Nach Gefängnisstrafe:Die sanften Gesten der harten Hand

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Singapur entlässt die wegen Drogenmissbrauchs inhaftierte Deutsche Julia Bohl vorzeitig und ist dabei, seine Gesetze etwas zu lockern.

Von Manuela Kessler

Sie hat die Wahl, das Land in Handschellen zu verlassen oder eine Kaution zu stellen, die es ihr erlaubt, sich selbstständig zum Flughafen Changi zu begeben. Julia Bohl, soviel steht fest, wird Singapur innerhalb von Stunden verlassen, wenn sie an diesem Freitag vorzeitig aus der Haft entlassen wird.

Ein altes Foto von Julia Bohl aus dem Jahr 1998 (Foto: Foto: AP)

Ohne Angabe von Gründen, aber ihrem Anwalt zufolge "wegen guter Führung", hat der südostasiatische Stadtstaat der jungen Deutschen ein gutes Drittel ihrer fünfjährigen Gefängnisstrafe erlassen, zu der die damals 22-Jährige am 21. Juni 2002 wegen Drogenmissbrauchs verurteilt worden war. Das Urteil war für Singapurer Verhältnisse milde ausgefallen.

Genau 687 Gramm Cannabis hatte die Polizei drei Monate vor dem Urteil bei einer Razzia in der Wohnung von Julia Bohl sichergestellt, die ehemalige Abiturientin der deutschen Schule in Singapur hatte damals gerade ein Praktikum bei DaimlerChrysler begonnen.

Es drohte der Tod am Galgen

Nach dem Drogenfund drohte Bohl zunächst sogar der Tod am Galgen, weil der Singapurer Rechtsstaat den Kampf gegen die Drogensucht mit einer Gesetzgebung führt, die so abschreckend ist wie keine andere auf der Welt: Wer mehr als ein halbes Kilogramm Cannabis, 15 Gramm Heroin, 30 Gramm Morphin oder 250 Gramm Ice besitzt, gilt automatisch als Drogenhändler und damit als Kapitalverbrecher.

Der Gesetzgeber kennt keine mildernden Umstände in einem solchen Fall. Die Festnahme von Julia Bohl löste blankes Entsetzen und einen Medienrummel in Deutschland aus - und stellte die guten bilateralen Beziehungen auf eine Zerreißprobe.

400 Hinrichtungen in 15 Jahren

Das 4,2 Millionen Einwohner zählende Singapur hat Amnesty International zufolge in den vergangenen 15 Jahren mehr als 400 Hinrichtungen vollstreckt. Das ist an der Bevölkerungszahl gemessen einsamer Weltrekord.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die verurteilten Mörder und Dealer im Stadtstaat am Äquator meist in kleinen Gruppen gehängt werden, freitags, vor Sonnenaufgang, mit auf den Rücken gefesselten Händen und einer schwarzen Kappe über dem Kopf. Ein tiefer Fall soll für einen raschen Tod durch Genickbruch sorgen. Die Exekutionen wurden bis vor kurzem im Changi-Gefängnis ausgeführt, das die japanische Besatzungsmacht im Zweiten Weltkrieg ursprünglich als Konzentrationslager eingerichtet hatte.

Doch das berüchtigte Gefängnis ist unlängst abgerissen worden. Der Strafvollzug befindet sich auch in Singapur im Umbruch. Die Justiz hat mittlerweile die Rehabilitation im Umgang mit Drogenkonsumenten entdeckt: Wenn sie der Polizei das erste oder zweite Mal ins Netz gehen, landen sie nicht mehr zwingend hinter Gittern. Wer sich das dritte Mal mit Rauschgift erwischen lässt, muss jedoch mit lebenslanger Haft rechnen. Eine weitere Neuerung ist, dass Strafeinträge immerhin beim Tode gelöscht werden, damit die Hinterbliebenen nicht in alle Ewigkeit ein Stigma tragen.

Riesiger gesellschaftlicher Druck

Doch am Grundsatz, dass Singapur den Schutz der Gesellschaft und den Erhalt der Ordnung über die Rechte des Einzelnen stellt, hat sich nichts geändert. Der gesellschaftliche Druck, sich regelkonform zu verhalten, ist im südostasiatischen Stadtstaat riesig. Singapur war ein Umschlagplatz für Drogen und ein Sündenpfuhl, als Staatsgründer Lee Kuan Yew vor vier Jahrzehnten die Macht übernahm.

Der politische Übervater, der mit 81 Jahren noch immer ein gewichtiges Wörtchen mitredet, setzte auf die Abschreckungskraft drakonischer Strafen bei gleichzeitigem Fortschrittsstreben. Der eigenwillige Ansatz führte zum Erfolg: Singapur ist heute eine gleißende Metropole, die erstaunlich wenig Korruption und Kriminalität kennt.

Alles diplomatische und anwaltliche Geschick hätte in Julia Bohls Fall aber nichts genützt, wenn der bei ihr sichergestellte Stoff astrein gewesen wäre. Ein Labortest des "Blocks aus pflanzlicher Materie" ergab indessen, dass er nur 281 Cannabis enthielt. Es schadete auch nicht, dass die zerbrechlich wirkende Deutsche ihren malaysischen Freund Ben vor Gericht belastete. Er wurde als Drogenhändler zu 21 Jahren Haft und 22 Schlägen mit dem Rohrstock verurteilt, während sie als reuige Komplizin relativ glimpflich davonkam.

"Lektion gelernt"

Die langen Haare wurden Julia Bohl im Gefängnis abgeschnitten. Ihre Kluft bestand drei Jahre lang aus beiger Hose und beiger Bluse mit aufgedrucktem Namen und Nummer. "Sie hat ihre Lektion gelernt", sagt ihr Singapurer Anwalt Subhas Anandan. Bohl selber wird sich wohl frühestens in Deutschland äußern.

Hinter Gittern hat sie ein Fernstudium der Wirtschaftswissenschaften aufgenommen. Die Zwischenprüfungen habe sie erfolgreich absolviert, sagt ihr Anwalt, den Abschluss wolle sie unbedingt ablegen. Ob in Deutschland, wo die Mutter wohnt, oder in den Niederlanden, wo der Vater arbeitet, sei nicht entschieden.

© SZ vom 15.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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