Mysteriöse Großherzigkeit:Räuber geben Beute zurück

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In Neapel werden Maria, Josef und Hirten gestohlen - doch plötzlich sind die Krippenfiguren wieder da.

Stefan Ulrich

Es klingt wie ein Märchen, aber es ist eine wahre Geschichte aus Neapel: Es war einmal eine wunderschöne alte Weihnachtskrippe. Sie zeigte in fünf großen Szenen die Geburt und das Leben Jesu und das bunte Volkstreiben der Stadt am Vesuv.

Figurlos: Ein Carabiniere steht am 18. Dezember vor der ausgeraubten Krippe. (Foto: Foto: dpa)

Jahr für Jahr im Dezember baute der Pfarrer Don Mario Rega die kostbaren Figuren aus dem 18. Jahrhundert in einem Gewölbe seiner Kirche San Nicola alla Carità in der Altstadt auf. Auch in diesem Jahr strömten wieder unzählige Kinder mit ihren Eltern oder Lehrern in die "Krippenkirche", wie die Neapolitaner San Nicola nennen.

Pfarrer in Tränen aufgelöst

Eine Woche vor Weihnachten aber schlichen sich in einer gewittrigen Nacht drei finstere Gestalten zum Seiteneingang der Barockkirche. Sie schweißten die gepanzerte Tür auf, überlisteten die Alarmanlage und stiegen in das unterirdische Gewölbe hinab.

Einer der Räuber drang in die Nischen mit den Krippenlandschaften ein und reichte seinen Kumpanen die dreißig bis vierzig Zentimeter hohen Figuren mit ihren Gewändern aus Samt, Seide und Damast heraus. So wanderten Maria und Josef, die Hirten und die Waisen, der Ochse, die Schafe, die wasserschöpfende Magd und die einen Baumstamm zersägenden Tischler in die Säcke der Räuber. Kunstexperten schätzten die Beute auf eine Million Euro.

Am nächsten Morgen brach es Don Mario Rega fast das Herz, als er die Bescherung sah. Gewiss, die Krippe habe auch einen großen materiellen Wert, sagte der Pfarrer unter Tränen. "Aber vor allem haben die Diebe den Kindern, die schon immer hierherkommen, die Freude geraubt. Das ist das eigentliche Drama." Zudem sei seinem Neapel, das vom Verbrechen geschunden werde, ein weiterer Schlag verpasst worden. Nicht einmal vor den "weihnachtlichen Werten" schrecke die Unterwelt mehr zurück.

Ein kleines Hoffnungszeichen aber blieb Don Mario. Denn die Banditen hatten ausgerechnet das Jesuskind in seiner Krippe zurückgelassen. Also sprach der Pfarrer: "Wenn diese Räuber Christen sind, werden sie auf den Ruf eines armen Priesters hören: Gebt diese Figuren zurück - nicht weil sie so wertvoll sind, sondern weil sie Tausenden armen Kindern dieser Stadt Freude bereiten."

Atem der Polizei gespürt

Die Hoffung der Polizei indes war gering. Sie ging von einer Tat im Auftrag skrupelloser Kunstsammler aus. In den folgenden Tagen durchsuchten die Fahnder Dutzende Wohnungen der üblichen Verdächtigen - der Kunstdiebe und Hehler. Dann, am Freitag vor Weihnachten, tauchten Maria, Josef und die anderen plötzlich wieder auf. Die 171 Figuren lagen, sorgfältig in Schachteln verpackt, in der offenen Landschaft. Nur eine fehlte: Pulcinella, der Hanswurst des neapolitanischen Volkstheaters.

Die Diebe hätten den Atem der Polizei gespürt, meinte der Einsatzleiter, der auf den passenden Namen Antonio de Jesu hört. Don Mario bietet eine andere Erklärung: "Unser Herrgott hat uns ein wunderschönes Weihnachtsgeschenk gemacht." Umso leichter fiel es dem Pfarrer, den Räubern zu vergeben. Die Kinder Neapels aber können nun wieder bis Heilig-Drei-König ihre schöne alte Krippe in San Nicola sehen.

© SZ vom 30.12./31.12.2006/1.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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