Müllhalde Neapel:Von Mäusen und Menschen

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Neapel versinkt im Müll: Den Einwohnern stinkt es gewaltig. Ungeziefer und Gangster profitieren dagegen vom Chaos.

Stefan Ulrich

Wenigstens die Mäuse gedeihen in Neapel. Wie die Zeitung Corriere del Mezzogiorno am Wochenende berichtete, kamen vor zwei Jahren sieben Nagetiere auf jeden Einwohner. Mittlerweile sind es 25. Wer die Stadt am Vesuv in diesen Tagen bereist, den wird das nicht wundern. Auf Straßen und Plätzen türmen sich aufgeplatzte Müllsäcke, Kartons mit Gemüseresten, Kleidungsfetzen und sonstigem Unrat.

Neapel versinkt im Müll: Ärzte warnen vor den gesundheitlichen Folgen. (Foto: Foto: dpa)

Teilweise stapelt sich der Abfall mannshoch. Der Müll fault seit Wochen vor sich hin, die Menschen schaufeln ihn von den Bürgersteigen auf die Straße, um den Verkehr zu blockieren und auf diese Weise gegen die unerträgliche Situation zu protestieren. Schließlich zahlen sie fast die höchsten Abfallgebühren Italiens.

Manchen Bürgern stinkt der Müll derart, dass sie ihn anzünden. So zählte die Feuerwehr allein in der Nacht auf Samstag 120 Brände. Da nützt es nichts, wenn der Präfekt schimpft: ,,Es ist ein Wahnsinn, den Abfall auf den Straßen zu verbrennen. Der Qualm ist äußerst gesundheitsgefährdend.'' Ärzte warnen, der schwelende Unrat setze Dioxin frei, das Luft und Böden verpeste und sich schließlich in der Nahrung wiederfinde. Zudem fürchten die Mediziner die Kombination von Müll und Sommerhitze in den kommenden Monaten.

,,Die sanitären Zustände in unserer Region sind dramatisch'', befindet der Ärzteverband Neapels. Carlo Liberati, der Bischof von Pompeji, wird noch deutlicher: ,,Das hier ist keine funktionierende Gesellschaft, sondern eine Ekelhaftigkeit. In den müllübersäten Straßen können Seuchen ausbrechen - Typhus, Cholera.''

Guido Bertolaso, der Chef des italienischen Zivilschutzes, meint, in Italien herrschten teilweise Zustände, die seien ,,schlimmer als in der Dritten Welt''. Der oberste Zivilschützer muss es wissen, denn er ist seit vergangenen Oktober zugleich Sonderkommissar für die Abfallkrise in der Region. Nun könnte man angesichts des Straßenbildes meinen, der Kommissar sei ein Versager. Nichts wäre verkehrter. Bertolaso gehört zu den fähigsten Männern im Lande. Als vor zwei Jahren Papst Johannes Paul II. starb, war es besonders ihm zu verdanken, dass Rom den Ansturm von Millionen Pilgern bravourös bewältigte.

Neapel aber bringt sogar einen Krisenmanager wie Bertolaso zum Verzweifeln. Er drohte bereits mit seinem Rücktritt oder dem Einsatz der Armee - ohne rechten Erfolg. Der Unrat scheint auch ihn zu verschütten. Dabei ist das Entsorgungs-Problem in der Region seit langem bekannt. Seit 13 Jahren rufen die Behörden regelmäßig den ,,Müll-Notstand'' aus.

,,Alexander dem Großen hat dieser Zeitraum gereicht, die Welt zu erobern'', spottet der Corriere della Sera. Neapel aber werde nicht einmal seiner Abfallhaufen Herr, obwohl man in all den Jahren etwa zwei Milliarden Euro ausgegeben habe, um den Notstand zu beheben.

Schätzungen zufolge gammeln dieser Tage allein in Neapel etwa 2500 Tonnen Abfälle vor sich hin. Aus verzweifeltem Zorn haben Einwohner am Wochenende unzählige Säcke mit Unrat vor dem Rathaus deponiert. Müllautos, die noch verkehren, müssen manchmal von der Polizei vor aufgebrachten Menschen geschützt werden. Mehrere Bürgermeister der umliegenden Orte wollen diese Woche nach Rom reisen, um aus Protest bei Premier Romano Prodi ihr Amt niederzulegen. Italien, Kampanien und Neapel werden von linken Koalitionen regiert. Die italienische Linke gibt sich gern sauber. Wie der Müll-Skandal zeigt, nicht immer zu Recht.

Die Gründe der Krise? Die Menschen in Kampanien produzieren mehr Haushaltsabfall als in anderen Gegenden Italiens, 8000 Tonnen pro Tag. Nur acht Prozent werden getrennt gesammelt - in der Gegend um Treviso in Norditalien sind es bis zu 90 Prozent. Dennoch wehren sich die Bürger in und um Neapel besonders heftig gegen den Bau von Müllverbrennungsanlagen oder Deponien. Lieber lassen sie den Unrat für viel Geld exportieren, nach Sizilien, Deutschland oder gar China. Doch wie zu sehen und zu riechen ist, reicht das längst nicht aus.

Die Misere nährt neben den Mäusen auch die Mafia. Für die Camorra gehört der Abfall zu den lukrativsten Geschäftsfeldern. Je mehr öffentliches Geld wegen des Müllnotstands fließt, desto mehr schöpfen die Verbrecherclans mit Hilfe anrüchiger ,,Fachfirmen'' ab.

So verdient die Camorra am Transport des Unrats in die Nachbarregionen und ins Ausland, an der ,,Entsorgung'' von Giftmüll in illegalen Gruben oder auf Feldern, beim Verkauf überteuerter Deponiegrundstücke und bei der Sanierung verseuchten Landes. ,,Der Notstand nutzt der Camorra'', sagt Sonderkommissar Bertolaso. Erst vor ein paar Wochen musste er erleben, wie einer seiner Stellvertreter festgenommen wurde. Der Vorwurf der Ermittler: Miese Geschäfte mit dem Müll.

© SZ vom 21.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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