Missbrauchsprozess in Antalya:Und nochmal vier Wochen für Marco W.

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Harte Zeiten für Marco: Erst entlastet ein Gutachter den Schüler. Das britische Mädchen wurde nicht vergewaltigt. Dennoch bleibt der Junge aus Niedersachsen in Haft - unter schweren Bedingungen.

Der deutsche Anwalt Nikolaus Walther sieht die Version von Marco am Mittwoch nach der Aussage von zwei Zeugen bestätigt. Denn der türkische Gynäkologe Levent Hekim (58), der die 13-jährige Britin Charlotte nach jener Nacht im April untersucht hat, hat keine Anzeichen für eine Vergewaltigung des Mädchens gefunden. Er schildert Journalisten nach seiner Zeugenaussage, was sich damals ereignet hat.

Laut Hekim ist auch kein Geschlechtsverkehr vollzogen worden. Er habe allerdings Spermaspuren gefunden. Marcos Anwälte erklärten in einer Verhandlungspause jedoch, der Prozess werde am 6. September fortgesetzt. Marco bleibe bis dahin in Untersuchungshaft. "Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb Marco nicht auf freien Fuß gesetzt wird", sagte sein Anwalt Nikolaus Walther. Der 17-Jährige sei nach der Vertagung psychologisch "in ein Loch gefallen".

In einem NDR-Interview hatte Marcos Vater die Haftbedingungen seines Sohnes beschrieben: "Das Schlimmste ist die Hitze: In der Zelle müssen tagsüber ungefähr 50 Grad herrschen, da fällt jegliche Aktivität schwer." Nachts könne Marco W. etwas lesen, tagsüber sei dies unmöglich. Sein Sohn fasse den Tagesablauf so zusammen: "Lesen, Schlafen, Schwitzen, Schwitzen".

Arzt: Mädchen hat Marco eingeladen

Der Schüler aus dem niedersächsischen Uelzen sitzt bereits seit Ostern in Untersuchungshaft. Marco W. hatte ausgesagt, dass es mit der Engländerin im Einvernehmen zu Zärtlichkeiten gekommen sei. Diese Version bestätigte der Arzt. Seine Frage an das Mädchen, ob Marco ihr Gewalt angetan habe, habe sie verneint, sagte Hekim. Im Gegenteil, das Mädchen habe ihm gesagt, sie habe Marco eingeladen.

Die Mutter und die Schwester des Mädchens seien aber sehr aufgeregt gewesen, als sie ihn auf Anraten des Hotelarztes aufgesucht hätten. Die Mutter habe Angst vor einer möglichen Schwangerschaft der 13-jährigen Charlotte gehabt.

Marco und das Mädchen hatten sich im Badeort Side kennengelernt und waren nach einem Discoabend mit anderen Jugendlichen im Hotelzimmer der 13-Jährigen gelandet. Die Initiative zu den Zärtlichkeiten sei von dem Mädchen ausgegangen, das sich als älter ausgegeben habe.

Deutsche Diplomaten bemühen sich

Das Auswärtige Amt bemüht sich weiterhin um eine Entlassung aus dem Gefängnis. "Wir vertrauen weiter darauf, dass die unabhängige türkische Justiz im laufenden Verfahren ein faires Verfahren garantiert und die Möglichkeit zu einer Freilassung, die es ja durchaus gibt, ausschöpft", sagte eine AA-Sprecherin am Mittwoch in Berlin. Die Bemühungen liefen weiterhin auf "Hochtouren".

Vor dem zweiten Verhandlungstag, in dessen Mittelpunkt die Vernehmung des Arztes stand, hatten Marcos Eltern in Interviews an die Eltern des britischen Mädchens appelliert, die Anzeige zurückzuziehen.

In einem Fernsehinterview mit dem NDR wandte sich Marcos Vater am Mittwoch an die Eltern der Britin und bat sie, ihre Anzeige zurückzuziehen. "Bitte zerstört nicht sein Leben". Der an Leukämie erkrankte Vater spricht von einem "Albtraum" für die gesamte Familie.

Alle vier Wochen dürfen die Eltern im Gefängnis persönlichen Kontakt mit ihm haben, ansonsten dürfen sie nur zehn Minuten pro Woche mit ihm telefonieren - getrennt durch Panzerglas. Nach knapp vier Wochen hat der Vater Veränderungen bei seinem Sohn bemerkt: "Er wirkt regelrecht apathisch. Er ist doch mutterseelenallein in einem Land, in dem er sich nicht verständigen kann." Auch für ihn und seine Ehefrau sei die Situation eine "Tortur".

Der 48-Jährige ist weiterhin von der Unschuld seines Sohns überzeugt. Er vermutet, dass sich die 13-jährige Charlotte aus "Scham und Unsicherheit" in belastende Aussagen verstrickt habe.

Brief der Mutter

Unterdessen veröffentlichte die Bild-Zeitung einen Brief der Mutter, in dem sie über ihre Sorgen und Ängste schreibt.

Die 49-Jährige wird mit den Worten zitiert: "Ich leide körperlich und seelisch unter der jetzigen Situation, wo ich in ständiger Sorge um meinen Sohn und meinen kranken Mann lebe."

Sie habe Angst, dass ihr Sohn seine Fröhlichkeit verlieren und dass er nach seinen Erfahrungen in dem türkischen Gefängnis nicht mehr an Gerechtigkeit glauben werde.

Der Schüler aus Uelzen sitzt seit dem 12. April 2007 im Gefängnis in Antalya. Er muss sich wegen sexuellen Missbrauchs einer 13-jährigen Britin verantworten. Zu dem nichtöffentlichen Prozess sind auch seine Eltern gemeinsam mit ihrem deutschen Anwalt angereist.

© sueddeutsche.de/AFP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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