Milchskandal:Tödliches Risiko für den olympischen Frieden

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Monatelang vertuschte China einen Skandal um verseuchtes Milchpulver, nun sind zwei Kinder gestorben und mehr als 900 Babys erkrankt.

Henrik Bork

Ein zweiter chinesischer Säugling ist am Montag an chemisch gestrecktem Milchpulver gestorben. 913 Kleinkinder seien erkrankt, davon müssten 340 stationär behandelt werden und 53 Fälle seien "besonders schwer", sagte Chinas stellvertretender Gesundheitsminister Ma Xiaowei am Montag.

Dieses Kleinkind leidet unter schmerzhaften Nierensteinen, weil es mit der vergifteten Milch gefüttert wurde. (Foto: Foto: Reuters)

Alle waren von ihren Müttern mit Milchpulver der Marke "Sanlu" gefüttert worden, einem der größten Hersteller Chinas, meldet die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua.

Der Skandal war dem Unternehmen und chinesischen Behörden seit Monaten bekannt, jedoch offenbar wegen der Olympischen Spiele in Peking vertuscht worden. Erst nach einer Intervention der neuseeländischen Regierung in Peking war er nun nicht mehr geheimzuhalten.

Sanlu ist ein Joint Venture, das zu 43 Prozent dem neuseeländischen Milchkonzern Fonterra gehört. Zwei chinesische Milchhändler, Brüder mit dem Familiennamen Geng, seien als Hauptverdächtige festgenommen worden, berichtet Xinhua.

Hersteller wollte Verluste wettmachen

Seit Ende vergangenen Jahres hätten sie täglich drei Tonnen Milch mit Melamin gestreckt. Die giftige Chemikalie wird unter anderem zur Beschichtung von Spanplatten gebraucht. In mit Wasser gepanschter Rohmilch kann Melamin jedoch einen höheren Proteingehalt vortäuschen.

"Geng tat dies, weil er Verluste erlitten hatte, nachdem die Milch seiner Station von der Sanlu-Gruppe mehrmals zurückgewiesen worden war", schreibt die Agentur. 17 weitere Personen seien festgenommen worden.

Viele der Säuglinge im Alter von bis zu einem Jahr litten plötzlich unter großen Schmerzen beim Wasserlassen. Im Krankenhaus wurden dann Nierensteine gefunden. "Nierensteine sind bei Babys selten, noch dazu bei so vielen Babys auf einmal", zitierten chinesische Medien den Urologen Zhang Wei vom "Krankenhaus Nummer eins" der Volksbefreiungsarmee in Lanzhou in der Provinz Gansu. Das erste erkrankte Baby war bei ihm am 28. Juni, 14 weitere allein in den vergangenen zwei Monaten eingeliefert worden.

Erst in der vergangenen Woche hatte die Firma Sanlu 700 Tonnen ihres Milchpulvers aus dem Handel zurückgerufen. Zuvor hatte die Firma wochenlang ihre Verantwortung abgestritten und behauptet, es handele sich nicht um Milchpulver aus ihrer Produktion, sondern um ein Imitat.

Örtliche Behörden hatten das Unternehmen gedeckt, bis sich die neuseeländische Ministerpräsidentin Helen Clark in Peking beschwerte. Auch in Neuseeland waren bei Kindern erste Symptome aufgetaucht. Das Gemeinschaftsunternehmen Sanlu, an dem Fonterra beteiligt ist, habe sich offenbar wochenlang um einen Rückruf des Pulvers bemüht, sagte Clark in einem Interview mit dem neuseeländischen Fernsehsender TVNZ.

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Tote Kinder und Tiere

Doch die chinesischen Behörden hatten sich geweigert. "Ich glaube, die erste Neigung war, den Mantel des Schweigens darüber auszubreiten und ohne einen offiziellen Rückruf mit der Sache umzugehen", so Clark.

In der Tat hatten betroffene Eltern schon im März bei der Firma und örtlichen Behörden protestiert. Ein 40-jähriger Vater namens Wang Yuanping hatte am 21. Mai im Internet von einem "Albtraum" berichtet, nachdem er mit seinen Beschwerden abgeblitzt war.

Nachdem der Eintrag in dem populären Internetportal "Tianya" aufgetaucht war, hatten sich Mitarbeiter von Sanlu bei Wang gemeldet und ihm Milchprodukte im Werte von 2476,80 Yuan versprochen, wenn er seinen Protest zurückziehe. Der Eintrag im Internet war daraufhin gelöscht worden. Diskussionen des Vorfalls waren am Sonntag noch im Internet zu finden. Erst am Montag wurden sie gelöscht, offenbar von Chinas Internet-Zensoren.

Für Chinas Regierung ist der jüngste Milchpulver-Skandal besonders peinlich, weil sie im Vorfeld und während der Olympischen Spiele versucht hatte, Bedenken im Ausland über die Sicherheit chinesischer Nahrungsmittel mit einem endlosen Bombardement aus beschwichtigenden Medienberichten zu zerstreuen. So war auch Sanlu vom Staatsfernsehen CCTV in einem "investigativen Bericht" seiner Serie "Made in China" als besonders verantwortungsbewusster Hersteller gepriesen worden.

Es ist allerdings nicht Chinas erster Milchpulverskandal. 13 Säuglinge waren im Jahr 2004 gestorben, weil ihr Milchpulver so sehr gestreckt war, dass es keinerlei Nährwert mehr enthielt. Als die akut unterernährten Säuglinge von ihren Müttern ins Krankenhaus gebracht wurden, kam für viele jede Rettung zu spät. Anschließend hatte es immer wieder ähnliche Fälle gegeben.

Der Einsatz von Melamin hatte auch schon zu Irritationen zwischen China und den USA geführt, nachdem dort Tausende Hunde und Katzen an aus China importiertem Tierfutter verendet waren. Auch in diesem Fall wurden Chinas Behörden erst aktiv, als es Proteste aus dem Ausland gab.

© SZ vom 16.09.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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