Krater:Einfach weg

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In Thüringen gibt es seit Kurzem ein 40 Meter tiefes Loch. Ausgerechnet auf dem früheren Gelände des Katastrophenschutzes. Warum? Wo passiert so etwas sonst? Und wer zahlt? Eine kleine Kraterkunde.

Von Christian Endt

Wenn es um den Boden unter ihren Füßen geht, sind die Thüringer Kummer gewohnt. Zwar ist das Loch, das sich am vergangenen Freitag in der Kleinstadt Nordhausen auftat, mit 30 Meter Durchmesser und etwa 40 Meter Tiefe ein großes. Aber ähnliche Erdfälle gibt es in dem Bundesland immer wieder.

Schuld ist das, worauf Thüringen gebaut ist: Die dort vorkommenden Gesteinsarten Gips und Anhydrit sind wasserlöslich, werden also nach und nach vom Grundwasser ausgewaschen. So bilden sich im Untergrund Hohlräume, die irgendwann auf einen Schlag zusammensacken und die darüber liegenden Erdschichten hinabreißen. Wann und wo das passiert, kann leider niemand vorhersagen.

Jedenfalls sind die Thüringer mit ihrem tief liegenden Problem nicht allein. Überall auf der Welt gibt es Gegenden, in denen ab und zu Menschen, Autos oder Häuser im Boden versinken. "Sinkholes" sagen die Amerikaner zu den plötzlich entstehenden Erdlöchern, "Tiankengs" heißen sie in China. Die geologischen Mechanismen sind freilich überall verschieden.

Häufig ist der Mensch mitschuldig an der Kraterbildung. In Bergbauregionen wie dem Ruhrgebiet sind die sogenannten Tagesbrüche meist eine Spätfolge der intensiven Kohleförderung. In Thüringen vermuten manche, dass der Abbau von Kalisalzen die natürlichen Prozesse im Boden verstärkt und Erdfälle begünstigt.

Nordhausen, Thüringen

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(Foto: dpa)

Wäre die Natur ein Mensch, man müsste ihr einen Hang zu zweifelhafter Ironie unterstellen: In Nordhausen, Thüringen, rumorte am Freitagabend die Erde, und sie tat dies auf dem ehemaligen Gelände des Katastrophenschutzes. Sogleich war erneut Katastrophenschutz gefragt und zwar ziemlich gegenwärtiger. Messungen ergaben einen Erdfall von mehr als 40 Metern Tiefe. Bis zu einer Millionen Euro könnten Untersuchung und Verfüllung des Lochs kosten, bleiben wird danach mindestens der Verdacht, dass Thüringen besonders häufig betroffen ist. "Es war der 5. Fall in der Größenordnung in den letzten zehn Jahren", sagte der Experte einer Gesellschaft für Umweltgeologie der Thüringer Allgemeinen. In Erscheinung trat das Bundesland auch 2010 mit dem Erdfall von Schmalkalden.

Oregon, USA

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(Foto: AP)

War hier nicht mal Parkplatz? Als an einem Freitag Ende Januar im Südwesten des US-Bundesstaates Oregon ein Loch von 80 Fuß (etwa 24 Meter) Durchmesser im Boden klafft, vermutet selbst ein Sprecher der örtlichen Verkehrsbehörde Zustände cineastischen Ausmaßes: "Es ist ein Monster." Dieses gesellte sich zwar zu einem anderen Sinkloch ganz in der Nähe, gilt aber als das größte örtliche Loch seit 1996. Das große, braune Nichts war im Dezember noch ein kleines, braunes Nichts gewesen und brach sich etwa sechs Wochen später auf der Fläche eines Parkplatzes Bahn, zwischen einem Diner und einer Tankstelle; verletzt wurde niemand, auch Fahrzeuge wurden nicht verschluckt. Allerdings musste ein Teil der direkt daneben verlaufenden Autobahn für längere Zeit gesperrt werden.

Witten, Nordrhein-Westfalen

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(Foto: picture alliance / dpa)

Denkt man an NRW, kommt einem als erstes der Karneval in den Sinn - und mit ihm tausend Abgründe. In diesem Fall ist der Krater jedoch ein profaner: etwa sechs Meter breit und ebenso tief. Aufgetan hat er sich an einem Abend im Juli 2014 in Witten. Die Nachbarn hatten Glück, dass keines ihrer Häuser im Erdboden versank. Trotzdem mussten die direkten Anwohner ins Hotel ziehen, bis Fachleute die offene Stelle gesichert hatten. Für die Übernachtung kam freundlicherweise ein Bergbaukonzern auf - in der Gegend des südlichen Ruhrgebiets wird seit dem 18. Jahrhundert Kohle abgebaut, was als Ursache für die immer wieder auftretenden Erdlöcher gilt. Zuletzt wurde die A43 zwischen Witten-Herbede und Sprockhöve 2014 tagelang gesperrt, da sich unter dem Teer Löcher auftaten.

Guatemala-Stadt, Guatemala

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(Foto: REUTERS)

In Guatemala-Stadt kamen vor sechs Jahren 15 Menschen ums Leben, als nicht nur ein Haus, sondern eine komplette dreistöckige Fabrik im Erdboden versank. Der gewaltige Krater war 90 Meter tief. Experten gehen davon aus, dass gleich mehrere Ursachen zusammenkamen. Erstens: Die Stadt ist auf lockerem Vulkangestein errichtet. Das gibt leicht nach. Zweitens: Das Abwassersystem ist marode; ein Leck dürfte den Untergrund zusätzlich aufgeweicht haben. Am Tag des Unglücks zog, drittens, ein tropischer Sturm über das Land und brachte starken Regen, der schließlich die Katastrophe auslöste. In Guatemalas Hauptstadt kommt es immer wieder zu Erdrutschen. 2007 gab es bei einem ähnlichen Ereignis fünf Tote, mehr als tausend Menschen mussten damals evakuiert werden.

Andernorts wird dem Boden über Jahre viel zu viel Wasser entnommen, so dass der Grundwasserspiegel sinkt und der Boden schließlich einsackt. In der chinesischen Provinz Guizhou gab es daher in den vergangenen Jahren Hunderte Erdfälle. In China liegt auch das größte Sinkhole der Welt: Der sogenannte Himmelstrichter in der Provinz Chongqing ist 662 Meter tief und 626 Meter breit. Dieser Krater entstand allerdings nicht über Nacht, sondern formte sich über Tausende Jahre. Zumindest in diesem Fall kann der Mensch wohl als unschuldig gelten.

Schneller ging es vergangenen August in der chinesischen Provinz Heilongjiang, wo ein paar Quadratmeter Bürgersteig innerhalb weniger Augenblicke im Boden versanken. Vier Menschen, die an der Stelle gerade auf den Bus warteten, stürzten hinein, drei von ihnen wurden schwer verletzt. Irgendjemand hat das Ereignis mit dem Handy gefilmt, das Video kursiert im Internet.

Bleiben die Kosten. Wer zahlt, wenn das eigene Haus plötzlich vom Boden verschluckt wird? In Deutschland sind Schäden durch Erdfälle in der Regel nicht von der Gebäudeversicherung gedeckt. Wer sich absichern will, muss separat eine Elementarschadenversicherung abschließen. Die schützt auch vor anderen Naturereignissen wie Hochwasser oder schweren Stürmen. Die Höhe der Versicherungsprämie kann allerdings davon abhängen, wie groß das Risiko am jeweiligen Wohnort ist.

Nordhausen, Thüringen

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(Foto: dpa)

Vier Krater, die Schlagzeilen gemacht haben: In Nordhausen in Thüringen hat sich am Freitag ein 40 Meter tiefes Loch aufgetan.

Oregon, USA

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(Foto: AP)

In Oregon, USA, hat ein 24 Meter tiefes Loch Ende Januar einen ganzen Parkplatz verschluckt.

Witten, Nordrhein-Westfalen

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(Foto: picture alliance / dpa)

Im Juli 2014 ist die Erde im Vorgarten zweier Wohnhäuser im nordrhein-westfälischen Witten aufgerissen - die Gebäude wurden dabei nicht beschädigt.

Guatemala-Stadt, Guatemala

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(Foto: REUTERS)

Fataler der 90 Meter tiefe Krater, der vor sechs Jahren in Guatemala-Stadt 15 Menschen Menschen das Leben kostete.

© SZ vom 23.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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