleidet er sich. Aber sofort winkt ihm ein elegantes Paar zu, mit einem lieben, zugegeben, leicht dümmlichen Gesichtsausdruck. Otto winkt zurück. Dann tritt ein junger Mann hinzu, fragt, ob er Otto fotografieren darf. Er darf. Ob ihn, vielleicht, jemand mit Otto zusammen aufnehmen könne? Das geht. Und, kaum wieder im Besitz der Kamera, bittet der junge Mann um ein weiteres Foto: "Herr Waalkes, bitte, nur eine Grimasse!"

Also macht Otto eine Grimasse wie ein Kaninchen, das jemand an den Ohren zieht.

© SZ vom 28.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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