Mumbai:Slum zu verkaufen

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300.000 Menschen sollen weichen, um aus Asiens größtem Armenviertel eine glitzernde Vorstadt zu machen. Denn die Wellblechsiedlung am Rande der Stadt passt nicht ins Bild einer modernen Metropole.

Das "Geschäft des Jahrtausends" verspricht Mumbais (früher Bombay) Stadtverwaltung seit einiger Zeit auf Hochglanz-Werbeseiten in Magazinen aus zwanzig Ländern. Die Rede ist von Dharavi, einer 214 Hektar großen Wellblechsiedlung der indischen Metropole, und die Anzeige richtet sich an Immobilien-Entwicklungsgesellschaften weltweit.

300.000 Menschen sollen weichen, um aus Asiens größtem Armenviertel eine glitzernde Vorstadt mit hochmodernen Büro- und Wohntürmen zu machen. Den Behörden ist der Slum ein Dorn im Auge, passt er doch so gar nicht zu Mumbais Image als Hauptstadt des Kinos und der Hochfinanz. Doch die Anwohner wehren sich.

Dharavi ist über die Grenzen Indiens bekannt: Der britische Thronfolger Prinz Charles hat den Slum bereits besucht, ausländische Staats- und Regierungschefs lassen ihn immer wieder auf ihr Besuchsprogramm setzen, Touristen und Bollywoods Berühmtheiten kommen zu Führungen.

Über drei Generationen haben die 57.000 Familien, die dort leben, ein florierendes Wirtschaftssystem aufgebaut: Sie leben vorrangig von der Töpferei oder Gerberei. In Sachen Recycling und Nachhaltigkeit gelten ihre Kleinbetriebe als vorbildlich.

Die Städtebauer dagegen versichern, Dharavis Gewerbebetriebe verschmutzten die ohnehin belasteten Wasserläufe. Sie wollen anstelle der Blechsiedlung lieber Wolkenkratzer, Schulen, Krankenhäuser und sogar einen Golfplatz sehen.

"Bewohner der Elendsviertel werden wie Ungeziefer behandelt"

Sieben Jahre würden die Bauarbeiten dauern, wenn sich Investoren finden. Doch vorher müssen noch die Anwohner überzeugt werden. Der Architekt des Projekts, Mukesh Mehta, verspricht ihnen Wohnraum in den neuen Bauten. Alle seit 1995 registrierten Einwohner würden kostenlos umgesiedelt, heißt es.

Mehta lockt mit einer "schönen Vorstadt, die Menschen auf der ganzen Welt nachahmen werden". "Überall auf der Welt werden die Bewohner der Elendsviertel wie Ungeziefer behandelt", betont er.

Der Bundesstaat Maharashtra (dessen Hauptstadt Mumbai ist) dagegen betrachte seine Slumbewohner "als wichtiges menschliches Kapital", versichert der Projektleiter.

Mumbais größtes Problem ist der Mangel an Platz. Auf einer Halbinsel im Arabischen Meer gelegen, kann die Stadt sich trotz stetigen Bevölkerungswachstums nicht ausdehnen.

Die 214 Hektar von Dharavi wären da sehr willkommen, um dem Moloch mit seinen 18 Millionen Einwohnern ein wenig Luft zum Atmen zu verschaffen.

Zunächst aber soll das Projekt eine Stange Geld bringen: 2,3 Milliarden Dollar hofft Maharashtra durch den Verkauf des Geländes und die Erteilung von Baugenehmigungen einzunehmen.

Für Investoren ist das Projekt hochinteressant: Die Immobilienpreise in Mumbai gehören zu den höchsten der Welt. Das Geschäftsviertel Nariman Point in Mumbai steht laut einer US-Liste an fünfter Stelle bei den Büromieten - nach der City von London oder Tokios Innenstadt.

Auch Wohnraum ist unglaublich teuer: Eine 100-Quadratmeter-Wohnung in guter Wohnlage kann leicht 300.000 Rupien im Monat kosten (5500 Euro). Im vergangenen Jahr stiegen die Mieten um 45 Prozent.

Ein Grund mehr für die Einwohner von Dharavi, dem Spekulationsprojekt mit Misstrauen zu begegnen. Laut dem Vorsitzenden des "Weltverbandes der Bewohner von Elendsvierteln", A. Jockin, wollen sie den Spekulanten nicht kampflos ihre Heimat überlassen.

Mit Massenprotesten demonstrieren sie gegen das geplante Ende ihrer Heimat. Weitere Kundgebungen und Aktionen sind bereits im Gespräch. "Der Kampf beginnt", warnt Aktivist Jockin.

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