Lotto:Märchen aus der Vorstadt

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Ein arbeitsloser Franzose, Vater von sieben Kindern, gewinnt den Rekord-Jackpot über 76 Millionen Euro und feiert im Bahnhofscafé.

Gerd Kröncke

75.888.514 - die Zahl hat etwas Unwirkliches, man muss zweimal draufschauen, um sie dann auf fast 76 Millionen zu vereinfachen. 75.888.514 Euro, das war der Jackpot in der Euro-Lotterie, den ein Franzose maghrebinischer Herkunft am Freitagabend zusammen mit seinem Sohn gewonnen hat.

Mohammed, 55 Jahre alt, ist arbeitslos und Naïm, 22, hatte nie einen Job. Nun brauchen sie keinen mehr, müssen den Beruf des Millionärs erlernen und könnten Arbeitgeber für Anlageberater werden. Es ist ein Märchen aus der Vorstadt.

Kaffee für alle

Mohammed, Vater von sieben Kindern, war vor drei Jahrzehnten aus Tunesien nach Frankreich gekommen und war vermutlich nicht immer glücklich. Voriges Jahr hat er seinen Jüngsten begraben müssen, der war gerade 18. Seine Frau sagt, der Reichtum werde kein Glück bringen, und sie würde alles Geld der Welt dafür geben, wenn sie nur ihren Kleinen wiederbekommen könnte.

Der Traum vom großen Geld, der für diese Familie aus bescheidenen Verhältnissen in Erfüllung geht, war für die Angestellten der Lotto-Gesellschaft erst einmal ein Albtraum. Noch bevor sie den Gewinner kontaktieren konnten, war Mohammed gleich an dem Morgen nach der Ziehung der Zahlen in das kleine Café de l'Arivée gelaufen, um seine Freude mit dem Patron zu teilen. Er hatte offenbar gar nicht erst darüber nachgedacht, dass einer wie er in seinem Glück besser anonym bleiben sollte. Jeder durfte auf seine Kosten Kaffee trinken.

Nach ihm tauchten dann die Söhne auf. In dem Café gleich gegenüber des Pariser Vorort-Bahnhofs Franconville-Le Plessis-Bouchard waren inzwischen etliche Journalisten eingetroffen. Naïm, ein großer kräftiger Kerl im blauen Trainingsanzug, war sehr stolz. Er habe vor Freude geweint wie ein Kind, erzählte er. Genau weiß er noch nicht, was er mit dem vielen Geld anfangen wird.

Hotel in Tunesien - Häuser - teure Autos

"Kauf dir ein Hotel in Tunesien", raten die Freunde, "dann bist du der Boss". Seine eigenen Vorstellungen sind verschwommen, er werde Gutes tun und denen helfen, die es nötig haben. "Ich habe vorher nicht gearbeitet, das werde ich weiter so machen."

Ein Angestellter der Lotto-Gesellschaft, Abteilung Große Gewinner, hatte alle Mühe, Naïm, der den Zehn-Euro-Tippzettel für den Vater ausgefüllt hatte, und seinen Bruder Karim nach Hause zu schicken. Da kam aber schon der dritte Bruder, Hichem, und verkündete stolz, dass er gerade ein BMW-Cabrio bestellt habe, mit allen Optionen, für 130.000 Euro.

In der Vorstadt weit vor den Toren von Paris, in der Sozialsiedlung Montedour, auch Klein-Chicago genannt, am Rande von Franconville, lebte die Familie bisher in einer Vierzimmer-Wohnung. Mohammed, der Vater, ist seit zwei Jahren arbeitslos, seine Frau ebenso. Nun will er für jedes seiner Kinder ein Haus kaufen. Die Familie wird ein bisschen Ruhe brauchen, die sie kaum finden wird, wenn sie hier bleibt.

Freunde der Söhne, die in Smic rechnen, dem staatlich vorgegebenen Monats-Mindestlohn, haben ausgerechnet, dass die Millionensumme einem über 62 Jahrhunderte ausgezahlten Lohn entspricht. Nahe liegender für die Jungen aus der Vorstadt ist das Beispiel Zinedine Zidane: der Transfer des Fußballspielers von Juventus zu Real Madrid kostete 76 Millionen Euro.

© SZ vom 19.09.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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