Nicht bewegen!:Atemlos in einer anderen Welt

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Der Hamburger Student Tom Sietas ist mehrfacher Weltrekordler im Apnoe-Tauchen. Nun will er seine eigene Bestmarke toppen - und kämpft unter Wasser gegen seine Natur.

Frieder Schilling

Vorsichtig trauen sie sich heran an den Eindringling. Rochen, kleine Haie und Hunderte bunte Fische umkreisen Tom Sietas, der sich vor der griechischen Küste auf den Meeresboden gesetzt hat. In 25 Metern Tiefe.

"Wenn man runterkommt, sind die Fische erst mal aufgeschreckt und verziehen sich", sagt er. "Aber wenn du einen Augenblick sitzt, dann ignorieren sie dich. Einige versuchen sogar, dich kennen zu lernen."

Tom Sietas hat keine Sauerstoffflasche auf dem Rücken, keine störenden Luftblasen wirbeln um sein Gesicht. Trotzdem kann er bis zu zwei Minuten in dieser anderen Welt verbringen.

Ein Mensch unter Fischen.

Der 29-jährige Hamburger ist Apnoe-Taucher - einer der besten des Planeten.

"Apnoe" kommt aus dem Griechischen und bedeutet "ohne Atem". Apnoe-Taucher benutzen keinen Sauerstoff. Sie lassen sich von Gewichten hundert Meter und tiefer unter die Meeresoberfläche ziehen.

Oder sie verharren minutenlang unter Wasser.

Oder sie tauchen Bahnen im Schwimmbecken, ohne ein einziges Mal nach Luft zu schnappen.

In der Strecken-Disziplin ist Sietas Weltmeister. 212 Meter weit ist er mit Flossen getaucht, 180 Meter ohne. Beide Bestmarken will er am Wochenende verbessern, am Rande der Hamburger "Aquatics", einem Festival der Schwimmer-Elite.

Das Tennisstadion am Rothenbaum ist dafür zur Schwimm-Arena umgebaut und mit mehreren hunderttausend Litern Wasser aufgefüllt worden.

Ehrgeiz, Disziplin - und Grenzen überwinden

"Nur wenn ich meinen Ehrgeiz ausleben kann, wenn ich mich anstrengen kann, fühle ich mich lebendig", sagt Sietas. Er spricht überhaupt viel von Ehrgeiz und Disziplin, davon, seine Grenzen auszuloten.

Er wirkt aber nicht überheblich dabei. Eher konzentriert.

Ruhe und Konzentration sind sozusagen die Grundzutaten für die Spitzenleistungen, die er bringen muss. Denn unter Wasser verbraucht jede unnötige Bewegung, ja sogar jeder Gedanke Sauerstoff und zwingt somit früher zum Auftauchen.

Emotional aufreibende Erlebnisse sind genauso kontraproduktiv wie Adrenalinschübe. Sportlicher Ehrgeiz lässt ihn seit nunmehr sechs Jahren nahezu täglich trainieren.

Er beherrscht Atemtechniken, mit denen er bis zu zehn Liter Sauerstoff in seine Lunge pressen kann, und er ist in der Lage, den natürlichen Atemreiz zu überlisten.

Die sportliche Herausforderung ist für den Lehramtsstudenten aber nur die eine Seite des Freitauchens. Die andere ist das Naturerlebnis, das Abenteuer.

"Das Unterwasserleben hat mich schon immer fasziniert", schwärmt er. "In 25 Meter Tiefe fühlt man sich dem Meer verbundener. Du hast das Gefühl, ein Teil davon zu sein." Die Vielfalt und Rätselhaftigkeit dieser Welt begeistern ihn.

Die Stille, an der er teilhaben darf - oder die Möglichkeit, mit Delphinen zu tauchen, denen er im Roten Meer begegnet ist: "Ich bin ins Wasser gesprungen, 15 Meter tief getaucht und hab da einfach gewartet", erzählt er.

"Delphine sind ja unheimlich neugierig, aber wenn du ihnen hinterher tauchst, kannst du es vergessen. Dann interessieren sie sich nicht für dich. Bringst du jedoch Zeit mit und bleibst ruhig, kommen sie auf dich zu. Sie haben mich umrundet und versucht, mit mir zu kommunizieren."

In der Einmaligkeit dieser Situation darf der Apnoe-Taucher das Gefühl für den eigenen Körper nicht vernachlässigen, er muss dessen Signale ernst nehmen. "Wenn ich mich meiner Leistungsgrenze nähere, kontrolliere ich meine Sinne. Werden die Augen unschärfer?

Wo sind meine Gedanken, fange ich vielleicht an zu träumen? Sobald eine dieser Erscheinungen auftritt, tauche ich auf."

Die große Gefahr beim Tauchen mit angehaltenem Atem ist es, die eigenen Grenzen zu überschätzen, ohne Sicherung durch andere zu viel zu wagen.

Trotzdem begibt sich auch Sietas immer wieder in physische Grenzbereiche und erlebt seinen Körper auf kaum nachvollziehbare Weise: "Manchmal bewege ich mich nur noch mit mentaler Kraft vorwärts, gar nicht mehr mit den Muskeln. Ich konzentriere mich darauf, ruhig zu bleiben. Obwohl mein Körper den Atemreiz verspürt, versuche ich meinen Herzschlag zu beruhigen. Dann vergesse ich den realen physischen Anteil, dass ich zum Beispiel mit den Beinen schlage, und ziehe mich in meinen Geist zurück."

Ungefähr so wird er am Wochenende auch versuchen, seine beiden Weltrekorde zu verbessern. Seit mehreren Monaten ist er im Training, taucht nahezu täglich im Schwimmbad eines Fitnessstudios.

Skurril sieht das aus, der Hochleistungssportler in einem Becken mit den Teilnehmern eines Schwimmkurses für Erwachsene. Auf der einen Seite der Mann im Ganzkörper-Neoprenanzug mit Bleigürteln um Hals und Hüfte, daneben Menschen mit Schwimmbrettern, die froh sind, wenn sie sich einigermaßen über Wasser halten.

Um das Becken herum, auf einer Empore, schwitzen die Feierabendsportler auf ihren Laufbändern und betrachten Sietas verständnislos.

Er hat gelernt, all das auszublenden. In Hamburg werden 10.000 Zuschauer im Stadion sein, eine Ausnahmesituation auch für ihn, obwohl er schon mal bei der "Guiness-Show" vor Millionen Fernsehzuschauern getaucht ist.

"Aber das war ein Kinderspiel dagegen, bei soviel Live-Publikum bin ich bestimmt viel aufgeregter", sagt Sietas. Deshalb wird er so spät wie möglich seine Wohnung verlassen, wird sich den Tag über kaum bewegen, nur die Muskeln etwas lockern.

Fünf Stunden vor dem Start wird er das letzte Mal essen, denn auch das Verdauen kostet den Körper Energie.

Wenn der Rummel vorbei ist, will sich Tom Sietas wieder zu den Fischen setzen. Auch das ist Training, denn im so genannten statischen Apnoe-Tauchen ist er ebenfalls der Weltbeste.

Acht Minuten und 58 Sekunden hielt er sich vollkommen regungslos unter Wasser - mit einem einzigen Atemzug.

© SZ vom 11.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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