"London jodelt":Wo aus zwei Pints eine Maß wird

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Zu den exotischen Speisetempeln der britischen Hauptstadt hat sich jetzt das erste bayerische Wirtshaus gesellt. Auch die skurrilste Hürde wurde genommen: das englische Pint.

Gerd Zitzelsberger

Christian Ude würden sie des Amtes entheben, hätte er das Bierfass so angezapft. Aber René von Reth ist nicht Münchner Oberbürgermeister, sondern Neu-Gastronom in London, und dort rangiert Bier mit richtigem Schaum unter den Exotica. So bekommt René Applaus, als nach dem dritten Schlag das Paulaner über Tische und Bänke spritzt. Damit war das "Bavarian Beerhouse", das einzige deutsche Gasthaus in der Sieben-Millionen-Metropole London, eröffnet.

Einen marokkanischen Teeraum zu finden oder Schmankerl aus Äthiopien und Georgien, ist in London nicht schwer. Japanische Spezialitäten gibt es in diversen Preisklassen, und thailändische Restaurants beginnen der indischen Konkurrenz den Rang abzulaufen. Selbst für gutes britisches Essen zirkulieren Geheimtipps. Das amerikanische Gourmet-Magazine verlieh London kürzlich gar den Titel "Bester Platz zum Essen auf der Welt". Allein die 60.000 Deutschen an der Themse hatten kein einziges Wirtshaus - bis jetzt René und seine Lebenspartnerin Sabine Schlodder das Beerhouse aufgemacht haben.

Norddeutsche Interpretation bayerischer Gemütlichkeit

Zweieinhalb Jahre hat es gedauert, bis die neuen Wirtsleute ihren Traum verwirklichen konnten; die skurrilste Hürde: Die Gaststätten auf der Insel dürfen - gemeinsames Europa hin oder her - keine Maß ausschenken und keine Halbe, sondern nur britische Pints, und die entsprechen 0,56 Liter. All die importierten Biergläser mussten deshalb einen zusätzlichen Eich-Strich bekommen. Aber wie bringt man zwei Pints plus Schaum in einen Maßkrug? "Du musst halt ein bisschen schief auf den Strich schauen", erklärt der Mann hinterm Zapfhahn.

Das einzig Bayerische an René, einem gelernten Tauchlehrer-Ausbilder aus Essen, und Sabine, im früheren Beruf Event-Managerin, sind Lederhose und Dirndl. Auch die Holzvertäfelung im Schankraum sieht eher nach einer etwas norddeutschen Interpretation bayerischer Gemütlichkeit aus. "London jodelt", hatte es in der Einladung geheißen. Bei der Eröffnung waren die Gastgeber dann gnädig: Die Oktoberfest-Musik kam mit gedämpfter Lautstärke vom Band. Ungebremst deutsch dagegen die Getränkekarte - wo sonst bekommt man bei den Briten Paulaner, Hofbräu, Küppers Kölsch, Dübels Alt und Erdinger Weißbier vom Fass?

Das "Beerhouse", in einem gastronomischen Niemandsland zwischen der Finanzmeile und dem Szene-Viertel Islington gelegen, hat genug Exotik, um Briten zu begeistern. Glauben zumindest die Wirte: "Ob Tokio, Melbourne oder Singapur, überall bekommt man richtiges Bier, und überall findest du eine Art Hofbräuhaus", argumentiert Sabine Schlodder. "Warum sollte es ausgerechnet in London keinen Bedarf dafür geben?"

© SZ vom 30. Januar 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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