Nach der Detonation in China:Absehbare Katastrophe

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Die Explosion in Tianjin mit mindestens 50 Toten und mehr als 700 Verletzten löst eine Sicherheitsdiskussion aus. Chinas Industrie wird regelmäßig von Explosionen überschattet.

Von Marcel Grzanna, Shanghai

Die Explosion in Tianjin mit mindestens 50 Toten und mehr als 700 Verletzten hat in China eine Diskussion über die laxe Umsetzung von Sicherheitsbestimmungen in der Industrie ausgelöst. Angehörige der Opfer und Experten fragen sich, wie es zu der verheerenden Detonation auf dem Hafengelände kommen konnte, obwohl es sich um einen Lagerplatz eigens für Gefahrgüter handelte. "Die Wirtschaft entwickelt sich immer weiter, aber unsere Brandschutzregeln sind die gleichen wie vor 20 Jahren. Es kümmert sich niemand darum, sie auf den neuesten Stand zu bringen", klagt der unabhängige Brandschutzfachmann Wang Weisheng aus dem südchinesischen Guangzhou.

Die Lagerung am Hafen ist meist nur vorübergehend. Daher bestehe die Gefahr, dass die Verantwortlichen für den kurzen Zeitraum den Sicherheitsprozess abkürzen wollen, um sich den bürokratischen und finanziellen Aufwand zu sparen. "Im Normalfall wird die Lagerung von Gefahrgütern angemeldet und dann von Experten vor Ort überprüft, damit solche Katastrophen ausgeschlossen werden. Möglicherweise gab es in Tianjin eine Lücke in diesem Netz", so Wang. Die Behörden ermitteln. Die Manager der zuständigen Logistikfirma sind festgenommen. Problematisch beim Brandschutz ist auch die strenge Hierarchie, die sich durch die Abteilungen zieht. Die Führungspositionen sind oft nach politischem Kalkül vergeben und von Parteikadern besetzt. Die ausgebildeten Experten haben dann meistens keinerlei Autorität.

Chinas Industrie wird von Brandkatastrophen oder Explosionen regelmäßig überschattet. Das letzte Unglück dieser Art gab es vor etwa einem Jahr 70 Kilometer nordwestlich von Shanghai. Damals starben bei einer Explosion in einer Autoteilefabrik in Kunshan 75 Menschen, weil die Lüftungsanlage unzureichend funktionierte und sich die Luft wegen einer zu hohen Feinstaubbelastung entzündete.

Die Regierung in Peking versetzen diese Katastrophen in höchste Alarmstufe, weil ihnen immer wieder vorgeworfen wird, sie würden zulassen, dass chinesische Unternehmen ihren Profit über die Sicherheit ihrer Angestellten stellen würden. Vor einem Jahr schaltete sich der Staatsrat, das chinesische Regierungskabinett, ein. Es folgten landesweite Inspektionen von Fabriken. Auch im jüngsten Fall machten Internetnutzer schlechtes Management und menschliches Versagen verantwortlich. Der Zeitpunkt ist denkbar schlecht, weil die stotternde Wirtschaft und der Einbruch am Aktienmarkt den Unmut der Menschen provoziert hat.

Zwei Probleme belasten die Sicherheit: Korruption und Personal. Um staatliche Auflagen zu umgehen, bereichern sich Manager gerne selbst und bestechen Kontrolleure. Zudem sind gut ausgebildete Mitarbeiter schwer zu finden. Das enorme Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre hat einen großen Fachkräftemangel nach sich gezogen. Zudem kümmern sich die Firmen nicht immer um die Weiterbildung ihres Personals. Ein Mitarbeiter der Logistikfirma, die das Lager betrieb, bestätigte der Internetseite cnr.cn, dass er nie eine Schulung für den Umgang mit gefährlichen chemischen Substanzen erhalten habe.

© SZ vom 14.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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