Olympia:Rote Ampeln in Athen

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Deutsche Firmen regeln den Verkehr während der Olympischen Spiele in Griechenland - mit ausgeklügelter Computetechnik gegen das drohende Chaos.

Von Hubert Filser

Kaum hatte Griechenland die Europameisterschaft im Fußball mit ihrem deutschen Trainer gewonnen, da brach der Verkehr in Athen zusammen. Auch das beste Verkehrsleitsystem der Welt hätte nichts mehr ausrichten können. In 36 Tagen beginnen die Olympischen Spiele in Athen, zwei Millionen Besucher werden in der Fünf-Millionen-Metropole zusätzlich erwartet. Eine echte Herausforderung für Verkehrsforscher. Vor allem für deutsche. Denn die zentrale Technik wird von deutschen Firmen koordiniert.

Vor vier Jahren ist ein Konsortium deutscher Firmen und Forschungseinrichtungen mit dem Projekt "Eye in the Sky" angetreten, um das Chaos der griechischen Hauptstadt in den Griff zu bekommen. Keine leichte Aufgabe. Die Verkehrsverhältnisse dort als chaotisch zu beschreiben, wäre geradezu verniedlichend, denn auf Athens Straßen regiert der Wahnsinn: Dauerhupen, halsbrecherische Spurwechsel, unglaublicher Gestank.

Himmelsauge gegen den Stau

Fragt man einen Verkehrsforscher, wie er die Verkehrssituation dort empfinde, erntet man ein verzweifeltes Auflachen. "Auf einer dreispurigen Straße stehen die Autos in Fünferreihen nebeneinander", sagt zum Beispiel Anko Börner vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Könnte man dem südländischen Chaos mit deutscher Technik Herr werden? "Doch, doch", sagt Börner. "Aber natürlich bräuchten wir Zeit, unser System auf Athener Verhältnisse anzupassen."

Mit Kollegen von der DLR hat er ein System entwickelt, bei dem eine Kamera von einem Hubschrauber aus 800 Metern Höhe automatisch die Verkehrsdichte aufnehmen kann - in Echtzeit. Die Luftbilder vom "Himmelsauge" werden auf eine digitale Karte der Stadt übertragen und automatisch ausgewertet. Die digitale Karte von Athen hat ein griechischer Partner entwickelt.

Dazu seien mit GPS ausgestattete Fahrzeuge die Straßen abgefahren und hätten so quasi mit elektronischer Hand einen exakten Stadtplan gezeichnet, erzählt Börner. "Das ist wichtig, weil die digitale Karte bis auf wenige Meter genau sein muss, sonst passen Luftbild und digitales Bild nicht zusammen."

In der vergangenen Woche hat das Konsortium sein von der EU mit vier Millionen Euro gefördertes Projekt erstmals der Weltöffentlichkeit vorgestellt - im weniger chaotischen Berlin. Dieses System verfolgt eine Doppelstrategie: Zum einen übermitteln speziell ausgerüstete Fahrzeuge während der Fahrt minütlich Streckeninformationen wie Geschwindigkeit und Reisezeit an eine Verkehrszentrale. Die Position lässt sich dabei über das Satellitennavigationssystem GPS ermitteln, und die Daten gelangen per SMS an die Verkehrszentrale.

Lassen die Daten auf Verkehrsbeeinträchtigungen schließen, erkundet zum anderen der Hubschrauber mit der DLR-Spezialkamera die Situation aus der Luft. Der Hubschrauber meldet die Verkehrsdichte.

Luftbild komplettiert das Puzzle

Jede dieser Informationen allein würde nur ein unvollständiges Bild liefern. Meldete ein Auto etwa, dass es stehen geblieben ist, könnte das Stau bedeuten oder aber, dass es an einer roten Ampel warten muss - eine normale Verkehrssituation also. Erst das Luftbild liefert den ergänzenden Überblick.

Dieser Doppel-Einsatz lässt sehr aktuelle Verkehrsprognosen zu. "Die Daten sind nicht älter als maximal 15 Minuten", sagt Werner Schönewolf vom beteiligten Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik. Mit den Daten ließen sich daher Ampelanlagen steuern, und Verkehrsredaktionen im Rundfunk und Navigationssysteme könnten die Daten an Autofahrer weitergeben, die den Stau umfahren sollen.

Um ein komplettes Stadtgebiet mit der so genannten FCD-Technik (Floating Car Data) zu erfassen, müsste ein Prozent der Autos aus funkenden Einsatzfahrzeugen bestehen. Konzentriert man sich auf die wichtigsten Routen, also etwa Ausfall- und Ringstraßen oder in Athen auf das olympische Straßennetz, reduziert sich der Aufwand deutlich.

Als Richtwert gilt: Für 25 Kilometer braucht man etwa zehn Fahrzeuge, die ständig eine feste Route befahren. Eine Stichprobenflotte könnte so eine Verkehrsprognose erstellen. "Wie bei den Wahlen", sagt Ralf Willenbrock von der am Projekt beteiligten Firma Gedas.

Dröhnend hebt der Hubschrauber bei Präsentation vom Berliner Flughafen Tempelhof ab, Richtung Siegessäule und Regierungsviertel. Der Monitor an Bord zeigt die Luftbilder. Straße des 17. Juni, rechts der Reichstag, in der Ferne der Potsdamer Platz und der Fernsehturm. Nach dem Start fährt die Sendeantenne an den Kufen des Helikopters aus. Die Computer, alles Protoypen, sind aufeinandergepackt und mit Seilen auf dem Rücksitz festgezurrt. Durch die offenen Fenster laufen Kabel zu einer Antenne, die die Bilder der Kamera zu Boden senden.

Bis zu zehn Kilometer beträgt dieReichweite dieser Verbindung, die im Frequenzbereich zwischen 2,3 und 2,4 Gigahertz sendet, mit einer Datenrate von vier Megabit pro Sekunde. Eine mittelgroße Stadt bräuchte also nur eine der teuren Empfangsantennen. Der Hubschrauber fliegt übers Regierungsviertel, wo an diesem Morgen Horst Köhler vereidigt wird. Das Regierungsviertel ist abgesperrt.

Auf einem Bildschirm im Fraunhofer-Institut in Berlin-Charlottenburg erscheint während der Demonstration auf der digitalen Karte ein roter Strich: kein Durchkommen! In Athen sollen die Daten in der Verkehrsleitzentrale zusammenlaufen. Ist das System schon fit für die Olympischen Spiele, immerhin eine Großveranstaltung mit eigenen Regeln? Das System schaffe "eine vertrauenswürdige Datengrundlage für Verkehrszentralen", sagt Werner Schönewolf vorsichtig. "Und zwar in Echtzeit." Modellversuche in den Ballungsräumen Hannover und Frankfurt hätten das demonstriert.

Keine Flugenehmigung für Athen

Voraussetzung ist natürlich, dass der Hubschrauber - auch ein Zeppelin wäre denkbar - wirklich starten kann und die Sichtverhältnisse gut sind. Bei der Präsentation waren die Verantwortlichen sichtlich nervös, als das Berliner Wetteramt eine "Gewitterfront von Westen" ankündigte. Doch auch wenn die Straße nass ist oder die Luft voller Dunst, kann es Probleme geben. Manchmal wird ein parkendes Auto mitgezählt oder eines übersehen, das sich optisch kaum von der Straße unterscheidet. "Wir haben Probleme wenn sehr viel Bäume, wie in Berlin, an den Straßenrändern stehen." Hier wäre das wenig grüne Athen sogar leichteres Terrain. Der Hubschrauber könnte auch ein unahhängiges Kommunikationssystem an Bord haben, ein so genanntes Tetrapol-System.Im Katastrophenfall hätte man so eine unabhängige Krisenzentrale.

Alles gut also? "Wir werden für Athen voraussichtlich keine Fluggenehmigung erhalten", sagt DLR-Projektleiter Arne Jungstand. "Wir können voraussichtlich nur unsere FCD-Flotte fahren lassen." Ein Projekt, das gut funktionieren würde, kann also nur eingeschränkt zum Einsatz kommen? "Wir haben viel lernen müssen" sagt Arne Jungstand. "Wenn wir früher den deutschen Wirtschaftsattache um Hilfe gebeten hätten, vielleicht wäre da noch was machbar gewesen."

Auf Nachfrage bestätigt Geotopos in Athen, der griechische Partner: "Aus Sicherheitsgründen gibt es für private Helikopter während der Olympischen Spiele keine Fluggenehmigung." Könnte man das System nicht in Polizeihubschrauber einbauen? "Natürlich", sagt die griechische ProjektleiterinLiza Panagiotopoulou. "Aber dafür hätte das Projekt mehr Vorlaufzeit gebraucht. Es war kein perfektes Timing."

Olympische Verkehrsregeln

Bei der Präsentation in Berlin deutet Ralf Willenbrock von der VW-Tochter Gedas an, dass die Gründe womöglich vielschichtiger sind: "In Athen heißt der Automobilsponsor Hyundai. In Peking bei der Olympischen Spielen 2008 wird er Volkswagen heißen." Und bei der Weltmeisterschaft 2006 könne man auf den Kontakt zu deutschen Behörden setzen.

Was bleibt nun für Athen? Es ist viel Geld in die Infrastruktur geflossen, in zwei neue U-Bahn-Strecken, in die neue 70 Kilometer lange sechsspurige Ringstraße "Attiki Odos", ins Straßenbahn- und Busnetz. Der Verkehr in Athen wird technisch von deutschen Firmen gelenkt. Auch ohne die Luftunterstützung von "Eye in the Sky". Doch Siemens und die Firma Signalbau Huber teilen sich die Signalanlagen der Stadt im Verhältnis 80:20.Den ganz normalen Athener mit Auto wird das vermutlich dennoch wenig nutzen.

Vom 20. Juli an gelten olympische Regeln: Die olympische Familie, wie es so nett heißt, hat Vorfahrt. Auf allen wichtigen Straßen ist eine Spur für sie reserviert. Alle anderen, die eine Sondererlaubnis haben, teilen sich eine zweite Spur. "Für die Athener beginnt eine harte Zeit", sagt Liza Panagiotopoulou. Aber wenigstens hat Griechenland die Europameisterschaft gewonnen. "Ja", sagt die Wissenschaftlerin. "Mit einem deutschen Trainer."

© SZ vom 08.07.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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