Medizin:Heillose Raubkopien

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Immer mehr gefälschte Medikamente kommen auf den Markt. Am stärksten sind Entwicklungsländer betroffen. Die Plagiate sind mittlerweile aber auch für Patienten in den Industrienationen eine Bedrohung.

Von Sven Preger

(SZ vom 27.11.2003) - Eigentlich wollte der Apotheker nur Medikamente nach Afrika verschicken, als Hilfe für die Dritte Welt. Doch kurz bevor die Arzneien auf Reisen gingen, fand sich der Mann im Gefängnis wieder. Seine Medikamente enthielten als "Wirkstoff" Backpulver.

Das war 1993 in der Türkei. Es folgten Brandsalben mit Sägemehl in Mexiko und 1998 wirkungslose Malariapräparate in Kenia - um nur einige Fälle zu nennen. Etwa jedes zehnte Medikament auf dem Weltmarkt ist gefälscht, schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Wie viele Menschen wegen der Plagiate leiden, ist kaum zu bestimmen.

Sicher ist nur: Die Betrüger beschränken sich nicht mehr auf die Entwicklungsländer. Zunehmend bringen skrupellose Fälscher ihre Produkte auch in Europa und Nordamerika auf den Markt. Ein Drittel aller Plagiate landet mittlerweile in Industrienationen.

Folgen für Ausbreitung von Krankheiten

Am stärksten betroffen sind nach wie vor Afrika und Südostasien. "Besonders schlimm ist der Missbrauch bei Tuberkulose, Malaria und neuerdings auch bei Aids", erklärt Richard Jähnke vom German Pharma Health Fund (GPHF), einer gemeinnützigen Initiative der forschenden Arzneimittelhersteller in Deutschland.

Das hat nicht nur Folgen für denjenigen, der die falschen Arzneien einnimmt, sondern auch für die Ausbreitung der Krankheiten. "Für Tuberkulose und Malaria gibt es insgesamt nur fünf oder sechs wirksame Medikamente. Wenn man diese nicht korrekt kombiniert oder dosiert, werden die Erreger resistent." Dann hilft nichts mehr gegen die tödlichen Krankheiten.

Vor allem in ländlichen Gebieten gibt es mitunter mehr Schein-Medikamente als echte Arzneien. Nach einer Fallstudie des GPHF waren in Kamerun drei Viertel aller Malariamittel mit dem Wirkstoff Chinin gefälscht. Das westafrikanische Land scheint ohnehin ein guter Ort für Fälscher zu sein. "Im Februar habe ich von den ersten Aids-Plagiaten erfahren", erzählt Jähnke. Aus Singapur sei ein Medikamenten-Cocktail eingeführt worden, der die falschen Wirkstoffe kombiniert hat. "Das ist so, als ob Sie einen Mercedes kaufen wollen, dann aber einen VW bekommen und der hat nur zwei Räder."

Weil die Fälscher zunehmend die teuren Aids-Medikamente entdecken, hat der GPHF sein Testprogramm erweitert. Seit fünf Jahren touren die Kontrolleure auf der Suche nach Plagiaten mit einem Minilabor durch die Welt. Neuerdings prüfen sie neben Malaria- und Tuberkulose-Medikamenten auch Aids-Mittel.

Perfekte Imitate

Mitunter sehen Kenner den Tabletten schon an, dass sie nicht echt sind. Gute Fälschungen aber werden erst in den nächsten Schritten offenbar: Wenn sie sich nur schwer auflösen lassen oder beim Verbrennen die falsche Farbe zeigen. Bei manchen Plagiaten ist sogar eine chemische Feinanalyse mittels Dünnschichtchromatographie nötig.

Bei etwa sieben Prozent aller gefälschten Arzneimittel hilft das alles nicht. Sie sind perfekte Imitate - selbst die Verpackung stimmt bis ins Detail. Diese Mittel schmerzen die Pharmakonzerne am meisten: Die US-Arzneimittelbehörde FDA schätzt, dass dadurch rund 32 Milliarden Dollar jährlich verloren gehen.

Weitaus häufiger aber sind mit 60 Prozent Fälschungen, die gar keinen Wirkstoff enthalten. Wie zum Beispiel in Niger, wo 1995 die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" mit Wasser impfte. Die Mediziner hatten aus dem Nachbarland Nigeria Tausende Impfampullen erhalten, denn in Niger grassierte eine Hirnhautentzündung.

Zwar ließ sich der angebliche Impfstoff nur schwer verdünnen, trotzdem schöpften die Ärzte keinen Verdacht: Auf den Verpackungen fanden sich schließlich die Namen führender Pharmakonzerne. Erst nach mehreren Wochen überprüften sie die Ampullen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie bereits über 6000 Menschen behandelt.

Am gefährlichsten aber sind die 30 Prozent der Scheinmedikamente, die einen falschen Wirkstoff enthalten oder den richtigen falsch dosiert. Hergestellt werden diese Produkte zum Beispiel in China. Erst im vergangenen Jahr wurden dort 1300 illegale Pharmabetriebe geschlossen.

Funde in deutschen Apotheken

Solche Arzneien haben inzwischen auch Deutschland erreicht. So wurden schon gefälschte Präparate in hiesigen Apotheken gefunden, und unterdosierte Medikamente von deutschen Häfen aus verschifft. Die Regierung ist deshalb aktiv geworden. Am 19. Dezember soll der Bundesrat eine Änderung des Arzneimittelgesetzes beschließen. Sie verpflichtet deutsche Hersteller, die Herkunft ihrer Medikamente eindeutig zu kennzeichnen.

Zudem drohen bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, wenn minderwertige Präparate in Umlauf geraten. Bisher gab es maximal ein Jahr. Auch die USA wollen sich stärker gegen Fälschungen wehren. Schon jetzt verlangt die FDA von den Medikamentenherstellern den Nachweis, ob es sich bei einem fraglichen Produkt um Original oder Fälschung handelt.

Fälscher werden immer findiger

Damit sind die Konzerne gezwungen, noch stärker auf Qualitätssicherung zu achten, was wiederum die Kosten steigert. "Denn die eigentliche Tablettenherstellung ist gar nicht so teuer - im Gegensatz zu den Sicherheitsvorkehrungen", sagt Richard Jähnke.

Da auch die Fälscher immer findiger werden, entwickeln die Hersteller der Originalpräparate Methoden, die nur mit aufwändigen Hilfsmitteln erkannt werden. Zum Beispiel seien manche Aufdrucke nur unter UV-Licht einer bestimmten Wellenlänge zu lesen, sagt Erwin Pasbrig von der Firma Alca Packaging, die Verpackungsmaterialien für Pharmakonzerne herstellt. Eine Technologie, die sich Afrikas Gesundheitsbehörden wohl kaum leisten können.

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