Nach der Flut:Schweigen für die Opfer

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Millionen Menschen in Europa haben mit drei Schweigeminuten der wahrscheinlich mehr als 200.000 Flutopfer in Asien gedacht. Sie folgten um 12.00 Uhr einem Aufruf des EU-Ministerrates. In weiten Teilen Europas kam das öffentliche Leben zum Stillstand.

In weiten Teilen Europas war das öffentliche Leben zum Stillstand gekommen. Behörden, Börsen, Verkehrsbetriebe und Medien schlossen sich der EU-Initiative d angeschlossen.

In den Bahnhöfen ruhte der Verkehr für eine Minute, Busse und Bahnen standen bundesweit still. Aber auch viele Privatwagen stoppten am Straßenrand.

Vor dem Hamburger Rathaus versammelten sich Tausende im Gedenken, einige davon verharrten sichtlich bewegt in Stille auf dem Rathausmarkt.

In der Berliner Gedächtniskirche fand ein Gedenkgottesdienst statt, dessen Teilnehmer in Andacht schweigend verharrten.

Auch die Bundesregierung unterbrach ihre Arbeit im Gedenken an die Flutopfer.

Auch in Industrie und Handel verharrten viele Menschen in Schweigen. Geschäfte stellten ihre Musik ab, große Unternehmen wie das Bochumer Opel-Werk unterbrachen kurzzeitig die Produktion. Auch in etlichen Stadtverwaltungen gedachten Beschäftigte den Toten.

Fernsehsender unterbrachen ihre Berichterstattung und sendeten, begleitet von getragener Musik, Bilder des Elends in Südasien abwechselnd mit Live-Bildern von zentralen Plätzen in Deutschland. Radiostationen sendeten klassische Musik.

Viele Medien nahmen ihr Programm dann mit der Berichterstattung über die Folgen des Bebens und der Flutwelle wieder auf.

In der Frankfurter Börse allerdings hielt das hektische Treiben an. Hier schien niemand Zeit zum Trauern zu haben. Kein Händler nahm aktiv am Geschehen teil. Die Flutkatastrophe hatte nur wenig Auswirkungen auf den Aktienhandel gehabt.

Unterdessen hat Bundespräsident Horst Köhler einen Staatsakt zum Gedenken an die Opfer angeordnet. Die Gedenkfeier mit den Vertretern von Regierung, Bund und Ländern findet am 20. Januar um 14.00 Uhr im Reichstagsgebäude in Berlin statt, teilte das Bundespräsidialamt in Berlin mit.

Am Sonntag wollen die die Spitzen von Staat und Gesellschaft in Deutschland mit einem ökumenischen Trauergottesdienst im Berliner Dom der Opfer gedenken. Teilnehmen werden auch Bundespräsident Horst Köhler, der Kanzler, das Bundeskabinett und die Oppositionsführer.

500 Millionen Euro Finanzhilfe

Für den Wiederaufbau der zerstörten Regionen will die Bundesregierung ihre Finanzhilfe auf bis zu 500 Millionen Euro aufstocken.

Zur Bewältigung der Flut-Folgen in den asiatischen Katastrophengebieten stellt Deutschland 500 Millionen Euro zur Verfügung. Das teilte Bundeskanzler Gerhard Schröder nach einer Sondersitzung des Kabinetts in Berlin mit.

Laut Schröder steht die Summe für einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren zur Verfügung. Das sei abhängig von der Aufnahmefähigkeit der Regionen für Hilfsmaßnahmen. Aufgebracht werden soll das Geld in diesem Jahr im normalen Haushaltsvollzug und in den folgenden Jahren im Zuge der normalen Haushaltsaufstellung.

Mit der Summe, die etwa zwei Promille des Bundeshaushalts eines Jahres entspricht, steht Deutschland an der Spitze der internationalen Hilfszusagen von Regierungen, vor Japan (367 Millionen Euro) und USA (257 Millionen Euro).

Unklar war zunächst, wie die Bundesregierung das Geld für die Fluthilfe aufbringen wird. Zur Finanzierung müssen voraussichtlich alle Ressorts Umschichtungen in ihren Einzeletats vornehmen.

Im Gespräch sind auch Entlastungen des Bundeshaushalts durch eine vorzeitige Rückzahlung russischer Altschulden, die Präsident Wladimir Putin im Dezember in Aussicht gestellt hatte. Schröder will dem Kabinett an diesem Mittwoch einen konkreten Vorschlag machen. Die privaten Spenden schnellten auf 70 Millionen Euro hoch.

Zahlreiche Städte zwischen Kiel und München wollen nach dem Vorstoß von Schröder mit Partnerschaften den Flutopfern helfen. Kommunen wie München oder Bonn haben bereits Projekte gestartet. Noch für dieses Jahr ist in Deutschland eine internationale Konferenz zum Thema Frühwarnung bei Naturkatastrophen geplant.

Langfristiger Einsatz der Bundeswehr

Unterdessen hat Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) einen längerfristigen Einsatz der Bundeswehr im Krisengebiet angekündigt. Auf dem Weg in die Katastrophenregion hatte das Versorgungsschiff "Berlin" der Bundesmarine einen Motorschaden.

Es müsse langsamer fahren, bestätigte ein Bundeswehr-Sprecher der Zeitung Die Welt. Dennoch werde die "Berlin" mit 45 Krankenbetten und zwei Operationssälen Mitte nächster Woche ihr Ziel erreichen.

Die Zahl der vermissten Deutschen sank erstmals leicht. Sie liegt aber immer noch über 1000. "Es besteht leider kein Anlass zur Entwarnung", sagte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Klaus Scharioth. Die Zahl der identifizierten deutschen Toten bezifferte er weiter mit 60, die der Verletzten mit 300. Bisher seien 130 Verletzte ausgeflogen worden.

Neuer Schwerpunkt der deutschen Katastrophenhilfe ist nach Sri Lanka nun der Norden Sumatras.

Nach Angaben von Helfern im Krisengebiet gehen die Leichensäcke aus. "Wir brauchen dringend einige tausend mehr", sagte ein Helfer dem privaten Radiosender El Shinta. Seinen Schätzungen zufolge sind 15.000 Leichen allein in der Umgebung der verwüsteten Provinzhauptstadt Banda Aceh im Norden Sumatras noch nicht geborgen.

Die Regierung befürchtet, dass die Flutwellen in und um Banda Aceh rund 30.000 Menschen in den Tod gerissen haben. Offiziell bestätigt wurden in Indonesien zunächst 94.100 Tote. Die Regierung rechnet jedoch mit rund 100.000.

An diesem Donnerstag ist in Jakarta eine internationale Geberkonferenz für die Flutopfer geplant. Am Freitag kommen die EU- Außenminister zu einem Sondertreffen in Brüssel zusammen. Wie die Luxemburger Ratspräsidentschaft mitteilte, wollen die Minister eine weitere Geberkonferenz am 11. Januar in Genf vorbereiten.

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