Kritik an Strafvollzug in JVA Berlin-Tegel:Bei Tee und Käsebrot

Im Rechtsstaat Deutschland klingen die Vorwürfe ungeheuerlich: Eine gute Woche musste ein Häftling in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel ohne warme Mahlzeit in Einzelhaft verbringen. Der Mann wurde gequält, sagen Mitgefangene. Der Mann sei eine Gefahr gewesen, sagt die Verwaltung.

Laura Hertreiter

Vier Käsebrote und ein Liter Tee am Morgen, vier Käsebrote und ein Liter Tee am Nachmittag. Acht Tage lang ist das die einzige Verpflegung, die Häftling Peter J. in seiner Einzelzelle in der Berliner Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel vorgesetzt bekommt. Durch ein vergittertes Fenster zum Hof ruft er um Hilfe. Da schlagen andere Insassen Alarm. Über die Gefangenenzeitung Lichtblick geben sie eine Pressemitteilung heraus, in der sie J.s Behandlung als Folter anprangern. Nach einer Auseinandersetzung zwischen dem Häftling und mehreren Wärtern habe man ihn in "Käfighaltung" gesperrt und nur noch zweimal am Tag spärlich versorgt.

Lebenslange Haft fuer Rudower Briefbomber

Bekannt wurde er als "Briefkastenbomber": Peter J. (zwischen seinen Rechtsanwälten Eckart Fleischmann (l.) und Hansgeorg Birkhoff) wurde vor drei Jahren wegen versuchten Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte seine zwölfjährige Nichte mit einem Sprengsatz im Postkasten lebensgefährlich verletzt.

(Foto: dapd)

Im Rechtsstaat Deutschland klingen solche Vorwürfe ungeheuerlich. Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz will jedoch von einem Fehler nichts wissen. Peter J. sei mehrere Tage so außer Rand und Band gewesen, dass man ihm Besteck vorenthalten musste, sagt Sprecherin Lisa Jani. Man hätte dem aggressiven 37-Jährigen nicht einmal einen Plastiklöffel geben können, ohne in Kauf zu nehmen, dass er sich oder andere damit verletzt. Und kein Besteck bedeutet in der JVA Tegel: Käsebrot.

Normaler oder brutaler Strafvollzug? Die Aufregung in dem Berliner Gefängnis zeigt, wie fragil die akkurat nach Zeitplänen und Regeln sortierte Welt hinter Gittern sein kann. Wärter und Gefangene stehen sich in einem täglichen Balanceakt zwischen Angst und Autorität, Macht und Gewalt gegenüber. Und manchmal verlieren sie das Gleichgewicht.

Zum Eklat kam es der Senatsverwaltung zufolge, als J. von der psychiatrischen Abteilung des Vollzugskrankenhauses in seine Zelle in der JVA gebracht werden sollte. Auf dem Flur sei er plötzlich ausgerastet, habe brutal auf die Wärter eingeprügelt und vieren von ihnen Prellungen und Schürfwunden zugefügt. "Sechs Beamte konnten ihn kaum bändigen, er war völlig außer sich", sagt die Sprecherin.

Ganz anders die Version der Häftlinge: Laut Lichtblick beobachteten sie die Auseinandersetzung ebenfalls. Verletzte Wärter will keiner von ihnen gesehen haben.

"Extrem aggressiv, absolut unberechenbar"

Wer ist Peter J.? Und wie gefährlich ist er? Vor drei Jahren war der Mann wegen versuchten Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er hatte seine zwölfjährige Nichte mit einem Sprengsatz im Postkasten lebensgefährlich verletzt. Das Attentat hatte eigentlich ihrer Mutter gegolten, J.s Schwester. Und deren Ehemann, für den er eine zweite Bombe in einer Konservendose auf das Dach dessen Autos platziert hatte. Es sollte blutige Rache sein: J. glaubt, beide wären bei ihm eingebrochen und hätten ihn bestohlen.

In der JVA Tegel, die mit etwa 1500 Insassen zu den größten deutschen Gefängnissen zählt, gilt J. laut Senatsverwaltung als besonders schwierig. "Extrem aggressiv, absolut unberechenbar", sagt Sprecherin Jani. In seiner Zelle habe er Briefe geschrieben, in denen er detailreich angekündigt habe, wie er Wärter malträtieren will - weshalb er in psychiatrischer Behandlung gewesen sei. Wie es um seine geistige Gesundheit steht, will die Senatsverwaltung zum Schutz von J. nicht bekannt geben.

Nach der Attacke auf die Aufseher brachte man den 37-Jährigen gefesselt in eine Sicherheitszelle. Dadurch, heißt es, sollen Mithäftlinge und Personal geschützt sein. Es gibt keinen direkten Zugang, Angestellte schieben die Verpflegung zwischen den Gitterstäben hindurch. Die Frage, die sich stellt: Dürfen Häftlinge - egal wie gefährlich sie für sich und andere sind - quasi bei "Wasser und Brot" gehalten werden?

Wenn es nach der Berliner Boulevardpresse geht, hat J. durch seine Tat das Recht verwirkt, wie ein normaler Häftling behandelt zu werden. "Jammer-Post vom Briefkastenbomber", ätzte der Berliner Kurier in einem Bericht über den Protest der Tegeler Gefangenenzeitung. Wo kommen wir denn da hin, wenn sich so ein Häftling über sein Essen beschweren darf? Ja, das ist die Frage. Ein Stammtisch oder eine Stammtischzeitung mag sie stellen. Aber dürfen das auch Justizbeamte?

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