Nationalismus an Japans Schulen:Wer nicht mitsingt, fliegt raus

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Nationalistische Tendenzen in Japan: Das Anstimmen der Nationalhymne ist auf den Feiern in Tokios Schulen Pflicht - pazifistische Lehrer ziehen dagegen vor Gericht.

Christoph Neidhart, Tokio

Zu Schuljahresbeginn haben sich in ganz Japan Lehrer und Schüler zu Feiern versammelt - meist in den Turnhallen. In Tokio müssen die Säle nach detaillierten Vorschriften dekoriert sein. Hinter dem Rednerpodium hat Japans Fahne zu stehen, die Teilnehmer sind angehalten, feierliche Kleidung zu tragen. Außerdem sind alle Schüler verpflichtet, die Kimigayo anzustimmen, die japanische Nationalhymne. Seit fünf Jahren prüfen eigens dazu Beauftragte, ob wirklich alle mitsingen. Auch andere Festakte an Schulen, wie etwa die Abschlussfeiern, müssen mit der Hymne und dem Hinomaru, der Flagge mit der roten Sonne, begangen werden.

Ein Mädchen trägt ein Tuch mit den Worten "Sicherer Sieg" um den Kopf: An Japans Schulen wird eine zunehmend nationalistische Gesinnung eingefordert (Archivaufnahme aus dem Wahlkampf 2005). (Foto: Foto: Reuters)

Weil Kimigayo und Hinomaru einst Symbole der aggressiven Militärdiktatur waren, hat man bis 1999 darauf verzichtet. In den vergangenen zehn Jahren ist Japan aber deutlich nationalistischer geworden. Auch deshalb weigerten sich nach der Wiedereinführung der nationalen Symbole an den Schulen im Jahr 1999 viele pazifistische Lehrer, aufzustehen und mitzusingen. Das Schulamt der Tokioter Stadtregierung unter dem ausländerfeindlichen Bürgermeister Shintaro Ishihara hat deshalb die strengen Vorschriften erlassen.

Ähnliche Verfügungen gibt es in vielen Präfekturen, aber nirgendwo geht man so scharf vor wie in Tokio. Lehrer, die den verordneten Patriotismus nicht annehmen, werden bestraft. Selbst wenn nur ihre Schüler sitzenbleiben oder nicht mitsingen: Dann haben die Lehrer ihre Pflicht nicht getan. Seit 2003 wurden 410 Pädagogen verwarnt, 88 Lehrern wurde vorübergehend der Lohn gekürzt, 38 erhielten nach ihrer Pensionierung keine Teilzeitanstellung wie sonst üblich.

Dagegen haben 172 Lehrer vor Gericht geklagt: Sie nähmen nur ihre Meinungsfreiheit wahr. Ein Bezirksgericht in Tokio hat ihre Klage am vergangenen Donnerstag in allen Punkten abgewiesen. Das war zu erwarten: Das Oberste Gericht wies vor zwei Jahren die Klage eines Musiklehrers ab, der gezwungen worden war, die Hymne auf dem Klavier zu begleiten. Nao Yukitake, die Anwältin der Kläger, hat deshalb Berufung ankündigt: Man müsse den Fall bis vors Oberste Gericht bringen.

Arai Hiroko, eine pensionierte Lehrerin, die wegen ihrer Haltung keinen Teilzeitjob erhielt, sagte zum Urteil: "Wir lehren unsere Schüler, selber zu denken, und nicht einfach Befehle zu befolgen." Früher seien Schlussfeiern voller Freude gewesen, heute herrsche an vielen Schulen eine vergiftete Stimmung. Bei den Schülern kursiert eine eigene Variante des Ungehorsams. Anstelle der tausend Jahre alten Original-Verse singen sie einen parodistischen englischen Text. Angeblich behelfen sich auch manche Lehrer mit diesem Kniff.

© SZ vom 03.04.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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