"Mao-Anzug":Die chinesische Zwangsjacke

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Einst machten die Kommunisten den uniformen Zweiteiler zum Symbol der gnadenlosen Revolution - nun kommt er wieder in Mode.

Von Kai Strittmatter

Peking - Zuerst gilt es, eines der hartnäckigeren Missverständnisse in der Modegeschichte auszuräumen. Es stimmt: Diesen Anzug hat der größte Revolutionär seiner Zeit erfunden. Ein Mann, der die alte Ordnung stürzte, als Chinas Retter bejubelt wurde und zum Präsidenten des Landes gewählt wurde.

"Man trägt den Anzug, wie man sich ein Che-Guevara-Poster an die Wand hängt": Der Bildhauer und ehemalige Rotgardist Sui Jianguo wittert in der neuen Mode Revolutions-Kitsch. Er steckt lieber Plastiken von Marx und Jesus in den Zweiteiler. (Foto: Foto: Kai Strittmatter)

Zeitlebens stolzierte er in dem von ihm entworfenen Kleide umher, bald taten es ihm Unzählige nach. Deshalb trägt das gute Stück bis heute seinen Namen.

Aber nein, es heißt nicht "Mao-Anzug". Von so einem seltsamen Ding hat hier in China noch nie einer gehört. Spricht man dagegen vom "Sun-Yat-sen-Anzug", dann werden die Augen aufleuchten - die einen vor sentimentaler, die anderen vor schmerzlicher Erinnerung.

Also, Mao trug ihn - doch nicht er hatte den Anzug entworfen, nein, das war Jahrzehnte zuvor jener Nationalist und Demokrat gewesen, der 1911 den letzten Kaiser stürzte. Und weil der im Westen als "Sun Yat-sen" bekannte Mann im Hochchinesischen stets mit seinem anderen Namen "Sun Zhongshan" gerufen wurde, heißt sein Zweiteiler in China bis heute zhong-shan-zhuang, "Zhongshan-Anzug".

Das Kleid musste dem Schneider regelrecht abgerungen werden, wenn wir dem chinesischen Fernsehen glauben wollen, das die Stunde seiner Geburt in dem Doku-Drama "Der Weg zur Republik" nachgestellt hat. "Was soll denn das werden?", grummelt da der Schanghaier Schneider den ehrwürdigen Sun Yat-sen an: "Dieser Kragen - da ersticken Sie doch... und die vier Taschen außen, so was Komisches: Wollen Sie etwa Zauberkunststückchen vorführen?" Ein prosaischer Anfang für ein Gewand, das von seinem Schöpfer schon als Signal für die Rettung Chinas verstanden worden war.

Dieser Anzug hat seinen Schöpfer überlebt, er wird auch Ding Kuai'an überleben, das kleine Schneiderlein, das ihm sein Leben gewidmet hat. Waren es Tausende, Zehntausende, die er genäht hat? Immer die gleichen vier Taschen mit immer den gleichen klammerartig nach unten geschwungenen Klappen, immer die fünf Knöpfe am Revers. Zu tragen hochgeschlossen, so packt er seinen Träger in Halt und Würde. Keine Falte ist erlaubt. "Es ist eine Kunst", sagt Meister Ding: "Schwieriger als ein westlicher Anzug."

Ding Kuai'an, der 75 Jahre alte Schneider, und Sui Jianguo, der Bildhauer, der eine Generation später zur Welt kam: Beide haben sie sich abgearbeitet am Zhongshan-Anzug, beide auf ihre Art. Und bei beiden war Mao schuld, der für sich in Anspruch nahm, der wahre Erbe Sun Yat-sens zu sein und sich deshalb in seinen Anzug geschlichen hatte.

"Das Land zu retten. Darum ging es immer", sagt Bildhauer Sui. Um den Zusammenprall von West und Ost. Um den verzweifelten Versuch, China mit Hilfe westlichen Denkens zu modernisieren und gleichzeitig sein Erbe zu bewahren. "Dafür steht der Zhongshan-Anzug", sagt Sui: "Für die ganzen letzten hundert Jahre." Bei Sun war er Sinnbild für Avantgarde, unter Mao Zeichen totaler Konformität. "Und am Ende war Deng Xiaoping der einzige Mann im Land, der den Anzug noch getragen hat", sagt Sui.

Ende? Moment - das sah nur aus wie das Ende; da ahnte noch keiner, dass Jahrzehnte nach Maos rotem Buch einmal Maos graues Tuch hip werden würde: "China Chic".

Sun Yat-sen wollte das Kaiserhaus der Mandschuren auslöschen. Und so schnitten seine Revolutionäre zuerst den allen Männerschädeln anbefohlenen Mandschurenzopf ab - und schlüpften dann aus der traditionellen Robe in ein modernes Kleid. Es finden sich in Sun Yat-sens Entwurf ebenso Züge japanischer Studentenuniformen (der Stehkragen) wie Anleihen bei der deutschen Militärkluft (die Außentaschen). "Aber die Falte, die er dem Anzug hinten gab, die hat er sich bei den Bauernjacken seiner Heimat Kanton abgeschaut", sagt Sui Jianguo.

Die Kuomintang (KMT), die von Sun gegründete Partei, machte den Anzug 1923 zur Pflichtkleidung aller Beamten. Zwei Jahre später starb Sun. Und bald schlüpfte auch der Kommunist Mao Zedong, der die KMT später erbittert bekämpfte, in das Kleid des verehrten Republikgründers. Ein Vierteljahrhundert später - es war 1948, die Rotarmisten hatten die KMT eben aus Peking vertrieben - erreichte den Schneiderlehrling Ding Kuai'an und seinen Meister Wang Ziqing der Ruf, in die "Duftberge" am Stadtrand zu kommen, wo die KP ihr Lager hatte: Ein Führer benötige ihre Dienste.

"Man nannte uns keine Namen - und damals waren von den Kommunisten keine Fotos im Umlauf", erzählt Meister Ding. Sie sahen ihren Kunden nur aus der Ferne, konnten ihn nicht einmal vermessen: "Die Leibwache ließ uns nicht ran." Sie schneiderten quasi per Fernblick.

Am 1.Oktober 1949 dann bestieg der Mann aus den Duftbergen in einem Anzug aus ihrer Hand das Tor des Himmlischen Friedens und rief die Volksrepublik China aus. Was fühlte er damals, der Schneiderlehrling? "Aya! Viel zu groß war das Teil!", sagt Ding. "Aber Mao zog es noch jahrelang an. Er war so sparsam." Aus dem Stehkragen des Originals hatte Dings Meister Wang da schon einen schmalen Rundkragen gemacht.

Maos Inthronisierung fand landesweiten Niederschlag in Chinas Schnittmustern: Man trug nun Mao. "Wenn der Bräutigam damals keinen Zhongshan-Anzug auftreiben konnte", erzählt Künstler Sui Jianguo, "dann weigerte sich die Braut, ihn zu heiraten." Da dauerte es nicht mehr lange bis zu jenen Jahren, in denen China zum Irrenhaus wurde und das hier zu seiner Zwangsjacke. "Mao war unser Gott", erinnert sich Sui. Es war Kulturrevolution (1966-1976), und der junge Sui Jianguo zog aus, als Rotgardist die Reaktion zu zerschmettern.

Unter die Räder des Rotgardisten-Terrors kam auch Schneider Ding: Sein Vater war ein wohlhabender Bauer gewesen, das genügte als Verbrechen. 13 Jahre lang fegte Ding nun den Boden und putzte Latrinen. Welche Ironie: Ding durfte ausgerechnet jetzt keine Zhongshan-Anzüge mehr schneidern, da plötzlich das ganze erwachsene Volk einen trug (die Jüngeren bevorzugten die grüne Armeekleidung). "Wir waren selbstlose Schräubchen im Werk des Sozialismus", sagt Sui Jianguo. "China war ein Meer von Grau, Grün und Blau", sagt Meister Ding.

Im Westen sahen sie "blaue Ameisen", die im "Mao-Anzug" umher liefen. Wie die rote Mao-Bibel hatte der revolutionäre Schick seine Anhänger im Ausland. Der Sozialist Julius Nyerere brachte den Anzug in seine Heimat Tansania, wo er als "Ki Mao" bei offiziellen Anlässen getragen wird und erst allmählich dem fröhlichen Mandela-Hemd Platz macht. Auf seine Art sei Mao ein Modezar gewesen, schreibt die Hongkonger Designerin Vivienne Tam: "Wo sonst konnte ein Mann mehr als einer Milliarde Menschen sagen, was sie anzuziehen hatten?"

Letztlich wurde das dem Anzug zum Verhängnis: Die Chinesen sind erwacht aus dem Mao-Rausch, aber die meisten laborieren noch an ihrem Kater - und sind des Gewandes zum Erbrechen überdrüssig.

Die Parteibonzen tragen heute Krawatte und Anzug westlichen Zuschnitts, den Zhongshan-Anzug kramen sie hervor, wenn mal eine Rede über die alten Zeiten, über Opfergeist und Selbstlosigkeit ansteht, also nicht mehr oft. Das "Hongdu", die "Rote Hauptstadt" getaufte staatseigene Schneiderei nahe am Tiananmen-Platz, in der einst nur bestellen durfte, wer vom Rang eines Ministers war oder drüber, ist trostlos verwaist. "Heute kaufen viele der Führer im Ausland", sagt Meister Ding: "Italienische Stoffe".

Ding Kuai'an hat bis zu seiner Pensionierung 2001 im Hongdu gearbeitet, hat dort genäht für Premier Zhou Enlai ("der Netteste") wie für Deng Xiaoping ("noch kleiner als ich"). "Am Schluss hatte ich mehr ausländische Kunden als Chinesen", sagt er. Findet er das traurig? "Traurigsein hilft nix", sagt Ding.

Die Jungen, meint er, würden den Zhongshan-Anzug selbst geschenkt nicht mehr anziehen. Und er selber? Besitzt nicht einmal mehr einen: "Schnürt einen viel zu sehr ein", sagt Ding und greift sich mit der Hand an die Kehle.

Ob Ding sich wundern würde, bekäme er die Chance, einmal eine feine Abendgesellschaft in Hongkong zu beobachten, in Taipeh oder gar in Schanghai? Langsam kommt er nämlich zurück, der Zhongshan-Anzug. In seiner neuesten Wiedergeburt - als Fashion-Statement, nicht als Revolutionsfanal. Sie finden ihn wieder schick, manche der Jungen und Neureichen, gerade weil man sich heute damit von der Masse abhebt.

"Praktisch ist er: spart einem die Krawatte", sagt Max Yang, ein Medien-Investor, der sich gleich fünf Stück zugelegt hat - einen davon in Knallrot. "Und wenn ich zu Verhandlungen nach Europa fahre, erinnern sich die Leute hinterher zwar weder an mein Gesicht noch an meinen Namen. Aber an den Anzug erinnern sich alle."

Der Maler Liu Peng findet, China sei schon ein seltsames Land: "Wenn du in die feinen Restaurants guckst, siehst du heute reiche Hongkonger im Zhongshan-Anzug - und wenn du aufs Feld schaust, dann stehen da unsere Bauern, die tragen mitten im Schlamm billige westliche Anzüge". Auch das mag man als Sinnbild nehmen: In diesem Land des Umbruchs fügt sich nichts mehr der ihm ursprünglich zugewiesenen Bedeutung.

Bildhauer Sui Jianguo wittert Revolutions-Kitsch: "Der Anzug ist Konsumgut geworden. Man trägt ihn so, wie man sich ein Che-Guevara-Poster an die Wand hängt." Suis Studio ist voller gewaltiger Plastiken: Marx und Jesus hat er ebenso in Zhongshan-Anzüge gesteckt wie Michelangelos "David". Und dann stehen da Anzüge aus Gips, ganz hohl. "Ohne Hand und ohne Hirn", sagt Sui. Des Künstlers Götteraustreibung. Klappt es? "Ich kämpfe noch", sagt Sui: "Mit mir und mit Mao."

Da geht es ihm wie seinem Land. Die oben erwähnte Seifenoper "Marsch in die Republik" endet mit einer Ansprache Sun Yat-sens, in welcher er die Symbolik seines Anzugs erklärt: Die drei Manschettenknöpfe, die er der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gewidmet habe; die vier Taschen, die für die Rechte des Volkes stünden. Die Innentasche, die er die "Geheimwaffe des Volkes" nennt: "Sie steht für das Recht zur Amtsenthebung korrupter und unfähiger Politiker", ruft Sun. Offenbar zu heikle Worte für die Zensoren: Die Serie wurde nach der Erstausstrahlung im Staats-TV vergangenes Jahr eingestellt, die DVD ist verboten.

© SZ vom 19.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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