Neuer Optimismus in der Krebsforschung:Leben mit dem Tumor

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Schon heute sind viele Krebsleiden behandelbar. In Zukunft soll die Therapie besser auf einzelne Patienten zugeschnitten sein.

Von Christina Berndt

Die nackten Zahlen sprechen nicht gerade für den Jubilar. In diesen Tagen feiert das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg seinen 40. Geburtstag. Doch den Schrecken konnte es dem Krebs nicht nehmen. In den nächsten Jahren wird die Zahl der Menschen, die an Tumoren leiden, sogar noch größer werden, weil die Bevölkerung altert und Krebs nun einmal ein Leiden ist, das vor allem betagte Menschen trifft.

Trotzdem sind die Forscher optimistisch: "Die Diagnose Krebs ist heute kein Todesurteil mehr", betont Peter Krammer vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Fast jeder zweite Patient überlebe die Krankheit.

Kann es den Deutschen also egal sein, wenn Schätzungen zufolge jeden Zweiten, der im Jahr 2010 lebt, im Laufe seines Lebens der Krebs ereilt? Tatsächlich lassen sich viele Tumorleiden heute gut behandeln. Manche werden auf Jahrzehnte geheilt, andere können in chronische Krankheiten umgewandelt werden - sie sind dann so etwas wie Diabetes, nur unangenehmer.

So können drei von vier Kindern mit Leukämie geheilt werden. Und bei Hoden- und Schilddrüsenkrebs leben 20 Jahre nach der Diagnose sogar noch fast alle Patienten. Selbst beim einst so gefürchteten Brustkrebs "bleibt viel Raum für Hoffnung", wie Krammer sagt.

Andere Krebserkrankungen jedoch widersetzen sich zäh den zahlreichen Strategien, die die Krebsforschung entwickelt hat. Dazu gehört vor allem Lungenkrebs. So führt ein Bronchialkarzinom auch heute noch in neun von zehn Fällen binnen weniger Jahre zum Tod.

Sammelbegriff für mehr als 300 verschiedene Erkrankungen

Krebs - das ist eben nicht eine Krankheit. Es ist ein Sammelbegriff für mehr als 300 verschiedene Erkrankungen, von denen jede eine andere Prognose hat. Und über das Schicksal des einzelnen Krebskranken sagen die Statistiken ohnehin nichts aus.

"Krebs wird immer mehr zu einer individuellen Krankheit", betont Peter Krammer. Der Genetik und der Molekularbiologie sei es zu verdanken, dass Tumore heute genauer untersucht werden, bevor die Therapie beginnt. "Man haut nicht mehr einfach drauf auf den Krebs", sagt Krammer. "Man kann vorher herausfinden, worauf er ansprechen wird."

Zu den jüngeren Erfolgsgeschichten einer solchen zielorientierten Krebstherapie gehören die beiden Medikamente Herceptin und Glivec (siehe "Abwehrkraft" und "Spezial-Hemmschuh").

Diese modernen Medikamente haben die Besonderheiten von Krebszellen zum Ziel. Dadurch sind sie weniger giftig. Denn zu den schweren Nebenwirkungen der Krebstherapien kommt es vor allem deshalb, weil die älteren Ansätze meist den natürlichen Stoffwechsel der Zelle in Unordnung bringen. Krebszellen trifft die Therapie besonders, weil sie sich so schnell teilen und ihr Stoffwechsel sehr aktiv ist. Aber auch der Rest des Körpers leidet.

In Zukunft werden Ärzte deshalb versuchen, vor ihrem Angriff mit immer genaueren molekularbiologischen Verfahren möglichst viel über den Feind zu erfahren. Je nach genetischer Ausstattung des Tumors werden sie den Krebs dann von mehreren Seiten in die Zange nehmen - etwa durch "Teilungsstopp" und "Strahlenkanone"; und zugleich könnten sie versuchen, ihn in den "Hungertod" zu treiben.

Dem Patienten unnötige Behandlungen ersparen

Das genaue Hinschauen kann aber nicht nur bei der Auswahl der erfolgversprechendsten Therapiemixtur helfen. Es soll den Patienten auch unnötige Behandlungsprozeduren ersparen, weil von vornherein klar ist, dass diese aussichtslos sind. So haben Wissenschaftler erst vor wenigen Monaten entdeckt, weshalb ein viel versprechendes Medikament namens Iressa anders als erwartet nur zehn Prozent der Lungenkrebspatienten hilft.

Bei Iressa handelt es sich ähnlich wie bei Glivec um einen Enzym-Hemmschuh. Das zugehörige Enzym enthalten 80 Prozent aller Lungentumore in größeren Mengen. Eine genauere Analyse hat aber gezeigt, dass nur etwa jeder zehnte Tumor eine besondere Form dieses Enzyms besitzt. Nur diesen Patienten kann Iressa helfen - dafür aber durchschlagend, wie sich inzwischen herausstellte.

Am wichtigsten aber wird es sein, die Erkenntnisse über die Eigenarten eines Tumors möglichst früh zu erlangen. Denn je weiter fortgeschritten ein Krebsherd ist, desto schwerer lässt er sich heilen. Ein erbsengroßer Tumor besteht bereits aus einer Milliarde Zellen. Da gibt es genügend Möglichkeiten, dass einzelne Zellen der spezialisierten Behandlung entkommen und eine neue Geschwulst bilden.

Am schwierigsten bleibt es, Tumore zu bekämpfen, wenn sie bereits Tochtergeschwulste gebildet haben. Wegen der mageren Erfolge geriet erst vor kurzem die Chemotherapie bei metastasierten Tumoren von Lunge, Darm, Prostata und Brust in die Kritik.

Nützen Chemotherapien?

Denn der Epidemiologe Dieter Hölzel vom Münchner Klinikum Großhadern warnte im Spiegel, dass moderne Chemotherapien diesen Patienten womöglich nichts nützen. Hölzel leitet das Tumorregister der Universität München, wo Patientendaten aus Oberbayern gesammelt werden, sofern die Ärzte sich die Mühe machen, die Daten zur Verfügung zu stellen.

Aus dieser Sammlung schließt Hölzel, dass sich die Überlebenschancen der Krebspatienten mit Metastasen seit 25 Jahren nicht verbessert haben: "Wir können keinen Fortschritt feststellen."

Internationale Studien belegen dagegen durchaus, dass die Chemotherapie den Kranken nütze, empört sich Michael Untch, Gynäkologe am Klinikum Großhadern. Es verbessere sich nicht nur die Lebensqualität der Kranken, weil sie weniger unter den Symptomen der Metastasen wie Knochenschmerzen und Atemnot litten. Auch das Überleben werde verlängert: beim Brustkrebs um sechs bis neun Monate, bei Lungen- und Darmkrebs immerhin um ein paar Wochen.

Das Problem: Im Rahmen von Studien werden meist jüngere und gesündere Patienten behandelt als im Alltag. Das könnte das Ergebnis verfälschen. Die Erfolge der Studien zeigen aber auch: Zumindest für manche (jüngere und gesündere?) Patienten bedeutet die Chemotherapie offenbar einen Gewinn. Diese Kranken gilt es herauszufinden.

So aufgebracht Michael Untch auch über die Erhebungen seines Kollegen Hölzel ist: "Die Daten geben Anlass zu überprüfen, ob das, was in der Klinik empfohlen wird, auch umgesetzt wird", sagt er. "Selbst an den großen Kliniken werden die Neuerungen außerhalb von Studien oft nicht schnell genug genutzt", ist Dieter Hölzel überzeugt. Das transparent zu machen, sei eine dringliche Aufgabe.

Schon in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass es in Deutschland Jahre dauern kann, bis moderne Therapien in der Praxis genutzt werden. So waren deutsche Ärzte lange untätig, als das Hodenkarzinom im Ausland längst mit großem Erfolg behandelt wurde. Das hat in den 80er-Jahren schätzungsweise tausend Männern das Leben gekostet.

© SZ vom 5.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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