Musikindustrie:"Meinen Sie Becker?"

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Die Musik-Download-Dienste iTune von Apple und OD2 sind jetzt mit großem Trara auch in Deutschland an den Start gegangen. Aber funktioniert eigentlich das legale Runterladen? Und gibt's auch Beethovens Neunte?

Von Christopher Schrader

Auf diese Nachricht hatten viele Musik-Freunde in Deutschland gewartet: Der Online-Musikladen von Apple hat am Dienstag nach einer Rede von Firmen-Chef Steve Jobs in London sein deutsches Portal geöffnet.

Screenshot der iTunes-Software. (Foto: Foto: dpa)

Und einen Tag vorher hatte schon der ebenfalls gerühmte, ebenfalls bisher für Deutsche verschlossene Dienst OD2 seinen Sprung von England nach Deutschland gemacht; er ist vom ehemaligen Genesis-Sänger Peter Gabriel gegründet worden.

Die Freude war mindestens im Falle von Apples iTunes Music Store so groß, dass gleich die Server überfordert waren: Am Dienstag abend konnte der Online-Service kaum Anfragen bewältigen, schon das Einrichten eines Nutzerkontos scheiterte am Verkehr im Netz.

Beide Dienste nutzen ein ähnliches Prinzip: Der Kunde sucht und bezahlt Musikstücke nicht auf einer normalen Webseite, sondern aus einem Programm heraus, das die Song-Bibliothek organisiert und die Musik abspielt.

Bei Apple erledigt das die Software iTunes, die sowohl auf hauseigenen Macintosh-Computern wie auch auf Windows-Rechnern läuft. OD2 nutzt dazu eine Erweiterung des Windows Media Player, den "Sonic Selector".

Er muss sich dabei für einen von vier Partnern entscheiden - unter anderem das Microsoft Network MSN und der Musiksender M-TV -, aber das Angebot hinter der unterschiedlich eingefärbten Frontseite unterscheidet sich nach Aussagen von OD2 zurzeit noch nicht.

Zunächst fällt das Angebot der beiden Dienste auf. Apple lockt mit 700.000 Stücken, darunter einigen Exklusiv-Stücken, die es nirgends sonst gibt, zum Beispiel eine akustische Version von "Everything" von Alanis Morissette.

Die Zahl der Tracks, die Jobs in London nannte, wird aber in ersten Bewertungen angezweifelt. Indizien dafür sind Künstler wie Elvis Presley, von dem es nur fünf Stücke gibt, und Elton John, der gar nicht vertreten ist, obwohl der amerikansche Shop Dutzende Alben anbietet.

Eher schräge Künstler wie Ian Dury und Frank Zappa sowie Sänger und Gruppen, die von zahlreichen Independent-Labels vertreten werden, fehlen ganz.

Außerdem hat Apple, wie viele andere Download-Dienste, Probleme damit, Songs von Künstlern wie Madonna, Metallica und den Beatles anzubieten, die sich gegen die Internet-Angebote wehren.

Außerhalb des englischsprachigen Angebots findet der Kunde zwar bei lateinamerikanische Musik zwar ein Grundangebot von Sängern wie Mercedes Sosa oder Pablo Milanes.

Aber beim deutschen Angebot fehlt dem deutschen iTunes Music Store noch einiges: Wer "Wecker" in das Suchfeld eingibt und auf Songs des Liedermachers Konstantin Wecker hofft, den fragt das Programm: "Meinen Sie Becker?"

Marius Müller-Westernhagen ist ebenso unbekannt wie Jule Neigel, und Schlagersängerinnen wie Katja Ebstein und Mary Roos fehlen ebenso. Diese hingegegen findet der Kunde bei OD2, dass eigenen Angaben zufolge 350.000 Titel anbietet.

Hier gibt es auch zwei Alben von Konstantin Wecker. Sogar das Problem mit Madonna und Metallica hat der Dienst aus England gelöst: Von den Hardrockern gibt es ein Album, von der wandelbaren Pop-Ikone gleich neun.

Dafür ist zum Beispiel das Angebot am Latino-Musik kümmerlich. Und Frank Zappa hat auch OD2 nicht im Angebot.

Beide Dienste bieten auch klassische Musik, bei Apple kann man Konzerte teilweise sogar satzweise herunterladen. Das hat dann aber zur Folge, dass ein Cello-Konzert von Vivaldi 2,97 Euro kostet.

Komplette Sätze von Beethovens Neunter Symphonie hingegen bekommt man nicht einzeln, sondern nur im ganzen Werk (oder in einem Fall den vierten Satz mit der "Ode an die Freude" in mehrern kleinen Häppchen).

Dafür gibt es fünf verschiedene Aufnahmen, darunter aber kein deutsches Orchester. Bei OD2 hingegen fehlt die Neunte ganz, und die anderen Symphonien ließen sich nicht zunächst probehören.

Auch das Angebot bei Vivaldi ist viel kleiner: Es beschränkt sich auf Nigel Kennedys "Vier Jahreszeiten" und eine weitere Platte.

Bei den Preisen und der Abrechnung bestehen schon größere Unterschiede zwischen Apple und OD2. Apple nimmt für jeden Song 99 Cent, das gilt sowohl für alte Tangos von Carlos Gardel, die kaum länger als zwei Minuten dauern, als auch für eine Live-Fassung von Deep Purples "Smoke on the water" Purple mit fast acht Minuten Länge.

Manche langen Songs jedoch kann der Kunde nur bekommen, wenn er das ganze Album zum Preis von 9,99 Euro kauft. Ein Beispiel ist Billy Idols "White Wedding".

OD2 hingegen verlangt zwischen 1,29 und 1,89 pro Song - die angeblich vorhandenen Stücke zu 99 Cents waren beim ersten Test nicht zu finden.

Zurzeit jedoch gibt es ein Einführungsangebot mit einem Rabatt von 50 Prozent.

Beim Eintreiben des Geldes hingegen gehen die beiden Angebote ganz andere Wege. Während Apple Song für Song über die angegebene Kreditkarte abrechnet, muss man bei OD2 entweder einen Betrag von 10 bis 30 Euro hinterlegen - ebenfalls per Karte - oder ein Abonnement kaufen.

Dabei gibt es bis zum 27. Juni Rabatt: Wer 15 Euro hinterlegt, bekommt ein Guthaben von 30 Euro.

Bei der technischen Umsetzung zeigt Apples Angebot schnell seine Überlegenheit. Wer zum Beispiel einen Song 30 Sekunden lang kostenlos probehören möchte, muss nach dem Anklicken vielleicht eine Sekunde warten, wenn er eine DSL-Verbindung nutzt.

Und um schnell von einem Stück auf einer Suchliste zum nächsten zu springen, genügt ein Druck auf die rechte Cursortaste. Bei OD2 braucht das Windows-Programm bei der gleichen Netz-Verbindung mindestens fünf Sekunden, bis der erste Ton erklingt.

Auch das Wechseln zum nächsten Stück ist kompliziert: Man muss es in einem Fenster anfordern, das gerade laufende dann im Nachbarfenster stoppen. Und wenn die 30-Sekunden-Probe vorbei ist, spielt die Software ungefragt einen der Songs an, die man vorher gehört hat, wenn man es nicht daran hindert.

Weniger offensichtlich, aber für den Gebrauch der gekauften Songs wichtig, ist der Vorsprung des Apple-Dienstes bei den digitalen Rechten, die der Kunde an den Musikstücken erwirbt. Er darf sie unbegrenzt hören, auf CD brennen und auf MP3-Spieler kopieren - allerdings nur, wenn es iPods von Apple sind.

Und der Käufer darf die Songs an bis zu fünf Computer im eigenen Netzwerk weitergeben. Die Rechte, die OD2 vergibt, sind restriktiver: Hier ist nur das Hören unbegrenzt, das Brennen auf eine CD und das Kopieren auf ein tragbares Gerät dagegen sind meist limitiert - es ist drei-, fünf- oder in seltenen Fällen zehnmal erlaubt. Andere Computer, etwa das Notebook für unterwegs, darf man nicht versorgen.

Um die ausgewählte Musik dann zu kaufen, klickt man im Apple-Angebot auf den "Jetzt kaufen"-Knopf. Je nach Einstellung lädt das Programm die Datei dann sofort herunter, während der Nutzer weiter stöbert.

Oder es legt die Auswahl zunächst in einen Warenkorb, um sie dann später an einem Stück aus dem Netz zu ziehen.

Bei OD2 ist das Verfahren weniger klar; tatsächlich ist es bei ersten Tests auch nicht gelungen, die gewählten Stücke zu bezahlen und herunterzuladen (beim M-TV-Angebot des Dienstes). Alle erreichbaren "Download"- Knöpfe führten nur zu Fehlermeldungen.

Geradezu absurd wurde es, als das Programm das Herunterladen eines Musikstücks mit dem Hinweis verweigerte, der Nutzer müsse sich einloggen, während es gleichzeitig denselben Song in geringerer Qualität aus dem Internet holte, um ihn komplett vorzuspielen, und für diesen Stream dann einen Cent vom Guthaben abbuchte.

Die Hilfedateien im "Sonic Selector" schwiegen sich über das Problem aus. Eine E-Mail an den Kundendienst wurde in den ersten 24 Stunden nach Abschicken nicht beantwortet. Telefongespräche mit einem OD2-Techniker, vermittelt von der M-TV-Pressestelle, brachten zunächst auch keine Lösung.

Erst ein Testkonto mit neuer Kennung brachte zumindest einen Teilerfolg: Der Download von zwei Stücken funktioniert. Aber dieser Weg dürfte "normalen" Kunden des Dienstes kaum offenstehen, und für die Anfangsschwierigkeiten gab es weiterhin keine Erklärung.

Fazit: Der Vergleich der beiden neuen Dienste zeigt deutlich, warum Apple mit riesigem Vorsprung Marktführer bei den legalen Musik-Downloads ist. Am Angebot allerdings sollten die iTunes-Macher noch arbeiten, wenn sie in Deutschland ähnlich erfolgreich werden möchten wie in Amerika.

© SZ vom 18.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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