Mittweida:Zwischen Anstand und Angst

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Mittweida sucht die Neonazis, die einem Mädchen ein Hakenkreuz in die Hüfte geritzt haben sollen.

Christiane Kohl

Teelichter brennen im Gotteshaus, auch der geschmückte Barockaltar ist festlich erleuchtet. In der Stadtkirche zu Mittweida, die hoch auf dem Berg über der schönen Altstadt mit ihren sorgfältig sanierten Bürgerhäusern thront, haben sich einige hundert Menschen eingefunden.

Studenten entzünden nach dem rassistischen Übergriff Kerzen (Foto: Foto: Getty)

Gerade lauschen sie einem Studenten aus Usbekistan, der auf ungewöhnliche Art das Wort Zivilcourage erklärt: ,,Das ist das Eigenkapital des Herzens, das man in Momenten der Not einem anderen schenkt'', sagt der Student und es brandet spontaner Beifall auf. Kurz zuvor hat der katholische Pfarrer des Ortes den Bewohnern freundlich aber bestimmt die Leviten gelesen: ,,Die Angst vorm Hinschauen sitzt tief in uns'', erklärt der Geistliche. Wegschauen aber sei viel schlimmer als Angst - ,,dafür muss man sich schämen, wenn man in den Spiegel schaut''.

Hass im Herzen

Die Menschen, die hier in der Kirche versammelt sind, gehören wohl eher nicht zu den notorischen Wegsehern. Stattdessen wollen sie ein Zeichen setzen in ihrer Stadt: Ein Zeichen, aus dem ersichtlich sei, ,,dass hier nicht lauter Menschen mit Hass im Herzen wohnen'', wie der evangelische Pastor formuliert. Die Veranstaltung in der Kirche ist nicht die einzige Gelegenheit dazu.

Seit den Meldungen über eine Attacke von Neonazis gegen ein sechsjähriges Mädchen und eine 17-jährige Auszubildende in Mittweida vom vorvergangenen Wochenende vergeht kaum ein Tag ohne öffentliche Diskussion in der sächsischen Kreisstadt.

Da wurden in der Hochschule für Technik und Medienwissenschaft, an der besonders viele junge Leute aus Asien, Afrika und Südamerika studieren, die Kerzen entzündet; anderntags diskutierte der sächsische Justizminister in Mittweida über mögliche Versäumnisse der Justiz im Kampf gegen die Rechtsradikalen - in dem 17.000-Einwohner-Städtchen bei Chemnitz ist eine Art Aufstand der Anständigen zu beobachten.

Angeführt wird die Bewegung vom Bürgermeister Matthias Damm. Der Jurist und CDU-Politiker, der früher als Rechtsanwalt arbeitete, hatte sich zunächst über die Justiz beschwert: Allzu schleppend würden die Verfahren gegen rechtsradikale Aktivisten einer verbotenen Kameradschaft ,,Sturm 34'' geführt, die im Raum Mittweida jahrelang ihr Unwesen trieb.

Letzte Woche erreichte den Kommunalverantwortlichen dann eine Flut von E-Mails mit Absendern aus Köln, Hannover oder Wuppertal - eben zumeist aus Westdeutschland. Darin beschimpften die Schreiber praktisch die gesamte Bewohnerschaft von Mittweida als rechtsradikal, vom ,,Nazirattenloch'' war die Rede und davon, dass man diesen rechtsradikalen Ossis umgehend die Fördermittel streichen müsse. Auch in Mügeln, jener sächsischen Kleinstadt, in der im Sommer eine von Indern betriebene Pizzeria belagert worden war, hatte man ähnliche Mails bekommen.

,,Ich nehme diese Beschimpfungen nicht wörtlich'', sagt Bürgermeister Damm in Mittweida, ,,aber es ist schon besorgniserregend, wie durch solche Ereignisse offenbar wieder der Ost-West-Konflikt aufbricht''. Sofort nach Bekanntwerden des rechten Übergriffs hatte sich Damm zum vermutlichen Tatort begeben, einer Plattenbausiedlung am Rande der Stadt. Vor dem Supermarkt des Viertels, dessen Fassaden noch in DDR-Manier verblendet sind, soll sich der Vorfall zugetragen haben: Nach dem Bericht der 17-jährigen Auszubildenden war sie einem sechsjährigen Aussiedlermädchen zu Hilfe geeilt, das von vier Männern drangsaliert worden war. Kurz darauf sollen die Männer ihr ein Hakenkreuz in die Hüfte geritzt haben.

Das Mädchen ist glaubwürdig

Der Vorfall soll gegen Abend passiert sein, an einem Samstag. Sämtliche Läden hatten zu, und der Platz vor dem Supermarkt war in Dämmerung gehüllt. An den Wohnblocks drum herum gibt es viele Balkons, darauf sieht man heute Weihnachtssterne und die in Sachsen so beliebten Schwibbögen leuchten. Bürgermeister Damm hat alle Bewohner angeschrieben, die den Vorfall am Supermarkt von ihren Wohnungen aus beobachtet haben könnten.

Bis zum Wochenende hatte sich erst einer gemeldet - mit dem Hinweis, nichts gesehen zu haben. Auch die Polizei hat bislang keine Hinweise auf die Tat erhalten, lediglich zu den zwei Phantombildern, die aufgrund der Aussagen des Mädchens angefertigt wurden, gab es Zeugenmeldungen. Bekannt ist zudem, dass der Anführer der Gruppe ,,Sturm 34'', der sich vor Gericht zurzeit wegen anderer Vorfälle verantworten muss, just in dem Plattenbauviertel wohnt.

,,Justiz, Polizei und auch wir in der Stadt haben in den letzten Jahren einen Lernprozess durchgemacht'', meint der Bürgermeister. ,,Mittlerweile sind wir uns aber einig, dass der Feind rechts sitzt''. Entsprechend entschlossen werde nun auch vorgegangen, sagt Damm, ,,wir müssen unbedingt Zeugen finden''. Dass die 17-Jährige sich die Sache ausgedacht haben könnte, hält der Bürgermeister für unwahrscheinlich. Der Jurist hat lange mit ihr gesprochen: ,,Sie ist glaubwürdig'', sagt er, ,,und sie stammt aus einer guten Familie in Mittweida''.

© SZ vom 3.12.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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