Medizin:Fahrendes Gewerbe

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Ortswechsel hilft: Die pfuschende Zahnärztin Gisa P. erhielt auch in Hamburg und Magdeburg eine neue Zulassung, nachdem sie in Köln die Gebisse ihrer Patienten ruiniert hatte.

Von Barbara Hübner

Sie hat mir den ganzen Mund zerstört. Er fühlt sich an wie zerstückelt", klagt Jörg Q. Wenn der 35-Jährige von seiner ehemaligen Zahnärztin spricht, kann er seine Aggression kaum im Zaum halten. Vor zehn Jahren hat Dr. Gisa P. dem damaligen Arbeitslosen gesagt, er solle seine Arbeitslosigkeit doch positiv sehen: So könne sie ihm ohne Zuzahlung "etwas ganz Schönes" im Mund machen.

Viele Deutsche haben Angst vor dem Zahnarztbesuch, vor allem, wenn es ums Bohren geht. (Foto: Foto: dpa)

Das Schöne bestand darin, 25 Zähne großflächig abzuschleifen und verpfuschte Kronen darüber zu stülpen, sodass sich die Zähne darunter entzündeten und verfaulten. Jahrelang litt Q. unter Schmerzen; 8000 Euro musste er für Nachbesserungen bezahlen.

Q. ist nur einer von 70 Patienten, den die fragwürdige Zahnärztin seit 1994 geschädigt hat. Viele ihrer Opfer sind heute traumatisiert und brauchen psychotherapeutische Hilfe. Der "Zahnarztskandal von Köln" gilt als beispiellos.

Erst auf Druck von Patienten, Verbraucherzentrale und örtlicher Presse gelang es schließlich im Juni 2000, Staatsanwaltschaft, Zahnärztekammern und Landesbehörden auf die Ärztin aufmerksam zu machen. Das Ergebnis: "Dr.Horror", wie die Dentistin in der Lokalpresse hieß, wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt und gab ihre Zulassung zurück.

Ihre Kölner Zulassung, wohlgemerkt. Denn wie Recherchen der Süddeutschen Zeitung ergeben haben, hat Gisa P. in der Folge zweimal innerhalb Deutschlands den Wohnort gewechselt und konnte sich erneut als Zahnärztin melden.

Die Medizinerin erhielt damit die Erlaubnis, ihr schlechtes Handwerk weiter auszuüben, obwohl ihr zuvor reihenweise Kunstfehler nachgewiesen worden waren. Weil Behörden und Ärztekammern verschiedener Bundesländer nicht ausreichend kommunizieren, haben kriminelle Ärzte offenbar gute Chancen, weiterhin an Patienten zu kommen.

Aufmerksam auf die Behandlungsfehler der Zahnärztin wurde zunächst der Gesundheitsladen Köln. "Ende der 90er-Jahre meldeten sich bei uns die ersten geschädigten Patienten", sagt Gudrun Brosch von der Beratungsstelle. "Als der Name P. immer wieder fiel, vermuteten wir ein System dahinter."

Auffällig ähnelten sich die Schilderungen der Geschädigten. Häufig habe die Zahnärztin, so Brosch, freiwillig Notdienste übernommen. Mit dem Argument ,Das sieht ja schlimm aus in Ihrem Mund, da müssen wir gleich etwas machen' sei sie dann sofort an das Gebiss gegangen.

"Vier bis zwölf Zähne schliff P. in der Regel pro Patient ab", bestätigt die Rechtsanwältin Maia Steinert, die mehr als 45 Fälle übernommen hat. "Bei manchen Patienten waren es 17 bis 25 Zähne." Kranke Zähne habe P. meist überkront, doch die Kronen waren undicht, der Biss stimmte nach der Behandlung oft nicht mehr. Unter den Kronen oder in den Wurzeln fanden sich zuweilen Wattereste.

"Eine Patientin war nach einer Behandlung im Gesicht halbseitig gelähmt, andere mussten medikamentös behandelt werden, weil sich mehrere Wurzeln entzündet hatten", berichtet Steinert. Das Motiv ist für Steinert klar: das Geld. "Sie hat sich am Leid ihrer Patienten finanziell bereichert", sagt sie.

Trotz der eklatanten Folgen war es zunächst schwierig, die Zahnärztekammer vom Fehlverhalten der Kollegin zu überzeugen. Deshalb gründete der Gesundheitsladen eine Selbsthilfegruppe, die Interessengemeinschaft ehemaliger P.-Patienten (IGePP). Als sich ein Betroffener im Kölner Express outete, "brach ein Damm", so Brosch.

Innerhalb weniger Tage haben sich 50 Geschädigte gemeldet. Täglich waren Kamerateams, zumeist von Privatsendern, da. "Das war uns zunächst lästig", sagt Gudrun Brosch. "Aber ohne die Presse wäre unsere Kampagne nicht in Gang gekommen." Die IGePP demonstrierte vor dem Regierungspräsidium in Köln, überreichte 24 dokumentierte Fälle von Behandlungsfehlern und forderte den Entzug der Approbation.

Fast zwei Jahre später, im Juni 2000, schaltete sich die Staatsanwaltschaft ein. Dr.P. wurde zu einer Geldstrafe von 18.000 Mark wegen fahrlässiger Körperverletzung in 18 Fällen verurteilt. Strafmildernd wirkte sich aus, dass die Ärztin "unter der Vorverurteilung durch die Presse" gelitten habe. Im Dezember 2000 gab P. ihre Kölner Kassenzulassung zurück.

Doch das konnte sie nicht bremsen. Im April 2001 zieht die Zahnärztin nach Hamburg, erwirbt dort eine neue Zulassung und praktiziert weiter. Die Verbraucherzentrale Hamburg will wissen, wie es zu der neuen Zulassung kommen konnte - nach allem, was in Köln passiert sei. In den Unterlagen aus Köln hätten sich keinerlei Hinweise auf ein Strafverfahren befunden, antwortet die Hamburger Kassenzahnärztliche Vereinigung. Die Akten seien unvollständig angekommen.

Derweil laufen in P.s Zeit in Hamburg mindestens zwei neue Kunstfehler-Klagen auf. Weil Patientenvertreter und Verbraucherschützer hartnäckig bleiben, nimmt sich die Behörde für Umwelt und Gesundheit der Hansestadt schließlich des Falls an. Im Anschluss an eine intensive Nachprüfung ordnet sie im Februar 2002 den Entzug der Approbation an. P.wehrt sich zunächst dagegen, gibt aber Mitte 2003 ihre Approbation ab, also ihre ärztliche Berufserlaubnis.

Doch damit nicht genug: Wie die SZ erfahren hat, ist Dr. P. zu Beginn dieses Jahres nach Sachsen-Anhalt gezogen.

Dort gelingt es ihr, sich trotz der fehlenden Berufserlaubnis bei der Zahnärztekammer in Magdeburg anzumelden. Damit ist sie befugt, Privatpatienten zu behandeln.

Erst durch Fragen der SZ erfährt die Kammer von der Vorgeschichte der P. Die Begründung für die Zulassung in Sachsen-Anhalt klingt vertraut: Die Unterlagen aus Hamburg seien unvollständig gewesen, heißt es dort. P. sei nach der Anmeldung "automatisch Kammermitglied geworden, da sich in den Akten keine Informationen über den Entzug der Approbation oder ein Approbationsentzugsverfahren befanden."

Auch die Zahnärztin selbst, so argumentiert der Präsident der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalts, Frank Dreihaupt, habe die Kammer nicht darüber informiert, dass sie nicht mehr im Besitz einer Approbation ist. P.s Mitgliedschaft sei also als "Schein-Mitgliedschaft" zu werten.

Auf Anfrage bestätigt die Hamburger Zahnärztekammer, dass man tatsächlich keinerlei schriftliche Informationen über das Approbationsentzugsverfahren nach Sachsen-Anhalt weitergegeben habe; in den Akten habe sich sogar noch eine beglaubigte Kopie der Approbationsurkunde befunden. Erst Ende April erfahren die Magdeburger von der Hamburger Kammer, dass Dr.P. gar nicht mehr über die Berufserlaubnis verfügt, die durch die Urkunde belegt wird.

Die Lücken im Informationsfluss seien darauf zurückzuführen, dass man in Hamburg keine schriftlichen Informationen vom Gericht erhalten habe, sagt Kammer-Sprecher Gerd Eisentraut. Dem aber widerspricht die Behörde für Umwelt und Gesundheit. Die Kammer sei im Laufe des Verfahrens sehr wohl über den jeweiligen Stand informiert worden. "Demzufolge", so Behördensprecher Hartmut Stienen, "auch über den Entzug der Approbation."

"Fakt ist, dass P. wieder hätte arbeiten können", schimpft Werner Becker, Präsident des Bundesverbandes naturheilkundlich tätiger Zahnärzte in Deutschland. Bei dem Informationsstau handele es sich "um einen Systemfehler". Die Hamburger Kammer bezichtigt der Mediziner der "Beihilfe zur zahnärztlichen Tätigkeit ohne Berufserlaubnis".

Dr.P., die heute in einer Villa im ersten Viertel Halles wohnt, will sich persönlich nicht äußern. Ihre Anwältin nimmt nur anonym Stellung: P. habe sich nicht von sich aus bei der Kammer angemeldet, sondern sei von der Kammer angesprochen worden, nachdem die Unterlagen von Hamburg in Sachsen-Anhalt eingetroffen seien, sagt sie.

Ihre Mandantin wolle aber nicht mehr als Zahnärztin arbeiten, sondern für den Rest ihres Lebens Hausfrau sein. Als "schlampige Aktenführung und Verkettung dummer Umstände" wertet die Anwältin den Sachverhalt. Bis heute sei Dr. P. übrigens im Besitz ihrer Approbationsurkunde.

© SZ vom 2.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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