Medien:"Jeder schaut uns zu!"

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Ein feierlicher Kanzler, die haspelnde Herausforderin, ein Raubauz und der Dank vom Boulevard: Der Medienwahlkamf hat begonnen.

Von Hans-Jürgen Jakobs

Nichts als Gespenster: Sie sind immer dabei, die Medien, an diesem Tag der Tage, an dem in der Berliner Regierungswelt Vertrauen durch Misstrauen ausgedrückt wird - und Wahl nicht Abwahl, sondern Neuwahl bedeutet. Was werden die Wähler vor den Fernsehern sagen zu dem Schauspiel, das der Bundesmedienkanzler an diesem Freitag bietet, zu dieser inszenierten Niederlage im Parlament? Der Gedanke bewegt alle.

Immer die Medien! Gerhard Schröder, der die Feierlichkeit einer Erste-Klasse-Beerdigung verströmt, erklärt, es sei ja in den Medien berichtet worden, wie Linksabweichler gegen ihn Front machten.

Und er sagt, bei einem der wenigen trotzigen Zwischenrufe aus Oppositionskreisen: "Sie sollten vorsichtig sein, es schaut uns jeder zu!"

Gut für ihn, dass die unerbittliche TV-Kameraüberwachung frei Haus die Unvorsichtigkeit seiner Rivalin liefert: Bei Nennung der künftigen Unions-Regierung macht sie die SPD zum Koalitionspartner, erst später korrigiert sie und sagt FDP.

Der Wahlkampf 2005 für und mit und in den Medien beginnt in diesen TV-Morgenstunden. Ein Vorgeschmack, was passieren wird, wenn Bundespräsident und Bundesverfassungsgericht tatsächlich den Weg freigeben für die reale Telenovela namens Verliebt in Berlin.

Die Bild-Zeitung liegt auch obenauf, irgendwie schafft sie es immer, und an diesem ersten Juli-Tag hat sie den Noch-Regierungschef auf Seite eins zur Abwechslung mal sympathisch, fast optimistisch platziert, ein Denkmal der Vergangenheit, den Kopf umgeben von Schwarz-Rot-Gold.

"Danke, Kanzler!", titelt das Boulevardblatt: "Heute macht Gerhard Schröder den Weg frei für einen Neuanfang in unserem Land" - und klärt in einer Klammer auf, dass es "unwahrscheinlich" sei, dass der Kanzler dann noch Schröder heißen wird.

Die Berliner Telenovela inspiriert

Vielleicht werde die Zeitung ja bald titeln: " Bild ist Kanzler", mopst sich die PDS-Abgeordnete, und der CSU-Fraktionschef nimmt die Idee gern auf und referiert, dass ja bei der aktuellen Umfrage der Zeitung ("Der große Ted von Bild und RTL") 88 Prozent der Anrufer für Neuwahlen seien und Schröder ihr Misstrauen ausgesprochen hätten.

Bild und die anderen werden viel zu schreiben haben. Die Berliner Telenovela inspiriert. Die taz zum Beispiel montiert zur Schlagzeile "Bundestag wählt Miss Trauen" eine etwas altertümliche Badeanzug-Schönheit mit lächelndem Schröder-Kopf.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat den bildenden Unterhaltungswert der Freitagsfrage voll begriffen und sendet großflächig, während die großen Privaten kein Vertrauen in die Quotenkraft der Politik haben und lieber im Schema F bleiben.

Immerhin gehören dazu so viel sagende Klassiker wie: Eure letzte Chance, talk talk talk, Einsatz in vier Wänden, Unsere Klinik, und, na ja, eben Verliebt in Berlin.

Groß dabei an diesem Tag ist der Erlebnis- und Dokumentationssender Phoenix, der verspricht, "ganz nah an den Fraktionen dran" zu sein. Vor allem sind die Leute dort in der Lobby vielleicht zu nah dran an den Regierenden von morgen: Als Angela Merkel den Plenarsaal verlässt, heißt es, die "Bundeskanzlerin" gehe als eine der letzten.

Und ihr parlamentarischer Geschäftsführer Röttgen wird als "parlamentarischer Staatssekretär" eingeführt - was natürlich noch werden könne, wie nachgereicht wird.

Dafür kommentiert der große vormalige WDR-Intendant Friedrich Nowottny, der zuletzt oft bei RTL zu sehen war. Der alte Fuchs scheint beim Bericht aus Berlin telepathisch zu wissen, was die Abgeordneten in ihren Stuhlreihen so denken und fühlen und sagen.

Als der Außenminister, den alle als Joschka kennen, korrekt im hohen Haus Joseph Fischer genannt wird, fügt Nowottny weihevoll an: "Oh, der Joseph kommt jetzt!"

Der hohe Grüne gibt der TV-Gesellschaft wenigsten eine zündende Wahlkampfrede, die klingt, als führe Fischer die Opposition gegen Kanzlerin Merkel an. Mit den Unionskonzepten assoziiert er ein schön anzuschauendes Soufflé im Ofen, in das man besser nicht hineinpieksen sollte. Einmal deklamiert er: "Sie machen keine Fehler, Sie sind der Fehler!"

In dieser Telenovela ist Fischer der Rabauz, Schröder der geläuterte Staatsmann, Merkel die Wohlfühlfrau, Westerwelle ein Notar. Nur Werner Schulz (Grüne/Bündnis 90), Rebell der früheren DDR mit Brecht-Zitatenschatz, stört das Casting, weil er doch gegen das Prozedere dieser Selbstauflösung klagt, weil er es für eine Farce hält, die ihn an mimenreiche Sitzungen der Volkskammer erinnert.

In Richtung TED sagt er, da werde immer gefragt, wer am Sonntag gewählt werden würde, es werde aber nicht am Sonntag gewählt: "Wir leben in einer Demokratie, nicht in der Demoskopie."

Oder in einer Telekratie?

Otto Schily findet es beim Interview-Marathon von ARD, ZDF, Phoenix ganz schrecklich, dass der von ihm so geschätzte Kollege Schulz so daneben gelegen habe.

Die einstige Verfassungsrichterin Jutta Limbach will im ZDF nicht urteilen, wie ihre früheren Kollegen urteilen. Peter Hahne macht Schluss mit lustig und analysiert den Merkelschen SPD-FDP-Linguslapsus als "Freudsche Fehlleistung".

Rot-Pullunder Stiegler sagt, er kenne viele Fußballspiele, bei denen es 0:2 stand, die dann aber 3:2 endeten.

Der Mann war zu oft im Wunder von Bern. Aber, das Wunder von Berlin, keine Frage, wäre irgendwie auch eine gute Story.

© SZ vom 2.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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