Mord an Elfjährigem in Liverpool:Eine Mauer des Schweigens

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Auch nach mehreren Verhaftungen im Fall des erschossenen Rhys hat die Polizei den Täter noch nicht gefunden. Zeugen aus dem Liverpooler Viertel Croxteth schweigen - aus Angst vor den Gangs.

Am Tag, als Liam Smith zu Grabe getragen wurde, verriegelten Ladenbesitzer ihre Geschäfte. Zu groß war die Angst, dass die jungen Anhänger des Gang-Anführers randalierten.

Genau ein Jahr nachdem Smith mit einem Kopfschuss niedergestreckt wurde, herrscht jetzt im Liverpooler Viertel Croxteth wieder der Ausnahmezustand: Rhys Jones, ein elfjähriger fußballbegeisterter Junge, geriet womöglich aus Versehen in die Schusslinie rivalisierender Teenagerbanden. Aus Angst vor Vergeltung schweigen viele Anwohner - obwohl sie wissen könnten, wer der Killer war.

Einen Täter hat die Polizei im Fall Rhys bis jetzt nicht, obwohl am Wochenende noch sechs Verdächtige festgehalten wurden. Ein 19-Jähriger wollte sich seiner Verhaftung mit einem Sprung aus dem Fenster entziehen wollte. Bei den sechs Verdächtigen, die am Sonntag noch festgehalten wurden, handelte es sichum vier junge Männer im Alter von 15 bis 19 Jahren und um zwei 15 und 18 Jahre alte Mädchen.

Was jedoch längst klar ist: Hintergrund der Tragödie ist wohl kein Einzeltäter. Der Polizei ist bekannt, dass die Gegend um den Tatort seit längerem von Banden terrorisiert wird. Vor allem um die Sozialbau-Siedlungen Norris Green und Croxteth kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen. In beiden ist die Verbrechensrate hoch, die Probleme mit Drogenhandel sind allgegenwärtig. Auch Schießereien kamen vor. Und die Täter sind jung, oft sehr jung.

"Wir dürfen nicht denken, dass diese jungen Gangmitglieder Kinder sind. Sie begehen Verbrechen wie Erwachsene und sie denken wie Kriminelle", sagt Paul Breen, Ex-Mitglied einer Gang. Die angesehene Tageszeitung Observer sieht gar die Gefahr eines "jugendlichen Terrorismus" im ganzen Land.

147.000 Euro Belohnung

Das ultimative Statussymbol - die Schusswaffe - ist dabei auf den Straßen der Hafenstadt Liverpool, die auch London mit Drogen beliefert, schon ab 75 Euro zu haben. Anwohnerverbände kämpfen seit langem für mehr Polizeipräsenz und Überwachungskameras. Nachbarn erzählen, dass sie sogar Angst haben, zum Einkaufen, in die Kirche oder in den Pub zu gehen.

Die Angst hat wohl auch im Falle Rhys die Zeugen verstummen lassen. Nach Zeitungsberichten haben mindestens 15 Kinder die Bluttat und den Mörder gesehen, doch die Ermittler stoßen bei Vernehmungen auf eine Mauer des Schweigens. Die Boulevardzeitung The Sun hat jetzt eine Prämie 147.000 Euro für Hinweise auf den oder die Täter ausgesetzt.

Rhys, der mit seiner Familie in einer Doppelhaushälfte unweit der Sozialbauten lebte, war sich der Gefahr durch junge Kriminelle wohl bewusst. "Er hatte große Angst vor denen. Er wollte nicht raus gehen, weil die Gangs vor den Geschäften rumhingen", sagt eine Freundin der Familie.

Dennoch machte sich Rhys am Mittwoch nach dem Kicken mit seinen Freunden alleine auf den kurzen Weg nach Hause und "war zur falschen Zeit am falschen Ort", wie einer der Ermittler es später ausdrückte.

Kein Trost für Rhys' Familie, die in Großbritannien derzeit eine Welle der Anteilnahme und des Mitgefühls erfährt. Beim Heimspiel des FC Everton, dessen Fan der Junge war, liefen die Spieler am Wochenende mit Trauerflor auf.

30.000 Zuschauer im Goodison Park erhoben sich, als das Bild des Jungen auf der Anzeigetafel gezeigt wurde. Die Polizei wandte sich mit der Bitte an die Menge, bei der Aufklärung des Falls zu helfen. Die Bilder der tausenden von klatschenden Menschen, von Rhys weinender Familie auf dem Spielfeld gehen ans Herz. Vielleicht schaffen sie es ja, endlich einen der Zeugen zum Reden zu bringen.

© sueddeutsche.de/dpa/AP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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