Muttergefühle:"Selbst für die Pisa-Studie fühlen sich Mütter verantwortlich"

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Schon wieder Muttertag: Schnell Blumen kaufen, zu Hause anrufen, fertig? Nein! Denn Mütter haben viel mehr verdient, vor allem weil sie an sich zuletzt denken. Ein Interview.

Interview: Eike Schrimm

Anne Schilling, Geschäftsführerin des Deutschen Müttergenesungswerks, spürt Tag für Tag, wie Mütter darunter leiden können, wenn sie es Kind, Mann und Gesellschaft recht machen wollen.

Anne Schilling, Geschäftsführerin des Deutschen Müttergenesungswerks (Foto: Foto: Müttergenesungswerk)

sueddeutsche.de: Der Muttertag ist doch so überflüssig wie der Valentinstag!

Anne Schilling: Nein. Wir brauchen den Muttertag mehr denn je. Leider hat das Müttergenesungswerk es sehr nötig, den Muttertag zum Spendentag auszurufen. Nur mit dieser finanziellen Unterstützung, können wir Müttern helfen. Natürlich ist der Muttertag be- und überlastet mit Klischees. Aber es ist wichtig, dass wenigstens an einem Tag im Jahr die Mutter ins Zentrum rückt.

sueddeutsche.de: Also müssen Kinder und Vater ausnahmsweise früher aufstehen, den Tisch decken und mit frischen Blumen dekorieren?

Anne Schilling: Das ist zwar schön und gut, aber bestenfalls nur Beiwerk. Der Muttertag sollte Anlass sein, dass die Familie die Mutter fragt: Wie geht es dir? Was sind deine Bedürfnisse? Was können wir tun, damit du dich wohl fühlst? Denn: Geht es der Mutter gut, geht es auch der Familie gut.

sueddeutsche.de: Es ist doch erstaunlich, dass nur 18 Prozent der Frauen, die an Kuren des Müttergensungswerks teilnehmen, "geringe Anerkennung" als belastend empfinden. Ist die Anerkennung von Müttern also in der Gesellschaft gestiegen, gerade weil immer weniger Kinder in Deutschland geboren werden?

Anne Schilling: Nein! Es geben zwar nur 18 Prozent diesen Grund an, aber unter mangelnder Anerkennung leiden viel mehr Frauen. Eine Landschaftsarchitektin steigt zum Beispiel nach jahrelanger Erziehungspause nicht in ihren gelernten Beruf ein, sondern arbeitet als Schreibkraft. Da sehen Sie doch schon, was sich Mütter zutrauen. Nämlich viel zu wenig.

sueddeutsche.de: Über die Hälfte der Kurteilnehmerinnen fühlen sich durch den ständigen Einsatz für die Familie stark belastet. Warum wird der Alltag für Mütter zur Last?

Anne Schilling: 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr übernehmen sie die Verantwortung für die Familie. Zuerst kommen Kinder und Mann, ihre eigenen Ansprüche stellen sie hinten an. Sogar für die schlechten Pisa-Ergebnisse fühlen sie sich verantwortlich.

sueddeutsche.de: Woher kommt dieser Druck?

Anne Schilling: Die Rollenbilder in der Gesellschaft sind sehr mächtig. Eine Mutter muss heute attraktiv, fit und beruflich erfolgreich sein, gleichzeitig muss sie natürlich auch die Kinder groß ziehen und den Haushalt im Griff haben. Leider versuchen viele Mütter diesen Rollenbilder gerecht zu werden und brechen dabei im wahrsten Sinne des Wortes zusammen.

sueddeutsche.de: Woran erkennen Sie, dass Mütter die Last nicht mehr aushalten?

Anne Schilling: Das Erschöpfungssyndrom setzt sich aus mehreren Krankheiten zusammen. Chronische Rückenschmerzen, Ess-, Schlafstörungen, Panikattacken, Migräne und so weiter.

sueddeutsche.de: Sollten Frauen nicht einfach egoistischer sein, damit sie nicht zu kurz kommen?

Anne Schilling: Es steht ihnen zu, mehr an sich zu denken. Aber das Rollenbild lässt der Mutter wenig Freiraum. Und oft schaffen es Frauen nicht von sich aus, die eigenen Wünsche genauso wichtig zu nehmen wie die der anderen.

sueddeutsche.de: Löst die Mutter-Kur die Probleme und heilt die Schmerzen?

Anne Schilling: Unser Kur-Ansatz ist ganzheitlich und mütterspezifisch. Die Kurteilnehmerinnen werden medizinisch. physiotherapeutisch und sozialpschologisch behandelt. Wir möchten den Zusammenhang zwischen seelischem Zustand und körperlicher Gesundheit aufzeigen. Die Kurteilnehmerin soll so ihr Selbst-Hilfe-Potential erkennen und es im Alltag nutzen. Auch nach Ablauf der Kur ist sie nicht auf sich allein gestellt. An ihrem Wohnort hat sie weiterhin bei unseren Beratungsstellen die Möglichkeit, Unterstützung zu erhalten, um in der Kur Erlentes in den Alltag umzusetzen. Dieses Konzept ist sehr erfolgreich.

sueddeutsche.de: Welche Frauen nehmen hauptsächlich an Ihren Kuren teil?

Anne Schilling: Mehr als 70 Prozent der Mütter befinden sich in der aktiven Erziehungsphase. Sie sind also zwischen 26 bis 40 Jahre, ihre Kinder sind bis 16 Jahre alt. Dabei sind Alleinerziehende, kinderreiche Frauen und Sozialhilfebezieherinnen mit 28, 32 und zehn Prozent überrepräsentiert.

sueddeutsche.de: Was können Kinder und Partner nun aber im Alltag tun, damit nicht die ganze Verantwortung bei der Mutter hängen bleibt?

Anne Schilling: In einem gesunden Familienleben sind Aufgaben und Verantwortung verteilt.

sueddeutsche.de: Der Mann verdient das Geld, die Mutter erzieht die Kinder?

Anne Schilling: Nein, so nicht. Auch wenn der Mann das Einkommen sichert, sollte er Haushalts- und Familienverantwortung teieln. Wenn eine Frau zum Beispiel in Teilzeit arbeitet, ist sie meistens trotzdem in Vollzeit für die Familie verantwortlich. Deshalb müssen die täglichen Aufgaben gleichberechtigt zugeteilt werden: Wer geht zur Elternsprechstunde? Wer organisiert Arzttermine? Wer kauft ein? Wer ist wann für die Kinder zuständig? Wer kocht wann und wer putzt was? Es gilt die Faustregel: Wer Aufgaben übernimmt, hat dafür auch die Verantwortung.

sueddeutsche.de: Sind berufstätige Mütter aber nicht mehr gestresst und deshalb auch schlechtere Mütter?

Anne Schilling: Dieser Vorwurf macht Mütter krank und nicht der Stress. Wir haben festgestellt, dass gerade Frauen, die nicht erwerbstätig sind, stärker unter mangelnder Anerkennung ihrer Arbeit leiden. Es ist also höchste Zeit, dass wir dieses entsetzliche Vorurteil endlich überwinden. Genauso wie den Begriff Rabenmutter. Frauen, die Beruf und Familie verbinden, muss man den größten Respekt zollen.

sueddeutsche.de: Und was ist mit den Vätern? Haben sie einen Vatertag verdient?

Anne Schilling: Warum nicht. Allerdings besteht auch hier dringender Modernisierungsbedarf.

Kurtelefon: Informationen über Mütter- oder Mutter-Kind-Kuren unter Telefon 030 - 33 00 29 29.

Spenden unter: Konto 8855504, Bank für Sozialwirtschaft, BLZ 700205000.

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