Krisenprävention:Ein Rucksack für alle Fälle?

Lesezeit: 3 min

Die Regierung empfiehlt für Krisenzeiten: horten. Sechs Kilo Brot und Kartoffeln, fünf Kilo Obst, Gemüse - Hülsenfrüchte! Dazu Getränke, 38 Liter pro Kopf. Nur wohin mit dem ganzen Zeug? Ist ein platzsparender Notfallrucksack die Alternative? Was steckt dahinter und vor allem - drin? Ein Test von Tobias Lickes

Nach dem 11. September 2001 haben viele Länder ihre Empfehlungen für vorbeugende Maßnahmen bei plötzlichen Katastrophen wie Terroranschlägen, Hungersnöten, Stürmen oder Hochwasser erweitert.

Der Notfallrucksack mit Zelt und Schlafsack: Was ist drin? (Foto: Foto: Lickes)

So hat das deutsche Bundesministerium für Verbraucherschutz auf seiner Homepage eine Reihe von Empfehlungen und Ratschlägen zusammengestellt, wie sich Bürger zum Beispiel ihren persönlichen Lebensmittelvorrat anlegen können.

Eine Liste der Lebensmittel, die im "Fall der Fälle" bereit liegen sollen gehört ebenso zum Angebot wie Informationen über die "zivile Notfallreserve" und die "Bundesreserve Getreide".

Die Bundesanstalt für Landwirtschaft lagert in großen Hallen die "zivile Notfallreserve": Reis, Erbsen, Linsen, Kondensmilch und Vollmilchpulver. Dieser Vorrat soll in Krisensituationen "vor allem in Ballungsräumen zur Versorgung der Bevölkerung zumindest mit einer täglichen Mahlzeit beitragen."

Der Kalkulator

Der Getreidevorrat des Bundes besteht aus Weizen und Hafer. Er soll im Ernstfall die Mehl- und Brotversorgung aufrecht erhalten. Trotz dieser staatlichen Rücklagen empfiehlt das Bundesministerium auf seiner Homepage:

"Ein ausreichender (Not-)Vorrat an Lebensmitteln für etwa 14 Tage sollte in jedem Haushalt vorhanden sein." Dazu bietet das Ministerium gleichzeitig einen Rechner ("Vorratskalkulator") an, mit dem jeder seinen eigenen Verbrauch ermitteln kann:

In einem Single-Haushalt müssten demnach neben sechs Kilo Brot und Kartoffeln, fünf Kilogramm Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten 38 Liter Getränke gelagert werden - ein schwieriges Unterfangen in einer Großstadtwohnung. Wohin mit dem ganzen Zeug? Vielleicht tut es auch ein platzsparender Rucksack mit den nötigsten Utensilien.

Verschiedene Firmen bieten einen solchen Rucksack für Flucht- und Notfälle an. Doch was steckt tatsächlich hinter solchen Angeboten? sueddeutsche.de hat einen "Fluchtrucksack" getestet.

Ein Rucksack für alle Fälle

Das ist er also, der Ranzen für den Fall der Fälle. Olivgrün, mit Zelt und Schlafsack ausgestattet - alles zusammen kompakt vergurtet - für 400 Euro.

Gespannt, was mich erwartet, ziehe ich den ersten Reißverschluss auf und durchwühle ungeduldig das oberste Fach des Rucksacks. Wer hat denn da einen Ast reingesteckt? Verwundert ziehe ich ein 25 Zentimeter langes, rötliches Hölzchen hervor, versehen mit einem handgeschriebenen Zettel: "Johanniskrautstab".

Wie war das noch? Johanniskraut soll doch bei Depressionen helfen. Bei Katastrophen "wie Hitzewellen, Bränden, Überschwemmungen" oder "Terroranschlägen" also einfach am Johanniskrautzweig nagen - und glücklich sein!?

Ich wühle weiter und finde zwei Einmalfeuerzeuge. "Limited Edition"! Wie passend - die Welt geht unter und ich habe zwei Feuerzeuge in limitierter Auflage. Dazu noch neun Teelichter.

Wer hat's erfunden?

Gepflegtes Äußeres auch in Krisenzeiten: Diese Accessoires des Notfallrucksacks machen es möglich. (Foto: Foto: Lickes)

Apropos anzünden: Wie überhaupt? Man stelle sich folgendes Szenario vor: Trotz Johanniskraut, zwei Feuerzeugen und Teelichtern fühlt man sich - nur einmal angenommen - im Auge des Wirbelsturms noch nicht 100% wohl.

Was könnte die Stimmung also schneller verbessern als ein ordentliches Lagerfeuer? So haben es unsere Vorfahren schließlich auch gemacht. Da die beiden Feuerzeuge trotz aller Bemühen immer wieder erlischen, können mich nur noch die soeben entdeckten "Hurrikan-Streichhölzer" retten. Laut Hersteller sind sie nicht nur wasserfest, sondern auch noch extrem langlebig. Wer hat's erfunden? Die Schweizer - hätte ich mir eigentlich denken können.

Nachdem ich mit handgezählten zwanzig Streichhölzern und den Teelichtern auf meinem Balkon ein kleines Feuerchen entfacht habe, fördere ich einen weiteren Survivor-Gegenstand zu Tage: Eine Wäscheleine, korrigiere, ein "olivfarbenes Kommandoseil", 15 Meter lang, fünf Millimeter dick. Kommando an alle: Wäsche aufhängen!

Die Welt geht unter - Ich sehe dem Ende gepflegt entgegen

Als nächstes entdecke ich einen gelben Nassrasierer, der selbst in krisenfreien Zeiten zentimetertiefe Furchen in das Gesicht des mutigen Benutzers reißt. Nach der Betrachtung eines Stückes wohlriechender "Beauty"-Seife, einer feinen Nagelschere und einem flauschigen Waschlappen ist mir klar:

Wenn die Apokalypse naht - sehe ich gut aus dabei! Selbstverständlich ist auch ein "Zahnpflege-Taschenset" vorhanden. Schaudernd stelle ich fest, das es die Werbung bis in diesen Notrucksack geschafft hat: "Morgens aronal - abends elmex."

Je lauter mein imaginärer Wirbelsturm heult, desto entschlossener grabe ich mich in die Tiefen des Notfallrucksacks. Eine grüne Handaxt, dazu eine blaue Säge.

Alles schön und gut, aber so langsam frage ich mich, wie ich meinen Hunger stillen soll.

Wie aufs Stichwort rollt eine Dose Roggenschrotbrot (500 Gramm) aus dem Rettungsranzen. Wunderbar! Jetzt nur noch schnell mit der Axt öffnen, denn so etwas wie einen Dosenöffner sehen die Überlebensplaner nicht vor, und dann...Moment!

Nach dem Motto das "Beste zum Schluss" entdecke ich sie: Die "köstliche Mahlzeit, die sich von selbst erhitzt". Das erspart mir vorerst das mühselige Zerhacken der Brotdose.

Voller Vorfreude wende ich das Selbstkoch-Paket in meinen Händen. Chili con Carne! Eine Reihe von Sicherheitshinweisen lässt meine Vorfreude jedoch schnell verpuffen: "Direkter Kontakt mit den Augen ist schädlisch" (sic!). Häh?

Na gut, denke ich, das Essen soll ja auch in den Mund - und nicht in die Augen. Doch dann: "Enthält organische Metalloxide und Hydrooxide. Verursacht Ätzungen." Resigniert werfe ich das Paket in mein kleines Balkon-Feuer. Also doch das Brot aus der Dose.

Ganz schon anstrengend, so eine Katastrophe - besonders mit einem Fluchtrucksack.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: