Leichenschändung:Hilflose Fragen nach dem Warum

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Nachdem vier Heranwachsende aus ihren Städten die Leiche eines Selbstmörders geschändet haben, sind die Bürger in Traunreut und Trostberg ratlos.

Michael Tibudd

Allzu viel gibt es nicht mehr zu tun für junge Leute in Traunreut. Vor ein paar Monaten war da noch der "Dance Club 99" am Rathausplatz, da konnte man abends hingehen. Der Laden ist jetzt dicht. Tagsüber rumzuhängen, das sind Anton, 17 und Mike, 18, beide arbeitslos, gewöhnt.

Jetzt ist es auch abends ein gutes Stück langweiliger, und Anton sagt diese Sätze über die Leichenschändung am Rande ihres Ortes: "Ich find"s geil, dass das passiert ist. Sowas kommt nicht alle Tage vor."

Donnerstag, um die Mittagszeit im Traunreuter Zentrum: Vor wenigen Tagen haben anderthalb Kilometer Luftlinie von hier entfernt vier Jugendliche im Alter von 13 bis 17 Jahren die Leiche eines Selbstmörders geschändet.

Die vier hatten mit ihrer Clique in der Nacht zum 1. Mai in einem Wald nördlich von Traunreut ein Walpurgisnacht-Fest gefeiert und sich exzessiv betrunken. Im Laufe der Nacht fand ein 15-Jähriger offenbar eher zufällig den Toten.

Er holte seine Freunde herbei, die den Leichnam so übel zurichteten, dass die Polizei zunächst glaubte, der Selbstmörder sei Opfer einer Gewalttat geworden.

"Die Gesetze gehören geändert"

Die Leichenschändung ist das Gesprächsthema im Ort. So erzählt es zum Beispiel Helga Walcher. Die 62-Jährige kommt gerade von einem Brunch mit elf Freundinnen. "Die Gesetze gehören geändert", sagt Walcher.

Dass einige Jugendliche, die sich an der Schändung beteiligt haben, noch keine 14 Jahre alt sind, erbost sie besonders. "Dabei kannst du deine Kinder so gut erziehen wie du willst, so was kannst du einfach nicht steuern."

Auch für Franz Richter und seine Kollegen ist die Schändung Thema Nummer eins. "Die Jugend ist einfach roher geworden ist", sagt der 48-jährige Techniker. Richter stammt aus Trostberg, zehn Kilometer nördlich von Traunreut - aus dem Ort, aus dem drei der vier Täter kommen. Was Richter über die Jugend vor seiner Haustür weiß?

Man hört so Dinge, sagt er: "So viel ist klar: Eine Rauschgiftszene gibt es nicht nur in München." Überhaupt, Trostberg: Es scheint ein Trost zu sein für die Menschen in Traunreut, dass drei von vier Tätern von dort stammen.

Hat doch Traunreut, das erst nach dem Zweiten Weltkrieg als "Vertriebenenstadt" entstanden ist, nach wie vor einen schlechten Ruf. "Die Leute scherzen schon: Nicht mal als Leiche ist man noch sicher in Traunreut", sagt ein Mann vor dem Pfarrbüro. Und: "Gut, dass die meisten aus Trostberg kommen. Sonst hätten wir wieder die ganze schlechte Presse."

"Meine Schüler sind das aber nicht"

Von der bekommt jetzt Trostberg ein Stück ab. Dabei ist die Jugend hier nicht vollends verschrieen. "Ich hör bloß, dass die abends rumsaufen und Bierflaschen rumwerfen", sagt zwar der Gymnasiallehrer Peter Kirchgeorg. "Meine Schüler sind das aber nicht."

Einen Persilschein stellt der Trostberger Jugend dagegen die 70-jährige Maria Schubeck aus. Seit fast 60 Jahren wohnt sie hier und "es hat noch nie Probleme gegeben".

Zwei Traunreuter Schrebergärtner hingegen können eine Menge von Problemen erzählen, in ihrer scheinbaren Idylle, wenige hundert Meter von der Stelle entfernt, wo die Jugendlichen die Leiche geschändet haben. Das eine Häuschen hat Einbruchsspuren. "Ich weiß nicht, was die hier suchen, hier gibt"s doch nichts", sagt seine Besitzerin. "Höchstens was zum Saufen", erwidert ihr Nachbar. "Ab acht, halb neun ist alles unbewacht. Da machen die hier Halligalli."

In der Nähe, am Rande eines Gewerbegebiets, haben sich Mike, Anton und andere Jugendliche eine neue Bleibe geschaffen. Einen Raum haben sie gemietet, bis zu 100 Leute, sagen sie, kommen an guten Abenden. Anton sagt: "Kann schon sein, dass da auch mal welche dabei sind, die eine Leiche schänden."

"Zunehmende Gewalt und Verrohung"

Unterdessen hat sich der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) "schockiert" über die Leichenschändung geäußert.

"Die zunehmende Gewalt, Verrohung und der Werteverfall unter Jugendlichen lösen in der Lehrerschaft Entsetzen aus und machen sprachlos", sagte BLLV-Präsident Albin Dannhäuser in München. Es müsse nach gesellschaftlichen und politischen Lösungen gesucht werden, "denn Kinder und Jugendliche spiegeln in ihrem Verhalten lediglich gesellschaftliche Muster wider".

© SZ vom 5.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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