Olymp:Im Namen des Zeus

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Griechenlands höchster Berg als Ort antiker Verehrung: Eine verschworene griechische Glaubensgemeinschaft verehrt die antiken Götter und ist auf ihren Staat nicht gut zu sprechen.

Von Christiane Schlötzer

Der Thron des Zeus ist eine majestätische Kalksteinkurve, fast 3000 Meter über dem Meeresspiegel. Wer sich dorthin wagt, muss mit Blitz und Donner rechnen, denn der Olymp, der höchste Berg Griechenlands, ist eine rechte Wetterküche.

Den Wolkensammler hat Homer den Zeus genannt, weshalb das mit dem Götterwohnort schon stimmen mag. Der küstennahe Gipfel im unlieblichen Nordosten Griechenlands ist windumtost und halbjährig schneebedeckt.

Die Verehrer des Zeus leben weniger den Launen der Natur ausgesetzt als den Unbilden des Athener Autoverkehrs. Panajotis Marinis hat einen einfachen Schreibtischstuhl, weit entfernt vom olympischen Thron, und statt in einem Tempel empfängt er in einem schlichten Büro in der Solonos-Straße, am Fuß des steilen Athener Lykabettos-Felsens.

Götterverehrung im Verborgenen

Auf den ersten Blick erinnert der Treffpunkt wegen der ordentlich in Reihe gestellten Stühle an eine Fahrschule. Unterwiesen wird hier aber in Fragen der spirituellen Lebensführung: Das Büro ist das Begegnungszentrum einer Religionsgemeinschaft, und die Camouflage hat Gründe.

"In Griechenland gibt es keine Religionsfreiheit", sagt Panajotis Marinis, ein großer kräftiger Mann mit weißem Vollbart und eher sanfter Stimme. Marinis verehrt die zwölf olympischen Götter, und wer dies tue, so sagt er, dem werde heute in Hellas die religiöse Daseinsberechtigung abgesprochen. "Das ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte", klagt Marinis.

Nur ein unauffälliges Klingelschild verrät, wer in dem Athener Wohnhaus wirkt: die Elliniki Etairia Archaiofilon, die Griechische Gesellschaft der Freunde der Alten Griechen. 97 Prozent der knapp elf Millionen Griechen gehören offiziell der griechisch-orthodoxen Kirche an.

Auch Marinis, der Nicht-Christ, ist christlich getauft. Der 58-jährige Arzt stammt aus einer Familie von Polytheisten aus dem kleinen Ort Kithra auf der Insel Kefalonia. "Etwas anderes als die Taufe ist in Griechenland nicht möglich", sagt er. Wer sich dem christlichen Ritus verweigere, habe später nur Nachteile. Deshalb hat Marinis auch den eigenen Sohn taufen lassen.

Etwa 100.000 Menschen in Griechenland teilten seinen Glauben an die antiken Götter, glaubt Marinis, der für die Gesellschaft der "Freunde" als spiritueller Führer agiert. Die Gesellschaft hat eine eigene Zeitschrift mit philosophischen und historischen Beiträgen, und sie veranstaltet so genannte Spaziergänge zu archäologischen Stätten. Zum Beispiel zum Turm der Winde auf der Römischen Agora unter der Akropolis.

Es ist ein schöner Tag, Marinis trägt einen breitkrempigen weißen Westernhut, um sich gegen die Sommersonne zu schützen. Ein Grüppchen von gut einem Dutzend Anhängern hat sich im Schatten einer Taverne versammelt. Man kennt sich und begrüßt sich herzlich, um schließlich der als Kennerin der Antike ausgewiesenen Vizepräsidentin der Vereinigung über die Agora zu folgen.

Außenstehende könnten die Gruppe für interessierte Akademiker halten. Doch sie ahnen nicht, wie sehr die Nähe zur Akropolis, einem heiligen Ort für die Göttergläubigen, die verschworene Gemeinschaft beflügelt. Dies gilt auch für Apostolos und Stavroula, ein junges Paar, das wie die meisten der Gruppe nur seine Vornamen verrät.

Stolz auf die hellenischen Heldentaten

Apostolos ist Postbote, Stravroula hat sogar christliche Theologie studiert. Doch dabei hat sie nicht das gefunden, was sie gesucht hatte. Auf die Frage, was denn dagegen die alte Religion in heutiger Zeit noch biete, sagt Apostolos, es seien "die universellen Werte". Genauer kann er es nicht sagen. "Wir sind Griechen", betont er, und das Wissen um die Großtaten der alten Hellenen mache ihn stolz. "Das ändert dein Leben."

"Wir sind Individualisten", wirft Giannis ein. Er gehört zu den Führern der Gruppe, bei denen sich Sehnsucht nach vergangener Größe mit kräftigem Antiklerikalismus mischt. "Wir können unsere Tempel nur als Touristen besuchen", schimpft Giannis und macht dafür die politisch privilegierte orthodoxe Kirche und ihren Einfluss auf den Staat verantwortlich. "Griechenland ist eine Form der Theokratie", sagt Giannis.

Bisweilen versuchen die Anhänger der zwölf Götter, in einer archäologischen Stätte religiöse Riten zu zelebrieren, in Togas gehüllt, mit bunten Bändern im Haar, die Arme zum Kreis geschlossen. "Dann kommt regelmäßig die Polizei, weil es verboten ist."

Die Gemeinschaft der Zeus-Verehrer hat sich schon oft an die staatlichen Autoritäten gewandt, um Anerkennung gebeten. Immer ohne Erfolg. In einer Petition vom Juni 2001 an das Ministerium für Erziehung und Religiöse Angelegenheiten bat die Gruppe um einen festen Kultort. "Wir haben nicht mal eine Antwort erhalten", sagt Marinis.

Nicht besser erging es der Bitte um "Registrierung als bekannte Religion" im Rahmen von Hochzeiten und Beerdigungen. "Seit der Zeit Homers sind Feuerbestattungen griechische Tradition", heißt es in dem Antrag. Die orthodoxe Kirche in Griechenland erlaubt dagegen nur Erdbestattungen.

Totentourismus nach Bulgarien

Dies hat makabre Folgen. Weil die Friedhöfe in der Metropole Athen voll sind, müssen Angehörige von Verstorbenen oft tagelang auf eine Beerdigung warten. Findige Unternehmer haben deshalb den Totentourismus nach Bulgarien als lukrative Erwerbsquelle entdeckt. "Das Verbrennungsverbot ist höchst fragwürdig", sagt Marinis.

Aber auch Götterverehrer können irren. So hat ein heiratswilliges Paar den Chef der Archäologie-Behörde von Attika, Giorgos Steinhauer, gefragt, ob es sich im Sounion-Tempel trauen lassen dürfe. Der Experte erwiderte, die alten Griechen hätten zu Hause geheiratet. Man könne die antiken Mythen nicht zu wörtlich nehmen. "Herkules hat nicht wirklich mit Hydra gekämpft. Es ist eine Allegorie über die vielen Begehrlichkeiten in uns", sagte Steinhauer.

In der griechischen Verfassung heißt es: "Die vorherrschende Religion in Griechenland ist die Östliche Orthodoxe Kirche Christi." Die Verfassung, 1986 unter der sozialistischen Regierung von Andreas Papandreou verabschiedet, verleiht der Kirche eine Macht wie in keinem anderen EU-Land.

Bis zur Einführung der Zivilehe 1982 galten Katholiken als nicht verheiratet, wenn sie die Ehe nicht vor einem orthodoxen Priester schlossen. Noch heute können sie nicht als Staatsbeamte vereidigt werden. Proteste gegen diese Diskriminierung werden ignoriert.

In den Berichten der US-Regierung zum Stand der religiösen Freiheiten wird Griechenland regelmäßig kritisiert. Bekannt ist, dass es in Athen bisher nicht einmal eine offizielle Moschee gibt. Erst jetzt soll sie gebaut werden - gegen den Widerstand der Kirche.

"Wer waren die frühen Christen? Sie hatten keine Athleten, keine Kultur und nur ein Buch, die Bibel", meint Vasileos, ein Ingenieur aus der Gruppe der unorthodoxen Gläubigen. "Das Christentum war die erste Form der Globalisierung", sagt Doretta, eine Schriftstellerin. "Für uns ist ein Gott kein Boss, er ist ein Freund, und du kannst mit Freunden auch streiten, wie Odysseus und Poseidon", meint sie.

Die Polytheisten fühlen sich von der Ein-Gott-Kirche schikaniert, sonst aber belächelt und nicht ernst genommen. Mit den Olympischen Spielen, die in der nächsten Woche beginnen, sehen sie jedoch eine Chance, aus der Schmuddelecke herauszukommen. Immerhin wurden die Spiele einst in Olympia, dem großen Zeus-Heiligtum auf der Peloponnes, ausgetragen.

Deshalb sind die Göttergläubigen nun vor ein weltliches Gericht gegangen. Sie haben gegen die Verwendung der offiziellen olympischen Maskottchen geklagt. In den Plüschpuppen namens Phoebus und Athena sehen sie "eine Beleidigung unserer Religion".

Ärger mit den Puppen

Phoebus, "der Reine, Glänzende", ist ein Beiname des Apoll, einer der zwölf Großen im Götterkreis. Athena ist die mythische Beschützerin der Stadt. Das Olympische Organisationskomitee Athen 2004 ließ die Figuren in Feuerorange und Himmelblau nach antiken Vorbildern formen.

Marinis forderte, dass sie aus dem kommerziellen Olympia-Kosmos verbannt werden. Vergeblich. Die Puppen seien keine Götter, sondern nur Cartoons, entschied ein Gericht.

In der Solonos-Straße gibt es auch ein Bildnis des Apoll. Es hängt an der Wand, als neuzeitliches Foto einer goldglänzenden Statue. Das Original steht in der Münchner Glyptothek. Marinis gefällt es, dass die Erinnerung an die alten Götter weltweit präsent ist.

Von der Erbmasse des antiken Griechenland war einst auch der Franzose Pierre de Coubertin so begeistert, dass er 1896 die Spiele in Athen neu erschuf. Die Wiedergeburt antiker Ideale stand Pate - und die orthodoxe Kirche hielt Abstand.

Ganz anders ist es heute. Athens Erzbischof Christodoulos hat seiner Geistlichkeit für die Wiederkehr der Spiele vom 13. bis 29. August eine Urlaubssperre verordnet. Die Kirchen Athens sollen offen bleiben.

Olympioniken aus Staaten mit orthodoxem und orientalischem Christentum machten immerhin fast ein Viertel aller Sportler aus, zitiert die Athener Zeitung den griechischen Kirchenforscher Vlassion Pheidas. Athleten, die sich beim Start nach orthodoxer Art von rechts nach links bekreuzigten, seien bei einem globalisierten Medienereignis ein nicht zu unterschätzender Werbeträger, "ein Beispiel mit weltweiter Bedeutung für die Propagierung der Orthodoxie", resümiert das Athener Blatt.

Panjotis Marinis gefällt dies gar nicht. Schließlich gibt es nicht einmal mehr bei Olympia Platz für die Olympischen Götter. Da bleibt nur der Berg. Bisweilen steigen die Göttergläubigen auch hinauf. Wer sie dort sieht, hält sie in der Regel für gewöhnliche Wanderer - auf der Suche nach der Schönheit von Erde und Himmel.

© SZ vom 5.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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