New Orleans:50.000 Menschen warten auf ihre Rettung

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Nach vorläufigen Schätzungen hat "Katrina" 350.000 Häuser zerstört. Die Armee geht davon aus, dass es fast drei Monate dauern werde, das Wasser aus der Stadt zu pumpen. Die Kritik am Krisenmanagement der Regierung Bush lässt unterdessen nicht nach.

Ein Untersuchungsausschuss des US-Senats wird ab kommender Woche den Versäumnissen der Behörden nachgehen. "Es ist unsere Verantwortung, die Mängel in der Vorbereitung und die unzureichenden Reaktionen auf dieses furchtbare Unwetter zu untersuchen", sagten die beiden Ausschussvorsitzenden, die Republikanerin Susan Collins und der Demokrat Joseph Lieberman, in einer Pressekonferenz.

Hunderte Menschen warten am busbahnhof von New Orleans auf ihren Abtransport (Foto: Foto: dpa)

Es liege ein Fall "gewaltigen Versagens" vor. Es sei zwar noch zu früh, um die Reaktion der Regierung auf die Katastrophe zu beurteilen; es werde jedoch zunehmend klar, dass "ernsthafte Versäumnisse bei den Vorbereitungen und die Reaktion die Hilfsbemühungen in einer kritischen Phase behindert" hätten. Am Mittwoch soll eine erste Anhörung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.

Schwarze Vertreter des Washingtoner Kongresses üben ebenfalls heftige Kritik an der Reaktion von Präsident George W. Bush auf den Hurrikan. Es sei viel zu langsam und mit viel zu wenig Hilfsgütern auf die Katastrophe reagiert worden. "Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Entscheidung, wer lebt und wer stirbt im großen Sturm und der Flut von 2005, allein auf Armut, Alter oder Hautfarbe beruht", sagt der demokratische Abgeordnete Elija Cummings. "Es wäre unverantwortlich, dabei tatenlos zuzusehen."

Zehntausende in Sicherheit gebracht

In der Region New Orleans harrten nach Behördenschätzungen auch am Tag fünf nach dem Hurrikan noch immer rund 50.000 Menschen unter katastrophalen Bedingungen aus. Rund um den Superdome, der zehntausenden als Notunterkunft diente, warteten am Samstag noch rund 10.000 Flutopfer auf den Abtransport, hieß es. Am Freitag waren 40.000 Einwohner mit Hubschraubern auf dem Flughafen außerhalb der Stadt in Sicherheit gebracht worden.

Die Zahl der Toten ist nach wie vor völlig unklar. Der Gouverneur von Mississippi, Haley Barbour, sprach von mindestens 147 Opfern in seinem Staat, doch liege die Gesamtzahl wahrscheinlich wesentlich höher. Ray Nagin, Bürgermeister von New Orleans, hatte in den vergangen Tagen die Befürchtung geäußert, allein in New Orleans könnten mehr als tausend Menschen dem Hurrikan und dessen Folgen zum Opfer gefallen sein.

Große Hilfsaktion in Texas

Im Nachbarstaat Texas läuft eine der größten Hilfsaktionen für die verzweifelten Flüchtlinge aus New Orleans. Nach Tagen voller Chaos, Gewalt und Entbehrung sind rund 25.000 Flüchtlinge mit Buskonvois nach Houston gebracht worden. Ihnen blieben vielfach nur noch die Kleider auf dem Leib. Insgesamt seien inzwischen 154.000 Menschen aus New Orleans und Umgebung vom Nachbarstaat aufgenommen worden, berichtete CNN unter Berufung auf texanische Behörden. Texas will weiteren 50.000 Menschen eine Unterkunft bieten.

Bush versprach angesichts wachsender Kritik den Betroffenen mehr Unterstützung. Er räumte ein, dass die bisherige Hilfe für New Orleans inakzeptabel gewesen sei. Allerdings habe niemand die unermessliche Tragweite der Zerstörung voraussehen können.

Der Präsident sagte den verbliebenen rund 50.000 Menschen in New Orleans zu, dass sie in Kürze mit Bussen und Flugzeugen in Sicherheit gebracht würden. Auch solle die Gewalt in der Stadt so schnell wie möglich beendet werden. Der Präsident wandte sich aber gegen Forderungen, Soldaten aus dem Irak in die verwüstete Region im Südosten der USA zu verlegen.

Bürgermeister: Bush meint es "bitterernst" mit Hilfe

Bürgermeister Nagin sagte nach dem Bush-Besuch, nach seinem Eindruck meine es der Präsident bitterernst mit der Hilfe. Zuvor hatte Nagin seinem Ärger über das Krisenmanagement Luft gemacht und die Regierung aufgefordert, "den Hintern zu bewegen" und rasch mehr Hilfe, Soldaten und Busse zu schicken. Soldaten sollen die Plünderungen und Schießereien in der Stadt beenden. Scharfschützen bezogen auf den Dächern in New Orleans Position. Selbst viele Polizisten hatten sich zuvor nachts nicht mehr auf die Straßen getraut.

Außenministerin Condoleezza Rice dankte der Europäische Union und anderen Ländern für deren Hilfsangebote. Deutschland schickt zunächst einen Trupp des Technischen Hilfswerks (THW) in die Krisenregion. Das THW-Team soll dort die Lage ermitteln, damit die deutsche Hilfe ohne Verzögerung anlaufen kann.

Derweil zeichnet sich langsam das Ausmaß der Naturkatastrophe ab. Mindestens 350.000 Häuser sind nach Angaben der Behörden zerstört worden. Rund eine Million Menschen haben ihr Zuhause verloren. Nach Angaben der Armee wird es fast drei Monate dauern, das Wasser aus der Stadt zu pumpen. Die Gesamtschäden werden auf bis zu 100 Milliarden Dollar (80 Milliarden Euro) geschätzt.

Ein drei Wochen altes Mädchen wird von ihrem Vater in den Schlaf gewiegt. Die beiden warten darauf, in Sicherheit gerbracht zu werden. (Foto: Foto: dpa)

Schwarze fühlen sich im Stich gelassen

Die Fotos aus dem Katastrophengebiet in New Orleans gleichen sich: Sie zeigen verzweifelte und ängstliche Menschen, meist von schwarzer Hautfarbe. Die Folgen des Hurrikans "Katrina" treffen die Ärmsten der Armen in der überfluteten Stadt. Viele Schwarze beklagen nun, dass sie noch immer auf Hilfe und Versorgung warten müssen, während ihre weißen Nachbarn längst in Sicherheit gebracht wurden.

"Hier sehe ich nur Schwarze", sagt Cassandra Robinson, die mit ihrer Familie seit Tagen auf einem Parkplatz am Convention Center von New Orleans ausharrt. "Alle Weißen sind oben in den Hotels."

Vor dem Eintreffen von "Katrina" waren nach Angaben von Bürgermeister Ray Nagin schon 80 Prozent der Einwohner evakuiert worden. Diejenigen, die zurückblieben, waren Menschen ohne Autos und Geld, viele von ihnen aus dem Bezirk Orleans Parish. Dort leben zu zwei Dritteln Schwarze. Ein Fünftel der Bewohner verdient weniger als 10.000 Dollar im Jahr (8.000 Euro), und fast 27.000 Familien leben unter der Armutsgrenze.

Wissenschaftler: "Reste eines rassistischen Erbes"

Der Sozialwissenschaftler Larry Davis bezeichnet die Bilder aus New Orleans als Schande für die USA. "Es sieht aus, als seien die Reste eines rassistischen Erbes noch sehr intakt", sagt der Direktors des Zentrums für Rassenfragen und Soziale Probleme an der University of Pittsburgh. "Es ist, als würde man sich Bilder aus einem afrikanischen Land ansehen."

Die Bilder mit den Gesichtern der verzweifelten schwarzen Einwohner sollten "ein gewaltiger Weckruf" sein, sagt Jeff Johnson, Professor an der University of Maryland. "Diese Menschen werden im Stich gelassen, und deshalb sind sie so wütend. Aber sie sind nicht nur während dieses Sturms im Stich gelassen worden, sondern unsere Gesellschaft hat sie seit Jahrzehnten vernachlässigt. Das müssen wir zugeben, dem müssen wir uns stellen."

"Erbe von Sklaverei ungeborchen"

Dass das US-Gesundheitssystem große Unterschiede zwischen den Hautfarben macht, ist bekannt. Zwischen 1991 und 2000 hätten einer Untersuchung zufolge 886.000 schwarze Menschen nicht sterben müssen, wenn sie den gleichen Zugang zu medizinischer Versorgung gehabt hätten wie Weiße.

Bürgerrechtler sehen hier Parallelen zur Reaktion der US-Behörden auf das Hurrikan-Desaster. "Ich glaube, dass das Land anders reagieren würde, wenn es weiße Alte und weiße Babys wären, die in den Straßen sterben und unter Zeitungen und Decken zurückgelassen werden," sagt David Billings von der Organisation People's Institute, die seit 25 Jahren gegen Rassismus kämpft.

Auch Bürgerrechtler Jesse Jackson wirft den Behörden vor, nicht angemessen reagiert zu haben. "In New Orleans, wo die Sklavenschiffe angekommen sind, ist das Erbe von 246 Jahren Sklaverei und Unterdrückung heute ungebrochen," sagt Jackson. Außenministerin Condoleezza Rice, ranghöchstes schwarzes Mitglied der US-Regierung, wies dies zurück. Zugleich räumte sie jedoch ein, dass die schwarze Bevölkerung von der Katastrophe besonders stark betroffen ist.

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