Medizin:Stammzellen mit Biss

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Im Bauch von Tieren lassen sich Zähne züchten, bald auch im Mund des Menschen? Forscher sind davon überzeugt, dass man nur die geeigneten Zellen zusammenbringen und die richtigen Gen-Schalter umlegen muss, damit Nachschub im Kiefer sprießt.

Von Wiebke Rögener

Haifische brauchen keinen Zahnarzt. Weil Stammzellen im Kiefer Nachschub liefern, wachsen die spitzen Beißer bei ihnen und vielen anderen Fischarten unbegrenzt nach.

Elefanten bekommen sieben Mal neue Zähne, Menschen nur zweimal. (Foto: Foto: AP)

Auch der Elefant bekommt immerhin siebenmal neue Backenzähne. Für den Menschen aber hat die Natur gerade kümmerliche zwei Garnituren vorgesehen. Danach bleibt ihm bisher nur der Ersatz aus Kunststoff, Gold, Keramik oder Titan.

Nun aber wollen sich Stammzellforscher die Haie zum Vorbild nehmen. Statt klappernder Gebisse oder teurer Implantate aus der Werkstatt des Zahntechnikers sollen bald nachwachsende Zähne die Lücken füllen.

Verschiedene Forschergruppen enträtseln, was einen Zahn wachsen lässt, um so natürliche dritte Zähne zu züchten. Die Forscher sind davon überzeugt, dass man nur die geeigneten Zellen zusammenbringen und die richtigen Gen-Schalter umlegen muss, damit Nachschub im Kiefer sprießt.

Dass sich das Programm der Zahnbildung tatsächlich auch im Alter wieder ankurbeln lässt, wird deutlich, wenn das Zellwachstum außer Kontrolle gerät: Chirurgen, die Tumoren entfernen, finden darin manchmal gut entwickelte Schneide- oder Backenzähne.

Mäusezähnchen in Nieren

Die Bildung von Zähnen gezielt anzustoßen, ist inzwischen schon im Tierversuch gelungen. Allerdings gedeihen die neuen Zähne bisher an Orten, wo sie nicht recht brauchbar sind.

So lässt ein Team um Paul Sharpe vom King's College London Mäusezähnchen in Nieren wachsen.

Nötig sind dafür embryonale Zellen aus zwei unterschiedlichen Gewebetypen: Zum einen verwendet Sharpe bestimmte Stammzellen (Mesenchymzellen), aus denen sich - neben Zähnen - ganz unterschiedliche Gewebe entwickeln können, beispielsweise Blut oder Bindegewebe.

Zum anderen nutzt der Forscher Zellen, die zu Epithelzellen der Mundhöhle werden. Wenn sie schon soweit ausdifferenziert sind, dass sie ihre Aufgabe bei der Zahnbildung "kennen", können sie dieses Wissen offenbar an Stammzellen weitergeben.

Signalmoleküle aus dem Epithel stoßen dann die Entwicklung in Richtung Zahn an. So entsteht aus dem gemischten Doppel in der Kulturschale die erste Anlage für einen Zahn.

Hühner mit Zähnen

Damit sie sich weiterentwickeln kann, verpflanzt Sharpe sie in die Niere einer Maus. Hier ist sie gut mit Blut und Nährstoffen versorgt und wächst zu einem vollständig ausgebildeten Zahn heran.

Selbst Epithelzellen aus der Mundhöhle von Vögeln, die seit 70 Millionen Jahren gar keine Zähne mehr besitzen, können diesen Prozess in Stammzellen auslösen: Sharpes Gruppe hat Mesenchymzellen aus Mäusen in Hühnerembryos transplantiert, und tatsächlich bildeten diese Zahnanlagen.

Nun hofft Sharpe, dass das, was in der Mäuseniere und im Hühnerembryo gelingt, bald auch im menschlichen Kiefer klappen wird. Erste Versuche mit Patienten will er in zwei Jahren beginnen.

Vorsorglich hat der Zahnzüchter schon die Firma Odontis gegründet, die das Verfahren patentieren ließ und bald lebende Ersatzzähne auf den Markt bringen will.

Form als Problem

Ein Problem ist es noch, die Lückenbüßer auch in der richtigen Form heranzuziehen, je nachdem, ob ein Backen-, Eck- oder Schneidezahn benötigt wird.

Sharpe ist deshalb auf der Suche nach den formgebenden Genen. Eines, das speziell beim Wachstum von Backenzähnen aktiv ist, hat er bereits identifiziert

Auch Pamela Yelick vom Forsythe-Institut der Harvard-Universität in Boston hat ihre wissenschaftlichen Erfolge längst patentiert. Dentigenix heißt das Unternehmen, das ihre Zahnzucht-Methode zu Geld machen will. Schon vor zwei Jahren ist es der Forscherin gelungen, Schweinezähne im Bauch von Ratten wachsen zu lassen.

Dafür zerlegten die Forscher Zahnanlagen aus dem Kiefer sechs Monate alter Schweinchen in einzelne Zellen. Diese säten sie dann in ein Form gebendes Gerüst aus biologisch abbaubarem Kunststoff aus.

In der Bauchhöhle von Ratten wuchsen daraus in 20 bis 30 Wochen zwar nicht die kräftigen Hauer eines Ebers heran, aber immerhin vollständige Mini-Zähnchen mit etwa zwei Millimeter Durchmesser.

Dritte Zähne aus den ersten?

Menschliche Zahnanlagen aus Baby-Kiefern allerdings dürfen als Rohmaterial kaum zur Verfügung stehen. Die Zahnzüchter hoffen daher auf adulte Stammzellen, für die sich in letzter Zeit immer neue Quellen auftun.

Möglicherweise lässt sich der Nachschub für die dritten Zähne künftig sogar aus den ersten gewinnen. Als er einen ausgefallenen Milchzahn seiner Tochter inspizierte, entdeckte Songtao Shi vom Institute of Dental and Craniofacial Research in Bethesda: Das Innere von Milchzähnen enthält Stammzellen, die sich zu zahnbildenden Zellen weiterentwickeln können.

Bevor lebendige Ersatzzähne den bislang so lukrativen Kunst-Implantaten Konkurrenz machen, könnte aber eine ganz andere Idee beiden das Geschäft verderben: Wenn es gelingt, Löcher im Zahn mit Zahnschmelz aus dem Reagenzglas zu stopfen, müssen Zähne vielleicht nur noch selten gezogen werden.

Die Bildung solchen Schmelzes konnte Susanne Busch vom Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden jetzt nachahmen.

Gelatine zur Zahnhärtung

Natürlicherweise bildet sich die Schutzschicht der Zähne, indem ein Mineral (Hydroxyapatit) in einem Netzwerk großer organischer Moleküle kristallisiert.

Dabei entstehen nadelförmige, parallel angeordnete Kristalle, die eine extrem harte Oberfläche bilden. Susanne Busch ersetzt die organische Moleküle des Körpers durch Gelatine. Verschiedene Gelatineschichten, die sie auf einen Zahn aufbringt, enthalten Kalzium-, Phosphat- und Fluoridionen.

Wenn die Ionen zueinander gelangen, bilden sie entlang der Gelatinefasern parallel angeordnete Apatit-Kristalle, ganz ähnlich wie Zahnschmelz und genauso hart.

Falls sich das Verfahren aus dem Reagenzglas in die Mundhöhle übertragen lässt, könnten so Löcher dauerhaft repariert werden.

Bis sich aber herausstellt, ob Zähne oder Zahnschmelz aus dem Labor das Rennen machen, bleibt nur das fleißige Putzen. Oder die Hoffnung, dass man zu den wenigen Glücklichen gehört, denen ganz ohne Hilfe aus der Wissenschaft eine dritte Generation Zähne wächst.

Denn auch das kommt gelegentlich vor.

© SZ vom 24.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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