Mata Amritanandamayi:"Es ist wie bei einer Banane"

Lesezeit: 3 Min.

Seit Jahrzehnten stehen weltweit Menschen an, um sich von der Inderin Mata Amritanandamayi umarmen zu lassen. Ein Gespräch mit dem weiblichen Guru über Spiritualität und Schweinegrippe.

Interview von Michael Zirnstein

Schon als Mädchen im südindischen Ort Parayakadu umarmte die Frau, die alle "Amma" (Mutter) nennen, leidende Männer und Frauen jeden Standes - in der patriarchalen Kastengesellschaft ein Tabubruch. Heute trägt sogar eine von den UN anerkannte, hauptsächlich spendenfinanzierte Wohltätigkeitsorganisation den Namen der 63 Jahre alten Mata Amritanandamayi. Amma betreibt Wohnhäuser, Kliniken und Schulen für Arme. In der mitteleuropäischen Yoga-Szene ist die Frau, die gegen Ausbeutung und für Feminismus kämpft und mit ihren Helfern den Straßendreck in Kalkutta wegräumt, ein Star. Und weiterhin umarmt Amma Menschen. Schon 30 Jahre währt ihre "Embracing The World"-Tour. An diesem Donnerstag werden in München Hunderte anstehen, um von ihr gratis gedrückt zu werden.

SZ: Warum wollen die Menschen von Ihnen berührt werden?

Amma: Sogar in der westlichen Welt ist es nichts Neues, sich zu umarmen. Aber das hier hat noch eine andere Dimension. Jede Emotion wie Ärger, Lust oder Hass hat eine eigene Schwingung, die Zuneigung eines Kindes für die Mutter schwingt anders als die Liebe der Mutter für ihr Kind. Wenn Menschen zu mir kommen, fühlen sie die erhebende Schwingung wahrer Liebe. In der Außenwelt treffen sich nur die Körper. Hier ist es eine Begegnung reiner Liebe, die ihnen hilft, ihre Mütterlichkeit zu erwecken und kindliche Unschuld. Diese beiden Seiten schlafen in der heutigen Welt, die Menschen sind mehr in ihrem Kopf als im Herzen, aber das Verlangen ist da. Einige erkennen, dass sie eine selbstleuchtende Sonne sind, aber noch brauchen sie eben eine Kerze, die sie entflammt.

Welche Rolle spielt die Religion dabei ?

Es ist wichtig, dass jeder tief in seinem eigenen Glauben verwurzelt bleibt und bei seinen religiösen Übungen und Ritualen, um spirituell zu wachsen. Es genügt, wenn du weißt, wer du bist. Es ist wie bei einer Banane: Die Schale ist da, um die Frucht zu schützen. Religion ist die Schale. Essen Sie nicht die Schale, essen Sie die Frucht.

Voriges Jahr haben Sie Papst Franziskus getroffen. Haben Sie den auch umarmt?

Wir haben uns an den Händen gehalten. Aber ich habe ihn nicht wirklich umarmt.

Was haben Sie bei ihm gespürt?

Er ist eine spirituelle Person. Unser Treffen war aber weniger eine spirituelle Sitzung als vielmehr eine Plattform zum Austausch darüber, wie man die moderne Sklaverei stoppen kann und wie die Religionen dabei helfen können. Der Vorsitzende der päpstlichen Akademie der Wissenschaften, Marcelo Sánchez Sorondo, hat mich eingeladen. Er war in meinem Ashram. Er ist eine Person mit einer weiten Vision, der Papst natürlich auch. Der Papst hat eine gute Perspektive für die Welt, und er möchte wirklichen Wandel. Forscher von unserer Universität wurden an die päpstlichen Universitäten eingeladen, ihre Ideen und Programme auszutauschen. Wir haben in unserem Programm "Living Labs" Forscher und Studenten in 101 Dörfer in ganz Indien geschickt, um dort mit den Einwohnern ein paar Wochen oder Monate zu leben und herauszufinden, was sie benötigen. Die päpstliche Universität hat Interesse daran, ihre eigenen Studenten zu den Living Labs nach Indien zu entsenden.

Für viele Menschen sind Wissenschaft und Spiritualität gegensätzliche Welten, ja die Forschung sei gerade dazu da, die Spiritualität zu entlarven.

In Wirklichkeit sind materielle Wissenschaft und spirituelle Wissenschaft untrennbar. Der Körper braucht Nahrung, und der Verstand braucht auch gute Nahrung aus guten Werten. Auch in der alten indischen Welt waren Spiritualität und Wissenschaft nie getrennt, es waren immer zwei Flügel eines Vogels. Einer beschäftigt sich mit der äußeren Existenz in der Welt, der andere mit der internen. Die Bevölkerung wächst Tag für Tag, wir müssen uns auch mit praktischen Lösungen von Problemen beschäftigen; wir brauchen Technik also. Wissen heißt aber auch, alles zu umarmen, alles als eine Einheit zu erkennen, das ist eine kulturelle Notwendigkeit. Das passiert gerade nicht, deswegen gibt es so viel Krieg, Terrorismus und Konflikte. Wahres Wissen sollte dazu führen, dass die Menschen wirklich glücklich sind.

Es ist gerade Erkältungszeit - haben Sie denn keine Angst, sich womöglich eine Grippe oder einen Schnupfen einzufangen, wenn Sie so viele Menschen an sich heranlassen?

Ich habe keine Angst. Vor gar nichts. Auch nicht vor ansteckenden Krankheiten. Vor nichts, was meinem Körper schaden könnte. Ich habe Leprakranke umarmt. Als vor einigen Jahren die Schweinegrippe in Japan Hunderte Menschen tötete, riet mir jeder, ich solle da nicht hingehen. Aber ich habe mein Programm durchgezogen, die Menschen hatten Masken auf, ich nicht. Der Körper wird ohnehin eines Tages vergehen. So lange arbeite ich lieber hart, als zu rosten, ohne etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun.

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: