Nach Unglück im Ärmelkanal:Strandräuber auf Beutejagd

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Der havarierte Frachter MSC Napoli verliert Öl - und Fracht. Plünderer haben sich bereits bedient.

Wolfgang Koydl, London

Für die Bewohner des kleinen Küstenorts Barnscombe und anderer Dörfer entlang der wildromantischen Küste der Grafschaft Devon muss es wie ein verspätetes Weihnachten sein.

Zu Hunderten strömten die Menschen hinunter an die Strände, wo Container und anderes Gut von dem gestrandeten Frachter MSC Napoli angeschwemmt worden sind - und niemand schien sich um die Drohungen der Polizei zu scheren, die davor warnte, dass einige der Transportbehälter giftige oder gefährliche Stoffe enthalten könnten.

Bekleidung, Weinfässer und Keksdosen

Wie Legosteine aneinander gereiht lagen Container im Sand, angespült von den meterhohen Wellen, welche die schweren Stürme der letzten Wochen aufgepeitscht hatten. Für die Strandläufer muteten sie an wie eine Art stählerner Wundertüten, da niemand wusste, was sie enthielten.

Dazwischen hat sich der Inhalt geborstener Stahlbehälter ergossen: Autoersatzteile und Bekleidung, Weinfässer und Keksdosen, Erstehilfe-Kästen und Auspuffanlagen, Parfumflakons und Turnschuhe, brandneue BMW-Motorräder und sogar ein Auto - die Strände Devons sind durch die Havarie des 53.000 Bruttoregistertonnen großen Frachters in einen einzigen Supermarkt verwandelt worden.

Mit beiden Armen schleppten Anwohner ab, was sie tragen konnten. Die Motorräder wurden, wie der Ortsansässige Gareth Topping freudestrahlend einem Reporter der BBC erklärte, gleich an Ort und Stelle gestartet und den Steilhang hinauf nach Hause gefahren. Nach geltendem britischem Recht ist es erlaubt, angeschwemmtes Strandgut an sich zu nehmen, solange man es anschließend bei der Polizei registrieren lässt, damit der rechtmäßige Besitzer die Möglichkeit erhält, es zurückzubekommen.

Andernfalls drohen den Plünderern Haftstrafen; aber an der englischen Südküste ist es seit Jahrhunderten Tradition, die Ladung gekenterter oder gesunkener Schiffe abzutransportieren. Früher war es sogar üblich, vorbeifahrende Schiffe mit irreführenden Leuchtfeuern bewusst auf Grund laufen zu lassen.

In gewisser Hinsicht sind die Behörden allerdings erleichtert, dass es nun eher diese Plünderungen sind, mit denen sie sich befassen müssen, und nicht die ursprünglich befürchtete Umweltkatastrophe. Bisher sind lediglich 200 Tonnen Öl aus dem Rumpf des bewusst eine Meile vor der Küste auf Grund gesetzten Frachters ausgelaufen.

Es hat einen Ölfilm von rund acht Kilometer Länge auf dem Wasser gebildet, doch da es sich um Leichtöl handelt, werden die Gefahren für die Umwelt als verhältnismäßig gering eingeschätzt. Nur wenige Seevögel wurden mit dem Öl verschmutzt. Sie wurden von Rettern eingesammelt und gereinigt.

Spezialschiffe im Einsatz

Insgesamt lagerten am Montagnachmittag noch 3500 Tonnen Öl in den Tanks der MSC Napoli, aber schon am Morgen waren zwei Spezialschiffe längsseits gegangen, um den Treibstoff abzusaugen. Die Operation wurde dadurch erschwert, dass das Schiff eine schwere Schlagseite von etwa 45 Grad aufweist. Darüber hinaus muss das Öl zunächst erhitzt werden, bevor er abgepumpt werden kann. Die Küstenwache zeigte sich jedoch höchst zuversichtlich, dass eine Umweltkatastrophe verhindert werden könne.

Umweltschützer hatten zunächst das Schlimmste befürchtet, als der Frachter vor die unter Naturschutz stehende Küste geschleppt und dort auf Grund gesetzt wurde. In dieser Gegend leben eine Reihe seltener Seevögel, die hier überwintern. Julian Wardlaw von der britischen Umweltbehörde erklärte, dass es sich um ein ,,extrem empfindliches Stück Küste'' handele, das zudem von der Unesco als ,,Weltkulturerbe'' registriert worden sei. ,,Wir setzen alles daran, jegliche Schäden auf ein Minimum zu begrenzen'', sagte er.

Inzwischen scheint nach Angaben von Offiziellen auch die Gefahr gebannt zu sein, dass die während des Sturmes schwer beschädigte Napoli entzweibrechen könnte. In Devon weist man darauf hin, dass sich das Wetter verbessert habe, was die Bergung der 2323 Container an Bord des Frachters wesentlich erleichtere. Dennoch wird es nach diesen Angaben noch Tage, wenn nicht Wochen dauern, bis die gesamte Fracht gelöscht worden ist. Inzwischen ist ein acht Mann starkes Bergungsteam an Bord des Frachters gegangen; darüber hinaus soll auch ein Team von Tauchern eingeflogen werden.

Auch zunächst geäußerte Sorgen, wonach ein Großteil der Container gefährliche Stoffe enthalten könnte, scheinen sich nicht zu bestätigen. Wie bekannt wurde, sollen einige Stahlbehälter mit Batteriesäure beladen sein. Andere enthielten kleine Gasflaschen, wie sie zur Aktivierung von Airbags in Autos gebraucht werden. Auch Parfum wird nach diesen Angaben zu den toxischen Substanzen gerechnet, welche die MSC Napoli an Bord hatte.

Die Strandläufer von Devon werden demnächst freilich nicht damit rechnen können, dass weitere Container angeschwemmt werden. Denn der Wind hat zwischenzeitlich von Süd auf Nord gedreht. Was jetzt noch über Bord geht, ist unerreichbar. Es wird hinaus in den Ärmelkanal getrieben, hinüber an die französische Küste.

© SZ vom 23.01.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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