Leben und Sterben in L.A.:Der Clan der Ghetto-Cinderellas

Lesezeit: 3 min

Der Ort, an dem die Halbschwester der Tennisstars Serena und Venus Williams getötet wurde, gehört zur Familiengeschichte.

Von René Hofmann

(SZ vom 16.9.2003) - Plötzlich ist der Ort wieder da: Compton. Yetunde Williams, die älteste dreier Halbschwestern der beiden Tennis-Größen Serena und Venus Williams, ist in der Nacht zum Sonntag in diesem Vorort von Los Angeles erschossen worden.

Oracene (links) und Yetunde Williams. (Foto: Foto: AP)

Die 31-Jährige war mit einem 28-jährigen Begleiter in einem weißen Geländewagen unterwegs. Die beiden gerieten in dem berüchtigten Viertel offenbar in einen Streit mit Anwohnern, in dessen Verlauf mutmaßlich ein 24-Jähriger Yetunde Williams mehrere Schüsse in den Oberkörper jagte. Wie genau und warum ist noch nicht bekannt. Die Polizei hat den Verdächtigen festgenommen und ermittelt.

Compton hat in der Geschichte der beiden derzeit besten Tennisspielerinnen des Planeten stets eine zentrale Rolle gespielt. Inzwischen verdienen die beiden Millionen in Metropolen wie Melbourne, Paris, London oder New York, doch der Grundstock dafür wurde in dem trostlosen Vorort gut 30 Kilometer südlich von Los Angeles gelegt.

Vater Richard Williams war mit seiner Familie extra in den verkommenen Stadtteil gezogen. Die fünf Kinder sollten sehen, wie gefährlich die Welt sein kann und wie hart man um einen bequemen Platz in ihr kämpfen muss.

Vor allem die beiden jüngsten: Serena und Venus. Mit denen hatte Richard Williams von Anfang an Großes vor. Eigentlich hatte seine Frau Oracene nach ihren drei Töchtern aus der ersten Ehe gar keine Kinder mehr gewollt, doch als Richard Williams im Fernsehen sah, wie die Siegerin eines Tennisturniers einen Scheck über 60.000 Dollar erhielt, klaute er seiner Frau die Anti-Baby-Pille. Zweimal.

So kamen Venus und Serena Williams zustande, zumindest erzählt es Vater Williams so, der einen Hang zu spektakulären Geschichten pflegt. Sobald seine beiden jüngsten Töchter laufen konnten, schleppte er sie auf die wenigen öffentlichen Tennisplätze in Compton, wo sie unter seiner Anleitung das Spiel mit der Filzkugel lernten - zwischen Heroin-Spritzen und Bandenschießereien.

Zumindest ist das die Legende, die Richard Williams verbreitet und aus der sich der Mythos der Ghetto-Cinderellas speist, die es von ganz unten in der Welt der Schwarzen ganz nach oben geschafft haben, im Tennis - dem "weißen Sport".

"Vati erzählt alle möglichen Geschichten", hat Yetunde Williams einmal gesagt, als ihre beiden berühmten Schwestern in Wimbledon gerade den Filzkugeln hinterherrannten und sie ein britischer Boulevardreporter anrief, um sich nach den Hintergründen der Familiengeschichte zu erkundigen.

Ja, es sei richtig, alle fünf Schwestern hätten sich in Compton ein Zimmer teilen müssen, aber ansonsten solle man das Gerede des Herrn Papa bitte nicht allzu ernst nehmen.

Ja doch, gelegentlich riefen Serena und Venus noch bei ihr an, aber jetzt müsse sie wirklich los; sie habe viel Arbeit mit ihren drei Kindern und dem Frisiersalon.

So weit wie Serena und Venus ist Yetunde nie weggekommen aus Compton/Los Angeles. Zuletzt wohnte die gelernte Krankenschwester im 30 Kilometer entfernten Corona.

Zum Zeitpunkt ihres Todes befand sich ihre Schwester Venus an der Ostküste der USA, Serena war bei Filmaufnahmen im kanadischen Toronto. Sie sei ein Zentrum der Familie gewesen, "unser Kern und unser Fels", ließen die Spielerinnen einen Tag nach dem Tod ihrer Halbschwester mitteilen.

Die Familie spielt in den Erklärungen der beiden oft eine große Rolle.

Einen anderen Trainer als ihren Vater hat weder die 23-jährige Venus noch die zwei Jahre jüngere Serena über längere Zeit gehabt.

Bei wichtigen Turnieren werden die sie stets abwechselnd von Mutter oder Vater betreut und von einem Clan Vertrauter abgeschottet.

Während sich Oracene Williams in der Öffentlichkeit zurücknimmt, tut sich Richard Williams immer wieder mit kuriosen Wortmeldungen hervor.

So riet er Venus beispielsweise, kurz nachdem sie die Spitze der Tennisweltrangliste erobert hatte, den Beruf zu wechseln - "um nicht völlig zu verblöden".

Selbst wollte der Tennis-Papa ein Buch mit dem Titel "The Heart of a Champion" herausbringen, ein Mineralwasser mit dem Namen "Serving Rich", einen Energieriegel "Smash" und eine eigene Homepage, für die er bei jedem Turnier eifrig fotografierte.

Die Projekte scheiterten. Oracene ließ sich scheiden. Trotzdem halten Serena und Venus bis heute zu ihrem verschrobenen Vater - anders als ihre Halbschwester Yetunde.

Die nahm nach der Scheidung den Mädchennamen ihrer Mutter an: Price.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: