North Charleston:Auf der Flucht erschossen

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In den USA feuert ein Polizist acht Mal von hinten auf einen Mann, ein bislang unbekannter Passant filmt das Geschehen und reicht das Video an die Presse weiter. Nun wird wegen Mordverdachts ermittelt.

Ein neuer Fall von mutmaßlicher tödlicher Polizeigewalt gegen Schwarze hat in den USA Empörung ausgelöst. In einem Handyvideo ist zu sehen, wie ein weißer Polizist in North Charleston in South Carolina einen flüchtenden Mann von hinten erschießt. Gegen den 33-jährigen Michael Slager wird seit Dienstag wegen Mordverdachts ermittelt. Er sitzt in Untersuchungshaft.

Nach den Todesschüssen auf den anscheinend unbewaffneten vierfachen Familienvater Walter Scott am Samstag hatte sich der Polizist auf Notwehr berufen. Er habe um sein Leben gefürchtet, weil der Mann ihm nach einer Verkehrskontrolle seine Elektroschock-Waffe entrissen habe. In dem Video scheint es jedoch so zu sein, als habe er seinen Elektroschocker erst nach den Schüssen neben den 50-Jährigen auf den Boden gelegt.

Die wackelige Aufnahme, die ein bislang anonym gebliebener Passant filmte, wurde unter anderem der New York Times zugespielt und zeigt, wie Slager ohne zu zögern zur Waffe greift und acht Mal auf den flüchtenden Scott schießt. Laut einem Bericht der Lokalzeitung Post and Courier wurde Scott dabei vier Mal im Rücken getroffen und ein Mal am Ohr. Zu sehen ist dann auch, wie Scott nach den Schüssen vornüber ins Gras fällt und der Polizist ihn auffordert, die Hände hinter den Rücken zu nehmen. Der Mann am Boden rührt sich nicht mehr, Slager fesselt ihn dennoch mit Handschellen. Im Anschluss machen offenbar weder Slager noch der zweite herbeieilende Polizist Anstalten, dem Sterbenden zu helfen. Erst am Ende des knapp drei Minuten langen Videos bückt sich Slager, um den Puls des Mannes zu fühlen.

Laut Post and Courier war Scott zuvor bereits rund zehn Mal festgenommen worden, zumeist wegen nicht geleisteter Unterhaltszahlungen für seine Kinder. Scotts Vater sagte dem Fernsehsender NBC, er sei vermutlich geflüchtet, weil er nicht wieder wegen versäumter Zahlungen festgenommen werden wollte. Scott war aufgrund eines kaputten Rücklichts an seinem Wagen angehalten worden.

Ein Experte in Sachen Polizeigewalt nannte die Szene ungeheuerlich. "Der Mensch flüchtet. Er hat keine Waffe. Und er hat sich nicht umgedreht", sagte Samuel Walker, emeritierter Professor der Universität Nebraska. Für die Schüsse des Polizisten auf den Flüchtenden gebe es keine Rechtfertigung.

Für die Familie des Getöteten ist der unbekannte Filmer "ein Held"

In North Charleston, der drittgrößten Stadt South Carolinas mit rund 100 000 Einwohnern, ist etwa die Hälfte der Bevölkerung schwarz. Nach Daten des Justizministeriums aus dem Jahr 2007 sind hingegen rund 80 Prozent der Polizisten der Stadt weiß. Bürgerrechtsorganisationen riefen für Mittwoch zu einem Protestmarsch vor dem Rathaus auf.

Zuletzt hatten in den USA mehrere Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze Entsetzen und Proteste ausgelöst. In Ferguson (Missouri) war es zu tagelangen Unruhen gekommen, nachdem im vergangenen August ein Beamter den unbewaffneten schwarzen Teenager Michael Brown erschossen hatte. Nach ähnlichen Vorfällen in New York kam es auch dort zu Protesten.

Die Familie des Opfers äußerte sich nach der Festnahme des Polizisten auf einer Pressekonferenz und lobte den "Helden", der das Video angefertigt hatte. "Wenn es kein Video gäbe, würden wir dann je die Wahrheit erfahren?", sagte ein Bruder des Toten. Auch der Vater, der ebenfalls Walter Scott heißt, zeigte sich erleichtert über das Auftauchen des Films. "Ich danke Gott, dass sie das Video haben", sagte er NBC. "Die Art, wie er (der Polizist) die Waffe abgefeuert hat, sah aus, als ob er ein Reh jagen würde, das durch den Wald läuft."

© SZ vom 09.04.2015 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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