Lindbergh-Baby:Der große Traum vom Flieger

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Noch immer behaupten viele Menschen, darunter schwarze Frauen und Hypnose-Patienten, das 1932 ermordete Lindbergh-Baby zu sein.

Von Gerd Kröncke

Er hatte viele Kinder, aber noch viel mehr wollen sein Baby gewesen sein. Charles Lindbergh, einer der wichtigsten Flugpioniere der Geschichte, der 1927 als erster den Atlantik überflog, hatte, wie seit zwei Jahren bekannt, außer den sechs Kindern, die ihm seine Ehefrau geboren hatte, sieben weitere in Deutschland.

Verschwörungstheorien gab es viele: Charles Lindbergh. (Foto: Foto: dpa)

Und einer der psychologischen Gründe für sein Doppel-Doppelleben mit diversen Nebenfamilien könnte jene Katastrophe gewesen sein, die Charles Lindbergh und seine Frau im März 1932 ereilte, als ihr erster Sohn Charles im Alter von 20 Monaten entführt und ermordet wurde.

Seit den fünfziger Jahren melden sich immer wieder Menschen zu Wort, die von sich behaupten, sie seien das wahre Lindbergh-Baby, der kleine Charles sei seinerzeit vertauscht, ein anderer an seiner Stelle begraben worden.

Und seit der ersten Veröffentlichung über Lindberghs deutsche Kinder in der SZ häuften sich die Behauptungen von unglücklichen, teils verschrobenen Herren, die nun in Briefen an diese Zeitung mit Nachdruck darauf beharrten, es bedürfte nur einer DNS-Analyse, um ihre wahre Herkunft zu beweisen.

Die Familie Lindbergh hat diese Ansinnen stets ignoriert. Wie Lindberghs deutsche Kinder auch - bis jetzt. Nun hat der jüngste deutsche Lindbergh-Sohn David Hesshaimer sich als Erster zu einem Test bewegen lassen. Und das Ergebnis ist das Gegenteil einer Sensation: Der 76-jährige Robert Aldinger aus Orlando, Florida, der seit Jahren um die Aufnahme in den Clan kämpft, ist kein Lindbergh-Baby.

"Dear Ladies and Gentlemen of the Press", hatte sich Aldinger schon im Sommer 2003 an die SZ gewandt, "nach all den Informationen, die ich über die Leute herausgefunden habe, die vorgeben, meine Familie zu sein, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich das entführte Lindbergh-Baby bin."

Sein Indiziengespinst begann mit der Bekanntschaft seines vermeintlichen Vaters Fred Aldinger mit dem Lindbergh-Entführer Bruno Hauptmann. Daran knüpft sich eine Verschwörungstheorie, derzufolge Lindberghs Sohn wegen einer Behinderung vertauscht worden sein soll und die nach dem DNS-Test endgültig hinfällig ist.

Verschwörungstheorien gab es viele: Kenneth Kervin aus Maine glaubt daran, dass ein Mann, dessen Kind gestorben war, Charles Lindbergh junior entführte, ihn dann aber zur Adoption freigab, weil er keinen Gefallen an ihm fand. Harold Olsen aus Connecticut ist überzeugt, er sei nach seiner Entführung nach Michigan gebracht und dort von Gangstern aufgezogen worden.

Und die schwarze Rentnerin Geneva Cato Fields aus New Jersey behauptet, Opfer einer Geschlechtsumwandlung zu sein, zudem hätten die Kidnapper mit künstlichen Mitteln ihre Hautfarbe geändert.

Die vielleicht abenteuerlichste Geschichte stammt von Paul di Anelli, der vor zehn Jahren seinen Namen offiziell in Charles A. Lindbergh ändern ließ und die Familie lange mit Annäherungsversuchen belästigte.

Er, also Lindberghs Baby, sei seinerzeit nicht durch ein Fenster entführt worden, wie die Ermittlungen ergeben hatten, sondern das Dienstmädchen habe ihn die Treppe hinuntergetragen und dort einer Frau und einem Mann mit einem Schnauzbart übergeben.

Das alles ist dem Mann, der sich Lindbergh nennt, nach 112 Stunden Hypnose ins Bewusstsein gerückt. Das Motiv für die Entführung: Rache von Schwarzbrennern. Der Flieger Lindbergh habe aus der Luft eine damals illegale Schnapsbrennerei entdeckt und den Behörden gemeldet.

Die meisten derer, die im Wahn leben, Lindberghs Baby zu sein, sind unglückliche Männer, die als Waisen aufwuchsen und sich eine faszinierende Identität erträumen. Robert Aldinger aus Orlando hatte darauf bestanden, dass er nur Gewissheit haben wolle. Die hat er nun.

© Süddeutsche Zeitung vom 21. Juli 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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