Ostdeutschland:Vision vom Land der tausend Seen

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Jahrzehntelang wütete im Süden Leipzigs der Tagebau - nun entsteht dort eine einzigartige Gewässer- und Kanallandschaft.

Von Stephanie von Aretin

Noch liegen viele Leipziger Kanäle ausgedorrt unter einer Asphalt- oder Grasdecke. Fledermäuse haben in den unterirdischen Röhren ihr Quartier bezogen.

Nur die zuweilen bizarre Linienführung der alten Gründerzeitfassaden erinnert an die Wasserläufe, die einst die Leipziger Tieflandbucht wie ein Spinnennetz überzogen. Sollte eine Vision wahr werden, brauchen die Leipziger bald weder Auto noch Rad, um ins Grüne zu gelangen.

Sie steigen einfach von der hauseigenen Anlegestelle in ein ultraleichtes Boot und gleiten fast ohne Wellenschlag mit Gas-, Strom- oder Solarenergie ins Freie. Durch den verwunschenen Auenwald geht die Fahrt zum Cospudener See an der Stadtgrenze und von dort weiter über eine Kette von Seen bis tief in den Landkreis Leipziger Land.

Leipzig als Stadt der tausend Seen klingt utopisch, ist aber nicht so fern. Denn am Floßgraben, der die Stadt mit dem Südraum verbindet, wird bereits gebaggert. Und dem 436 Hektar großen Cospudener See, der mal ein Tagebauloch war und mit Grundwasser geflutet wurde, sollen bis 2050 noch 16 andere Kohlekrater folgen.

"Wohlgeformt wie ein Frauenbein"

Als nächstes wird 2006 der Markkleeberger See fertig - mit 250 Hektar der kleinste im Südraum. Das passende Boot zum Schippern auf den neuen Gewässern wird bereits entwickelt: Derzeit berechnen Ingenieure der Uni Rostock die Idealmaße des Gefährts, das "wohlgeformt wie ein Frauenbein" empfindliche Uferböschungen durch sanften Wellenschlag schonen soll.

Vor 14 Jahren noch fraßen sich dort, wo heute ein einzigartiger Gewässerverbund Form annimmt, die Schaufelräder der Kohlebagger in den Boden. Der Südrand von Leipzig war erreicht, ein Teil des Auenwaldes bereits abgeholzt.

"Die Kohleförderung ging nach Plan weiter, obwohl die alten SED-Kader bereits abgetreten waren", erinnert sich mit Niels Gormsen einer derer, die sich das mit der Wasserlandschaft ausgedacht haben. Bürgerinitiativen stoppten schließlich die Bagger im Tagebau Cospuden.

Wenige Kilometer weiter blieb auch Dreiskau-Muckern stehen, dessen Einwohner die heute denkmalgeschützten Dreiseitenhöfe bereits verlassen hatten.

Insgesamt wütete der Tagebau südlich von Leipzig auf einer Fläche von etwa 250 Quadratkilometer. Der Grundwasserspiegel wurde über Jahrzehnte abgesenkt - nicht nur die Tagebaulöcher blieben so trocken, auch die Leipziger Kanäle.

Schon kurz nach der Wende stand fest: Die Braunkohleförderung in Mitteldeutschland und der Lausitz wird größtenteils eingestellt, Reste privatisiert.

Leipzig über Wasserwege mit dem Umland verknüpfen

In einem Bund-Länder-Abkommen stellte der Bund bis 2007 etwa 8,2 Milliarden Euro bereit. Geld, mit dem die bundeseigene Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) nicht nur weit über den Südraum hinaus 224 Restlöcher saniert, sondern auch Entwässerungskanäle rekultiviert.

In der Kommunalpolitik entstand irgendwann der Vorschlag, die Tagebausanierung mit einem Gewässerverbund zu koppeln. Heißt: Die alte Idee wiederzubeleben, Leipzig über Wasserwege mit dem Umland zu verknüpfen. Bereits im 19. Jahrhundert versuchten Fabrikanten, die Messestadt über die Saale an die Weltmeere anzubinden - der endgültige Durchstich gelang jedoch nie.

Auch heute gibt es Hindernisse für das gigantische Projekt. Denn was Regierungspräsident Walter Christian Steinbach einmal das "größte Landschaftsbaugebiet der Welt" nannte, ist entvölkert: Auf 450 Quadratkilometer wohnen nur noch 110.000 Menschen.

110.000 Menschen auf 450 Quadratkilometern

Während die Liste der künftigen Seebäder kurz ausfällt, ist die Reihe der Orte, die dem Kohleabbau zum Opfer fielen, umso länger: Geschwitz, Magdeborn oder Gruna sind Namen, die heute nur noch in der Ausstellung "Verlorene Orte" auftauchen.

Die Stadt Markkleeberg, südlicher Nachbar von Leipzig, hat eine Besucherprognose aufstellen lassen. Ergebnis der Berechnung: Nur etwa 210.000 Besucher im Jahr sind aus dem weiteren Einzugsgebiet am Markkleeberger und dem angrenzenden Störmthaler See zu erwarten.

Fazit des Untersuchungsbüros: Touristen müssen auch aus fernen Städten angelockt werden, damit sich das Projekt Seenlandschaft überhaupt lohnt.

Denn Geld fehlt an allen Ecken bei den Träumen vom Venedig im Osten. "Die meisten Kommunen sind zu klein, um Seen und Kanäle allein zu unterhalten", sagt Steffi Raatzsch, Geschäftsführerin vom Kommunalen Forum Südraum Leipzig.

Sie hofft, dass der Freistaat einige der Seen in seine Obhut nimmt und weitere Partner einem Verbund beitreten. Mehr als 20 Schleusen und Wehre sind notwendig, damit das Leipzig-Boot im südlichen "Neuseenland" ankommt.

Eine erste Schleuse, die den Cospudener See mit dem benachbarten Waldbad Lauer verbinden wird, ist im Bau.

© SZ vom 15.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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