Mordserie:Grausame Gesetze

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Der Kasseler Café-Betreiber Halit Y. ist das neunte Opfer einer brutalen Hinrichtungsreihe in sechs Städten - die Polizei tappt im Dunkeln.

Von Detlef Esslinger

Halit Y. war nicht alleine in dem Raum, in dem er erschossen wurde. Drei andere Männer, mindestens, waren noch zugegen, aber sie geben an, nichts mitgekriegt zu haben. Halit Y., 21 Jahre alt, betrieb ein Tele-Internet-Café in Kassel, und dort wurde er am vergangenen Donnerstag erschossen, zwischen 17 Uhr und 17.05 Uhr.

Blumen vor dem Kasseler Internet-Café, in dem der Betreiber Halit Y. ermordet wurde. (Foto: Foto: dpa)

Ein Mord, erstens brutal, zweitens leider immer wieder vorkommend - so sah es zumindest zunächst aus. Doch seit der kriminaltechnischen Untersuchung besteht für die Polizei kein Zweifel mehr: Es ist dies der neunte Mord in einer Serie, die im September 2000 begann, wie die Ermittler am Montag bekannt gaben.

Der achte Fall liegt erst sieben Tage zurück. Am vergangenen Dienstag war in Dortmund ein Türke in seinem Kiosk erschossen worden.

Furchtbare Serie

Dass es sich bei beiden Fällen um Teile einer furchtbaren Serie handelt, ergab sich aus der Untersuchung des Projektils durch das Bundeskriminalamt. Auch Halit Y. wurde mit derselben Pistole des Fabrikats Ceska, Typ 83, Kaliber 7,65 erschossen, die auch die Tatwaffe bei den anderen acht ungeklärten Mordfällen war.

In den vergangenen sechs Jahren haben Sonderkommissionen in Nürnberg, Rostock, Hamburg und München das Leben und das Umfeld der dortigen Opfer untersucht. Das Frappierende: In keinem der Fälle konnten die Ermittler bisher Zusammenhänge oder Querverbindungen zwischen den Taten oder den Opfern herstellen.

Halit Y. aus Kassel war ein Deutscher türkischer Abstammung. Drei Männer im Alter von 14, 16 und 35 Jahren hielten sich am vergangenen Donnerstag außerdem noch in seinem Café in der Holländischen Straße auf, einer Ausfallstraße im Norden der Stadt. Sie waren zur Tatzeit in den Telefonkabinen und an den Internetstationen.

Alle Opfer wurden am hellichten Tag erschossen

Der 35-jährige Zeuge erinnerte sich bei der Polizei an ein "dumpfes Knallgeräusch" - aufgrund des Straßenlärms und der Konzentration auf sein eigenes Telefonat habe er dem aber keine Bedeutung beigemessen, sagte er den Beamten. Halit Y. hatte keine Chance. Er starb noch in seinem Lokal. Zum Tathergang ist nichts bekannt.

Es sind dies möglicherweise die wenigen Gemeinsamkeiten zwischen den neun Mordfällen: Bei fast allen Erschossenen handelte es sich um Geschäftsleute. Mit einer Ausnahme waren alle Türken oder türkischstämmig. Dennoch schlossen die Ermittler in früheren Stellungnahmen einen ethnischen Hintergrund aus.

Alle Opfer wurden in oder vor ihrem Geschäft erschossen, alle von ihnen am helllichten Tag. Der Mord an dem 39-jährigen Kioskbesitzer am vergangenen Dienstag in Dortmund - mittags gegen 13.10 Uhr. Der erste Mord, am 9. September 2000 in Nürnberg - zwischen 12.45 und 14.45 Uhr. Der 38-jährige Blumenhändler Enver Simsek starb damals an seinem mobilen Blumenstand.

Tod durch Kopfschuss

Der zweite Mord ereignete sich ebenfalls in Nürnberg: Am 13. Juni 2001 wurde Abdurrahim Özüdogru, 48, in seiner Änderungsschneiderei erschossen, am Abend zwar, aber es war noch hell.

Der dritte Mord, knapp zwei Wochen später, in Hamburg: Der Gemüsehändler Süleyman Tasköprü starb durch drei Kopfschüsse. Der vierte Mord, in München: Wieder traf es einen Gemüsehändler, wieder Kopfschüsse. Habil Kilic starb am 29. August 2001 in seinem Ladenlokal im Stadtteil Ramersdorf.

Der fünfte Mord, am 25. Februar 2004, in Rostock: Der 25-jährige Verkäufer Yanus Turgut wurde in einem Dönerstand erschossen aufgefunden; er war erst wenige Minuten tot. Der sechste Mord - erneut in Nürnberg, am 9. Juni 2005. Das Opfer war der Dönerbudenbesitzer Ismail Yasar, 50. Diesmal gab es zumindest den Ansatz von Täterbeschreibungen: Zwei Radfahrer, die zur Tatzeit an dem Dönerstand gesehen wurden - und zuvor an einer Straßenecke, wo sie einen Stadtplan studierten.

"Regelrecht exekutiert"

Der siebte Mord trug sich am 15. Juni 2005 in München zu; der Fall ist als "Westend-Mord" in der Stadt bekannt. Das Opfer: Theodoros Boulgarides, 41, Grieche, Betreiber eines Schlüsseldienstes. Wieder Kopfschüsse, wieder kein Motiv, wieder keine Zeugen.

Der Oberstaatsanwalt sprach von "Zügen einer Hinrichtung". Danach sieht es jetzt auch in Kassel aus. Halit Y. wurde "regelrecht exekutiert", so die Staatsanwaltschaft. Es wurde kein Geld geraubt, keine Gegenstände. Anhaltspunkte gibt es offenbar nicht.

© SZ vom 11.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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