Natascha Kampusch:Die Jagd nach einem Gesicht

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An diesem Mittwoch steigt die große Show: Erstmals wird die junge Frau im Fernsehen zu sehen ein - allerdings nur in Umrissen.

Wolfgang Simonitsch

Kampusch wird auf Anraten ihrer Berater nur verdeckt sichtbar sein und auch nur auf gut vorbereitete Fragen antworten. Kampusch war acht Jahre lang in einem fünf Quadratmeter großen Verlies unter einer Garage am Ortsrand von Wien festgehalten worden und hat seit ihrer Flucht vor zwei Wochen einen gigantischen Medienhype ausgelöst.

Die Entscheidung für Kampuschs Outing wurde am Montag bekannt und wäre beinahe geplatzt: Denn ihre Eltern hatten gedroht, den Fernsehauftritt der Tochter mit einer einstweiligen Verfügung zu verbieten. Die getrennt lebenden Eltern waren zuletzt mit Zeitungen und Fernsehstationen und diversen "Exklusiv-Interviews" gut im Geschäft. Sie hatten eigene Medienberater beschäftigt und gaben ihren Widerstand gegen das erste, öffentliche TV-Solo ihrer Tochter erst nach längerem Zureden auf. Geholfen hat ihnen dabei die Zusicherung, gleich nach der Tochter auch selbst im ORF auftreten zu können: Brigitta Sirny und Ludwig Koch dürfen mitreden, wenn es schließlich am "runden Tisch" um die Zukunft Nataschas geht.

Keine Kontakte mit "Qualitätsmedien"

Auch Österreichs größtes Boulevardblatt Neue Kronen Zeitung und die Illustrierte News werden schon am Mittwochabend mit Natascha-Interviews ihren Verkauf ankurbeln. Sie haben sich als einzige Printmedien im Vermarktungsrummel um Natascha mit einem einzigartigen Angebot durchgesetzt. Beide boten kein Bargeld, sondern haben versprochen, Frau Kampusch eine Ausbildung, Job und Wohnung zu besorgen. Oder wie es Kampuschs Medienberater Dietmar Ecker sagt: Beide hätten "auch soziale Kompetenz gezeigt" und seien deshalb bevorzugt worden.

Was den übrigen Zeitungen Österreichs freilich nicht sonderlich schmeckt: Manche beklagen wie der Standard, dass es keine Kontakte mit "Qualitätsmedien" gegeben habe. Berater Ecker rechtfertigt dies damit, Kampusch werde jahrelang auf das Geld aus der Vermarktung ihres TV-Interviews und sonstigen Beistand angewiesen sein.

RTL soll 250.000 Euro gezahlt haben

Dabei könnten ihr auch größere Summen hilfreich sein, die ihr Anwalt Gabriel Lansky bei Prozessen gegen Medien erstreiten will. Der Wiener Medienspezialist lässt derzeit von seinem Büro "jede Menge" in- und ausländischer Zeitungen und deren Umgang mit Bildern und Informationen über Natascha sichten. "Freilich ist Natascha ein öffentlicher Fall", sagt Lansky. Doch werde er genau hinschauen, ob die Spielregeln eingehalten worden sind. Er sei jetzt schon überzeugt, dass dies vielfach nicht passiert sei. Mehr könne er noch nicht sagen, meinte Lansky zur Süddeutschen Zeitung. Auch über die Summen möglicher Schadenersatzgelder wolle er noch nicht spekulieren. In Wien heißt es, dass jemand aus der Umgebung von Natascha Kampusch mit dem Handy ein Foto von ihr gemacht habe, die Zeitungen sich aber nicht getraut hätten, es abzudrucken.

Kein Problem wird der Kampusch-Anwalt damit haben, was bei der von etlichen Helfern Nataschas beeinflussten TV-Aufzeichnung eines rund 20-minütigen Gesprächs zwischen dem ORF-Fragesteller Christoph Feurstein und Natascha Kampusch am Dienstag herauskommt. Zeigen wird dies der Interview-Produzent ORF am Mittwoch im Hauptabendprogramm um 20.15 Uhr. Knapp danach geht auch RTL damit auf Sendung - allerdings gegen Geld. Im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen ORF, der für das publikumsträchtige Quotenstück nichts bezahlt und kostenlos dessen internationale Vermarktung übernommen hat, soll der Kölner Privatsender dafür bis zu 250 000 Euro auf den Tisch gelegt haben, berichten Wiener Blätter.

Schwer erträglicher Medienhype

Nach dem Erstauftritt von Kampusch sollte der Druck aus dem medialen Dampfkessel großteils verpufft sein, hofft der Wiener PR-Berater Dietmar Ecker. Er kümmert sich um die Medienkontakte des von Journalisten aus der ganzen Welt heiß begehrten Entführungsopfers. Bisher hat es gut 300 Interviewanfragen mit immer höheren Preisen für Exklusives von Frau Kampusch gegeben. Wie hoch die Angebote gewesen sind, sagte Ecker allerdings nicht.

Der laut Ecker nur schwer erträgliche Medienhype habe die Entscheidung beschleunigt: Obwohl Psychiater wegen des traumatisierten Zustands von Frau Kampusch vor einem vorschnellen Auftritt in der Öffentlichkeit gewarnt hatten, wolle man damit den medialen Belagerungszustand möglichst schnell auflösen. Ob dies mit einem kalkuliert inszenierten TV-Auftritt und verdecktem Gesicht der Begehrten aber rasch gelingen kann, bezweifeln Beobachter. Sie glauben, Natascha Kampusch werde wohl noch eine Zeitlang begehrtes Medienobjekt bleiben. Deshalb werden bereits Pläne für weitere Schutzmaßnahmen gewälzt. Überlegt wird sogar, ihr einen anderen Namen, eine ganz neue Identität zu geben.

© SZ vom 6.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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