New Orleans:Räumung einer Geisterstadt

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Bereits seit Mittwoch soll New Orleans notfalls auch mit Gewalt geräumt werden. Doch sowohl Armee als auch Nationalgarde weigern sich bislang, handgreiflich zu werden. Bitten allein reichen allerdings nicht.

Am unheimlichsten sind die Häuser, die keinen Kratzer abbekommen haben in der Katastrophe. Wie ein dicker Teppich hängt die Stille über den von den Fluten verschonten Wohnvierteln im Westen von New Orleans.

Häuser in New Orleans werden markiert. (Foto: Foto: AFP)

Völlig intakt, aber verlassen stehen die Häuser da. Kein Mensch ist zu sehen, nicht in den Fenstern, nicht in den Straßen. Straßenlaternen und Ampeln sind ausgeschaltet. Tankstellen, Donut-Cafés und Burger-Restaurants, die normalerweise summen vor Betriebsamkeit, sind leer. Vor einem Zeitungskiosk flattern noch Tageszeitungen im Wind. Erscheinungsdatum: der 28. und 29. August, das war das Wochenende, bevor "Katrina" die flirrende Jazzmetropole New Orleans erst in ein Elendstal und dann in eine Geisterstadt verwandelte.

Von Haus zu Haus

Leben zeigt sich in New Orleans eigentlich nur dort, wo das Militär unterwegs ist. Als befänden sie sich im Kriegsgebiet, ziehen Fallschirmjäger-Patrouillen der 82. Airborne Division von Haus zu Haus, um Anwohner aufzuspüren, die in der Stadt ausharren. Über den Dächern brummt ein Black-Hawk-Kampfhubschrauber auf der Suche nach Eingeschlossenen.

Obwohl die verlassenen Straßen eigentlich eine andere Sprache sprechen, könnten sich Schätzungen zufolge noch etwa 10.000, vielleicht sogar 15.000 Menschen in der zerstörten Stadt befinden. Doch viele von denen, die zurückgeblieben sind, wollen die Stadt gar nicht verlassen.

"Ich bin in Vietnam nicht weggelaufen"

"Ich gehe nirgendwo hin", sagt der 62-jährige Ex-Marineinfanterist Philip Turner. "Ich bin in Vietnam nicht weggelaufen, und jetzt gehe ich auch nicht weg."

Auch der 64 Jahre alte Douglas Young, dessen Ehefrau, drei Kinder und acht Enkelkinder bereits im Nachbarstaat Texas sind, will nicht weg. "Ich könnte niemals in so ein Lager gehen", sagt er. "Sie haben die Leute in ein Stadion gesteckt. Meine Nerven machen so was nicht mit, ich könnte niemals inmitten einer solchen Menschenmenge leben."

Schon mehrfach haben die Soldaten bei Young an die Tür geklopft und ihm geraten, sich dem Flüchtlingsstrom anzuschließen. Bisher vergeblich. "Ich will einfach, dass die mich in Ruhe lassen", sagt Young.

Alt, krank, psychisch gestört, drogenabhängig

Die Gründe, warum viele Menschen in der verwüsteten Stadt bleiben, sind unterschiedlich. Häufig sind sie alt und krank, so dass sie sich wie Douglas Young den Strapazen eines Umzugs ins Ungewisse nicht gewachsen fühlen. Bei anderen handelt es sich um psychisch Gestörte oder um Drogenabhängige.

Eigentlich hatte Bürgermeister Ray Nagin schon Mitte der Woche die Zwangsräumung von New Orleans angeordnet. Doch sowohl die Armee als auch die Nationalgarde weigern sich, ihm Folge zu leisten. Bisher bitten die Soldaten die Anwohner lediglich, die Stadt zu verlassen.

Handgreiflich wollen sie nicht werden. Diese Aufgabe soll die Polizei übernehmen. Doch auch der graut es offenbar davor, die Bürger mit Gewalt aus ihren Häusern zu zerren. "Es wird eine Zwangsevakuierung werden, nicht dass wir Gewalt anwenden werden, aber es wird obligatorisch sein", windet sich Vize-Sheriff Anthony Fernandez.

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