Massenflucht wegen "Rita":Das Chaos vor dem Sturm

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Der Süden der USA zittert erneut vor einem gewaltigen Wirbelsturm: "Rita" hält Kurs auf die texanische Küste. Hunderttausende fliehen ins Landesinnere, viele stecken in Staus fest. In den Städten bleiben die sozial Schwachen zurück.

Wilma Skinner würde den Kommunalbeamten von Houston gerne mal gehörig ihre Meinung sagen. Aber niemand geht ans Telefon.

"Ich habe mich um eine Notunterkunft bemüht, und ich habe um Hilfe gebeten, aber niemand hat mir überhaupt zugehört", sagt die Nordamerikanerin. "Man hat mir nur gesagt, dass ich die Stadt sofort verlassen sollte. Aber wie soll ich das tun ohne Geld?"

Skinner ist eine von Millionen Einwohnern der texanischen Metropole Houston und Umgebung, die angesichts des heran nahenden Hurrikans "Rita" zur Evakuierung aufgerufen wurden. Zwar hat der Wirbelsturm ein wenig an Geschwindigkeit verloren und wurde auf das Niveau Vier herabgestuft. Doch damit ist "Rita" immer noch genauso stark und gefährlich wie "Katrina".

Die meisten Einwohner Houstons, die der Aufforderung zur Evakuierung nachgekommen sind, haben die Stadt im eigenen Auto verlassen und sind prompt in Megastaus geraten. Stoßstange an Stoßstange stehen sie nun auf den Highways. Wer kein Auto hat, hat laut Skinner jedoch überhaupt keine Chance, sich in Sicherheit zu bringen.

Dies bestätigt auch Thomas Visor, der sich mit rund 100 Nachbarn afrikanischer oder lateinamerikanischer Abstammung vor einem Bankschalter angestellt hat. Aber dieser bleibt geschlossen. "Das ist doch verrückt", schimpft Visor. "Wie soll man vor einem Hurrikan fliehen ohne einen Cent in der Tasche, kann mir das vielleicht mal jemand beantworten?"

"Die schlechteste Planung, die ich je gesehen habe"

Auch Judie Anderson, die nach ihrer Abfahrt aus dem texanischen La Porte nach zwölf Stunden gerade mal 70 Kilometer weit gekommen ist, beschwert sich über die Organisation der Evakuierung: "Das ist die schlechteste Planung, die ich je gesehen habe. Und da sagen die Behörden, sie hätten viel aus ihren Erfahrungen mit 'Katrina' gelernt. Davon bin ich jedenfalls nicht überzeugt."

Wenigstens ist es der Autobesitzerin Anderson gelungen, überhaupt aus Houston herauszukommen. Für die Armen dieser Großstadt scheint sich diese Chance in der Tat nicht anzubieten. Der 64-jährige Eddie McKinney, ein zahnloser Obdachloser im zerrissenen Hemd, steht vor einem Pfandladen mit dem Warnschild "Herumlungern verboten" und schlürft sein Bier.

Er werde halt in Houston bleiben, sagt er, eine andere Möglichkeit sehe er nicht. Zumindest habe ihm "ein netter weißer Mann" ein Zimmer in einem Motel verschafft - und dazu sogar noch eine Flasche Whiskey.

Im südlichen Arbeiterstadtteil Deer Park am Rande der großen Raffinerien warten Troy und Stacy Curtis vor einer Polizeiwache auf Hilfe. Die beiden haben vor etwa drei Wochen New Orleans verlassen, wo damals der Hurrikan "Katrina" wütete.

Seitdem haben sie in Deer Park in einem Billighotel gewohnt, und die Krankenschwester Stacy hatte sogar schon einen Job in Aussicht. Nun müssen die beiden vor dem nächsten Wirbelsturm fliehen und finden das noch schwieriger als beim letzten Mal, weil ihre finanziellen Ressourcen aufgebraucht sind.

Schließlich werden sie aber doch in einem Lieferwagen der Stadtverwaltung mitgenommen. Auch Busse werden bereit gestellt, so dass auch Wilma Skinner und ihr sechsjähriger Enkel Dageneral Bellard schließlich abreisen können.

Doch Skinner beschwert sich weiterhin, dass die Evakuierung der Armen aus Houston weitaus weniger gut organisiert sei als die der Reichen am Strand von Galveston.

Unterdessen steht Monica Holmes weiterhin im Stau, bis ihr fast das Benzin ausgeht. Der angesteuerten Tankstelle sind die Vorräte jedoch schon ausgegangen. Der 47-jährige John Benson meint angesichts dieser chaotischen Situation, dass es doch am besten sei, freiwillig zu Hause zu bleiben.

Er vertraue darauf, dass sein Galveston letztlich doch nicht so hart getroffen werde wie befürchtet. Und sollte die Stadt nach dem Hurrikan überschwemmt sein, dann werde er sein Surfbrett als Transportmittel benutzen.

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