Nahrung:Gene ohne Grenzen

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Künftig muss es auf der Packung stehen, wenn der Inhalt Bestandteile gentechnisch veränderter Organismen (GVO) enthält - wenn das Lebensmittel keinen solchen Hinweis hat, heißt das aber noch nicht, dass keine Gentechnik drin ist.

Die alten Römer haben bekanntlich eine sehr logische Sprache entwickelt. Wer Latein lernt, der tut sich leichter mit den modernen Sprachen, heißt es. Mit Zahlen allerdings tat sich die Hochkultur am Tiber schwer. Das merkwürdige System, bei dem Buchstaben addiert und subtrahiert werden, taugt allenfalls für dekorative Zwecke. Moderne Wissenschaft hätte man damit niemals betreiben können. Hinzu kommt, dass die Römer ein wesentliches Fundament der Mathematik nicht erkannten: die Zahl Null.

Der Hang zu schöner Sprache, gepaart mit nutzlosem Zahlenwerk, hat sich seitdem in der politischen Kultur des Abendlandes ganz gut erhalten. Jüngstes Beispiel ist die Gentechnik: Wohlklingend ist die Rede von der "Wahlfreiheit für die Verbraucher", wenn von Sonntag an EU-weit die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Nahrungsmittel gilt. Eine "Abstimmung mit dem Einkaufskorb" verspricht Verbraucherschutzministerin Renate Künast.

Künftig muss es auf der Packung stehen, wenn der Inhalt Bestandteile gentechnisch veränderter Organismen (GVO) enthält. Nur: Das Gegenteil wird es nicht geben. Wenn das Lebensmittel ohne Gentechnik-Hinweis ist, heißt das nicht, dass keine Gentechnik drin ist. Die Null gibt es in diesem Fall nicht. Null liegt der neuen Regelung zufolge irgendwo zwischen null und 0,9. So viele GVO-Anteile dürfen künftig ohne Kennzeichnung enthalten sein, wenn sie "zufällig" oder "technisch unvermeidbar" hineingeraten sind.

Ein schärferer Grenzwert war nicht kompromisstauglich. In einem zähen Ringen konnten Landwirte und Lebensmittelhersteller die EU-Kommission davon überzeugen, dass eine hundertprozentige Trennung schlicht unmöglich (will auch heißen: zu teuer) ist. Auch die Forderung von Naturschutzverbänden, Fleisch, Eier und Milch von Tieren zu kennzeichnen, die mit GVO-Futter versorgt wurden, kam nicht durch. Diese Produkte brauchen die Hersteller weiterhin nicht zu kennzeichnen. Das müsste allerdings spätestens dann geändert werden, wenn sich eines Tages zeigt, dass das Futter in den Tier-Produkten nachgewiesen werden kann.

Angst vor "Frankenstein-Food"

Nun ließe sich fragen, was die Aufregung soll. Die neue Verordnung ist die strengste der Welt, und das bisschen Gentechnik hat noch niemandem geschadet - was nach den jetzigen Erkenntnissen der Wissenschaft stimmt. Tatsächlich sind es meist irreale Vorstellungen, die vor allem in Europa die Angst vor Gentechnik schüren. Kein Einziges der bereits auf dem Markt erhältlichen GVO-Produkte konnte bislang mit Gesundheitsgefahren in Zusammenhang gebracht werden.

Es ist zum großen Teil einer beispiellosen Kampagne von Umweltschutzverbänden und Medien zu verdanken, dass gentechnisch veränderte Nahrungsmittel im öffentlichen Ansehen etwa auf dem Niveau von radioaktivem Abfall liegen.

Spätestens seitdem englische Zeitungen den Gentechnik-Befürworter Tony Blair mit einem verformten, grün gefärbten Gesicht illustrierten, gehört der Begriff vom "Frankenstein Food" zum allgemeinen Sprachgebrauch. Und Organisationen wie Greenpeace lassen keine Gelegenheit aus, mit dem Thema Genfood auf der Popularitätsskala zu punkten. Die Vorstellung vom Horror-Essen ist subkutan tief in das Bewusstsein der Verbraucher gedrungen. Es darf angenommen werden, dass auch jene FDP-Politiker, die kürzlich zu einer PR-Vesper mit Gentechnik-Bier luden, beim Schlucken leichten Widerstand im Hals verspürten.

Dabei wird oft vergessen, dass genetische Veränderung auch ein Werkzeug der Natur ist. Seit Milliarden Jahren gehört es zur Grundlage der biologischen Evolution, Erbgut neu zu kombinieren. Den Menschen gäbe es nicht, hätte die Natur nicht pausenlos mit Nukleinsäuren herumprobiert. Und viele der heute wichtigen Nutzpflanzen sind erst entstanden, als der Mensch längst begonnen hatte, Äcker zu durchpflügen. Der Blumenkohl zum Beispiel ist weniger als tausend Jahre alt.

Und doch besteht ein gewichtiger Unterschied zu den Methoden der modernen Molekularbiologie: Da werden die Abläufe der natürlichen Evolution auf groteske Weise beschleunigt. Die von Menschen betriebene Biotechnik löst plötzlich Grenzen auf, die in der Natur zwischen den Organismen bestehen, etwa zwischen Tieren und Pflanzen. Das Gen, welches den mittlerweile weit verbreiteten "Bt-Mais" resistent gegen Herbizide macht, stammt zum Beispiel aus einem Bakterium. Für die natürliche Evolution ist es notwendig, dass Lebewesen sich im Zusammenleben aufeinander einstellen. Wenn man künstlich zusammenwürfelt, was natürlicherweise nie aufeinander getroffen wäre, sind die Folgen unvorhersehbar.

Die Biosphäre als Labor

Nun gehören Experimente mit ungewissem Ausgang zum Pflichtprogramm der Wissenschaft. Und neue Technologien, die auch gewisse Risiken bergen, sind die Basis allen Wohlstandes. Doch während sich Mobilfunkantennen und Atomkraftwerke abschalten lassen, ist die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen ein nicht zu bremsender Selbstläufer.

Tiere und Pflanzen halten sich nicht an Grenzzäune und Abstandsflächen. Es gibt zwar Versuche mit Selbstmord-Genen und Organismen, denen Sterilität einprogrammiert wird für den Fall, dass sie ausbüchsen - was Herstellern auch deshalb gefällt, weil die Landwirte dauernd neues Saatgut kaufen müssen. Doch sogar der amerikanische Wissenschaftsrat hält solche biologischen Barrieren nicht für dicht. 70 Millionen Hektar Land sind weltweit bereits mit gentechnisch veränderten Organismen bepflanzt. Die globale Biosphäre wird längst als riesiges Experimentallabor missbraucht.

Weil es auf dem Weg ins Genfood-Zeitalter keinen Rückwärtsgang gibt, kann auch von einer in diesen Tagen viel zitierten "Wahlfreiheit" für den Verbraucher keine Rede sein. Ökologische Landwirtschaft, zu deren Prinzip es bislang gehört, frei von gentechnisch veränderten Zutaten zu sein, wird es in diesem Sinne nicht mehr geben. Das werden auch strenge Haftungsbestimmungen nicht verhindern können, die derzeit noch dafür sorgen, dass Landwirte aus Angst vor Zivilklagen den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen vermeiden.

Letztlich sollte es den Gesetzgeber gar nicht interessieren, ob, wie und warum sich die Bevölkerung für oder gegen ein Nahrungsmittel entscheidet, solange ihre Gesundheit nicht gefährdet ist. Die Aufgabe des Staates sollte sein, dem Verbraucher die Freiheit zu erhalten, für sich selbst zu entscheiden, was er essen will.

Die Floskel von der "Abstimmung mit dem Einkaufskorb" wird jedoch absurd, wenn längst feststeht, dass in Zukunft alle Nahrungsmittel gentechnisch veränderte Bestandteile enthalten werden. Es ist das Zeugnis einer Gesellschaft, in der wichtige Entscheidungen längst nicht mehr von den Bürgern, sondern für die Bürger getroffen werden - eine Diktatur des Faktischen.

© SZ vom 17.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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