Nationalstolz:Heim und Herd

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Selten war Spanien geeinter als in seiner einhelligen Ablehnung von Jamie Olivers Paella-Rezept mit Hühnerbeinen und Chorizo. Kein Wunder: Nationalspeisen sind vielen Menschen weit wichtiger als Flaggen oder Hymnen.

Von Alexander Menden, London

Nirgends feiert die Pflege der Tradition, man könnte auch sagen: der rechthaberische Konservatismus, dermaßen fröhliche Urständ wie in der Küche - und das weltweit. In Italien soll es schon zu Generationen währenden Familienfehden gekommen sein, weil man sich nicht darauf einigen konnte, wie die perfekte Tomatensoße zuzubereiten sei. In Indien gibt es so viele "definitive" Currygewürzmischungen, wie es Mütter gibt. Selbst vor der Verzehrtechnik macht dieses Phänomen nicht halt - genannt sei hier der ebenso alte wie erbitterte Weißwurstglaubensstreit "Aufschneiden versus Zuzeln".

Wie harsch die Reaktionen speziell dann ausfallen können, wenn man an einem als sakrosankt angesehenen Nationalgericht herumdoktert, hat jetzt der Brite Jamie Oliver zu spüren bekommen. Oliver ist ja prinzipiell einer der wenigen Promiköche, denen fast niemand ihren Erfolg vollständig missgönnt. Immerhin versucht er seit Jahren, etwas gegen das in seinem Heimatland grassierende Übergewicht bei Kindern zu unternehmen, unter anderem dadurch, dass in seinen Restaurants Zuckerbrause jeder Art mit einem Aufschlag belegt wird. Diese Limo-Steuer hat sicher auch einiges zu den zehn Millionen Pfund Reingewinn beigetragen, die der Koch aus Essex im vergangenen Geschäftsjahr mit Restaurantketten, Kochbüchern und lizenzierten Küchengerätschaften einfuhr. Aber die Liebe selbst zum geschäftstüchtigsten und jungenhaftesten aller Küchenchefs geht eben nur so weit, wie die kulinarische Tradition es zulässt.

Vergangenen Dienstag verbreitete Oliver per Twitter ein selbsterdachtes Paella-Rezept. "Wenn es um gutes spanisches Essen geht, gibt es kaum etwas Besseres als Paella", twitterte Oliver. "Meine Version kombiniert Hühnerbeine mit Chorizo." Die Reaktionen aus Spanien ließen nicht lange auf sich warten. "Danke dafür, dass du unser berühmtestes Rezept vernichtet hast", antwortete der Twitter-User Francesc Alonso. "Bitte verwende nicht das Wort 'Paella', um Reis mit irgendwelchem Zeug drin zu beschreiben." Ein anderer sagte, er verbrenne gerade Olivers Kochbücher, und ein weiterer verlor jegliches Maß: "Entferne die Chorizo. Wir verhandeln nicht mit Terroristen. Erste Warnung!"

Was verstehen Franzosen schon von Spaghetti Carbonara?

Es ist nicht das erste Mal, dass er die Spezialität eines anderen Landes in für so manchen unakzeptabler Weise modifiziert hat. Bereits 2014 veröffentlichte Oliver sein persönliches Rezept für Benachin oder Jollof-Reis. Dieses besonders in Gambia, Ghana und Senegal beliebte Gericht wird normalerweise mit Tomatenmark, Maniok und Süßkartoffeln zubereitet. Allein schon die Zugabe von "600 Gramm Kirschtomaten" rief diverse westafrikanische Food-Blogger mit Korrekturen auf den Plan.

Viele Menschen identifizieren sich mit ihren Nationalspeisen nun einmal weit stärker als mit Flagge oder Hymne. Man denke nur an den schon lange brodelnden Zwist zwischen Polen, Ukraine und Russland darüber, wer denn nun den "Bortschtsch" beziehungsweise "Barszcz" erfunden hat. Wahres Verständnis für die Leidenschaft, die dieser Streit über den Ursprung einer Rübensuppe generiert, kann wohl nur aufbringen, wer mit ihr aufgewachsen ist. Einzig im Falle Frankreichs verwundert es kaum, dass einige Köche dort eine "Bouillabaisse-Charta" aufsetzten, um der sinkenden Qualität des Fischsuds entgegenzuwirken. In welchem anderen Land hätte eine Fischsuppe, früher eine Art Resteverwertung für die auf dem Markt von Marseille unverkauft gebliebene Ware, ein Symbol für ganz Frankreich werden können?

Doch waren es ausgerechnet die ihre eigene Cuisine so zerberusartig schützenden Franzosen, die vergangenen April wiederum die Italiener zutiefst beleidigten, als sie die Spaghetti Carbonara "neu erfanden". Denn da lief für den Geschmack der Traditionalisten nun wirklich alles falsch, die Auswahl der Zutaten genauso wie die Zubereitung. Das Onlinevideo einer französischen Koch-Website, in dem nicht nur die Pasta im selben Topf gekocht wurde wie der Speck, sondern auch noch Zwiebeln und Crème fraîche hinzukamen, fand in Italien ein ähnlich feindseliges Echo wie Jamie Olivers Paella in Spanien. Die Aufforderung "Bleibt bei euren Froschschenkeln!" war nebenbei ein schönes Beispiel dafür, wie die Beleidigung anderer Völker über die Herabsetzung ihrer Essgewohnheiten funktioniert. Nicht umsonst ist bei den Briten kaum ein Schimpfwort für die Franzosen gängiger als "frogs".

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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