Mordfall Nitribitt:Die Schande der Ära Adenauer

Lesezeit: 3 min

Heute vor 50 Jahren stirbt Rosemarie Nitribitt einen gewaltsamen Tod. Der Mord an der Frankfurter Prostituierten wird zum Mythos - auch wegen peinlicher Ermittlungspannen.

Nina Jauker

An einem milden Oktobertag des Jahres 1957 gelingt Kurt Weiner durch Zufall ein journalistischer Coup. Der Pressefotograf knipst vom Redaktionsgebäude der Frankfurter Rundschau aus eine junge Frau, die sich am offenen Fenster ihres gegenüberliegenden Appartements sonnt. Einen Tag später ist die stadtbekannte Prostituierte tot, erwürgt von einem Unbekannten. Ihr Name: Rosalie Marie Auguste Nitribitt, genannt Rosemarie.

Mercedes, Pudel, Nitribitt: die "blonde Rosi" vor ihrem Luxus-Gefährt (Foto: Foto: Kriminalmuseum Frankfurt)

Die Tat entwickelt sich in der Folgezeit zum spektakulärsten Mordfall der Adenauer-Ära, schließlich zählt die blonde Frau auch bekannte Größen aus der westdeutschen Industrie zu ihren Kunden. Der "Sittenskandal" um Sex, Macht, Geld und Mord, der sich an diesem Montag zum 50. Mal jährt, beflügelt die Phantasie der prüden Nachkriegsgesellschaft.

Die Presse druckt dankbar jedes Gerücht, nur um etwas Neues in der Causa Nitribitt zu berichten. Spätestens mit Rolf Thieles Film "Das Mädchen Rosemarie" mit Nadja Tiller in der Hauptrolle wird die Nitribitt zur Nutte der Nation.

Grundlage für diese imposante Entwicklung bilden die mannigfachen Gerüchte, für die zum Gutteil die Ermittler selbst verantwortlich sind. Auch noch 50 Jahre nach dem Mord sei man in Frankfurter Polizeikreisen beschämt, wie dilettantisch die Ermittlungen abgelaufen sind, verrät ein Ermittler, der nicht genannt werden möchte.

Der Autor Christian Steiger dokumentiert die Pannen in seinem gerade erschienenen Nitribitt-Buch "Autopsie eines deutschen Skandals": Ein am Tatort gefundener Herrenhut wird lange als der Hut des Mörders präsentiert - bis sich nach Tagen herausstellt, dass er dem Leiter der Mordkommission gehört, der ihn vergessen hat.

Die Ermittler lassen die Zugehfrau der Toten an den Tatort, die Nitribitts Brötchen verzehrt - mögliche Beweisstücke. Außerdem dürfen auch Journalisten in die schick eingerichtete Wohnung der Toten - das perfekte Spurenvernichtungsprogramm.

Auch der Fotograf Mickey Bohnacker wird damals eingelassen. "Es war furchtbar", sagt er im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, "mir wird jetzt noch übel, wenn ich mich daran erinnere." Drückende Hitze herrscht am Tatort und Gestank, denn der Leichnam war wegen der voll aufgedrehten Fußbodenheizung bereits teilweise verwest.

Die Polizisten lüften deshalb kräftig - ebenfalls ein Fehler. Niemand hat die Zimmertemperatur gemessen, weshalb die Tatzeit nicht mehr festgestellt werden kann.

Polizisten und Journalisten rauchen wegen des Geruchs und werfen ihre Stummel aus dem Fenster. Später wird mühsam ermittelt, wer welche Zigarettensorte raucht - es können ja Kippen des Mörders darunter sein.

Die Polizei erklärt schließlich den Abend des 29. Oktober zur Tatzeit - unter anderem anhand der Anzahl der Kratzspuren des eingesperrten Pudels an der Schlafzimmertür.

In den ersten Stunden unterschätzt die Frankfurter Polizei den Fall. Für die Polizei handelt es sich um einen "ganz normalen Prostituiertenmord", sagt Dieter Wachsmundt zur SZ. Der Polizeihauptkommissar a. D. ist ehemaliger Leiter des Frankfurter Kriminalmuseums, in dem heute Beweismittel zum Fall ausgestellt werden.

Doch bereits nach dem Auffinden der Leiche scheint einigen Beamten am Tatort die Brisanz des Falles zu dämmern. Es erscheint Polizeiprominenz am Tatort - der Vizepräsident, der Polizeiarzt. Auf dem Musikschrank befindet sich das Porträtfoto des Krupp-Sprosses Harald von Bohlen und Halbach. Der Leiter der Mordkommission lässt es diskret verschwinden, ebenso Liebesbriefe des Industriellen, der in den Klatschspalten als "reichster Mann Deutschlands" firmierte.

Diskreter Umgang mit den Promis

Neben den Schlampereien am Tatort ist es die Vorzugsbehandlung für Prominente, mit der Polizei und Justiz der Legendenbildung eine solide Basis bereiten. Einige hundert Seiten Ermittlungsakten sind nicht mehr auffindbar, darunter die Aussagen von Gunter Sachs und "Harald II", wie Nitribitt den Krupp-Sohn nannte. Die Industrie-Magnaten dürfen diskret am Sonntag durch die Hintertür im Polizeipräsidium zur Aussage erscheinen.

Gunter Sachs berichtet Jahrzehnte später von seinem Verhör in der Bunten: "Nach zehn Minuten Routinefragen interessierten sich die Herren mehr für die Direkteinspritzung meines 300 SL Flügeltürers." Die reichen Freier kommen als Täter nicht in Betracht. Schnell verdächtigen die Ermittler Nitribitts Hausfreund Heinz Pohlmann, der sich in Widersprüche verstrickt und hochverschuldet ist. Pohlmann wird aus Mangel an Beweisen drei Jahre nach der Tat freigesprochen.

Inzwischen gedeihen allerlei Verschwörungstheorien über einen Auftragsmord der Wirtschaft. Manche sehen Schutzgelderpresser aus dem Rotlichtmilieu am Werk. Andere glauben, dass die Wahrheit ganz banal ist:

"Kriminalistisch stellt sich der Fall nüchterner, nämlich als einer der zahlreichen Raubmorde an Dirnen dar, die von der Polizei als besonders schwer klärbar gefürchtet sind", schreibt Johann Freudenreich 1965 in der SZ. "Der Bekanntenkreis von Prostituierten, in dem der Täter gesucht werden muss, ist zu groß, die Bekanntschaften sind zu kurz, als dass eine wirklich umfassende Überprüfung möglich wäre".

Von den Verdächtigen und Ermittlern des Falles lebt heute fast keiner mehr. Dennoch lagert der Schädel der Nitribitt, wegen der Kopfwunde ein Beweismittel, seit 50 Jahren bei der Polizei. "Weil es immer noch ein ungeklärter Mordfall ist", sagt Dieter Wachsmundt.

© SZ vom 28. 10. 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: