Krach, schnurr, dröhn:Der Klang der Dinge

Lesezeit: 5 min

Wie Sound-Designer versuchen, Kekse und Rasierapparate begehrenswert zu machen.

Von Martin Zips

Ein Keks muss krachen. Ein Damenrasierer muss schnurren. Ein Motor muss dröhnen. Warum eigentlich? Weil es der Mensch so will. Dröhnende Damenrasierer oder krachende Motoren würden sich schlichtweg nicht verkaufen. Der Sound ist wichtig.

(Foto: Grafik: Dimitrov)

Früher konzentrierten sich Industriedesigner auf die Eleganz in den Formen von Kühlschränken, Toastern und Haartrocknern. Auf die Optik. Heute sitzen Akustik-Experten, die Vivaldis des Alltags, gleichberechtigt neben ihnen. Und da der Mensch Jahre seines Lebens im Auto verbringt, liegt ihm der individuelle Klang seines Fahrzeugs naturgemäß besonders am Herzen.

Klar, dass die Türen des neuen Q4-Geländewagens von Alfa Romeo wesentlich herber ins Schloss fallen als die eines viertürigen Mittelklasse-Seat. Und dem Motor des neuen Ferrari F430 hört man seine gut 500 PS selbstverständlich an - auch dafür haben Sound-Designer gesorgt.

"Es gibt kaum noch Produkte auf dem Markt, deren Geräusche nicht von Technikern gecheckt und verbessert wurden", sagt Friedrich Blutner, Chef der sächsischen Firma Synotec Psycho-Informatik, die Geräuschbilder von Produkten für die Industrie testet und gestaltet.

"Jedes Surren, Klappen und Röhren koppeln wir sofort mit einem positiv oder negativ besetzten Bild", meint Blutner, der neben Knackwurstproduzenten auch Bierbrauer berät. "Je schroffer der Übergang vom Flaschenbauch zum Flaschenhals, desto freundlicher das Glucken des Bieres beim Einschenken." Statt gluck, gluck, gluck fordert Blutner: Glück, Glück, Glück.

Für Autotüren wiederum gilt: "Ein dunkles, warmes Klacken spricht das Herz an, vermittelt Solidität. Wenn etwas scheppert, wirkt das billig." Das Schlimmste, was einem Produkt passieren kann, sei, "dass es nicht konsistent klingt", warnt der frühere Ingenieur des DDR-Kombinats Musikinstrumente und Kulturwaren. "Das Stammhirn sendet umgehend eine Alarmbotschaft aus - der Rezipient fühlt sich verschaukelt."

Mindestens fünf Prozent der Entwicklungskosten eines neuen Luxusfahrzeugs, so wird geschätzt, gehen ins Sound-Design. Nichts bleibt dem Zufall überlassen: Ist die Autotür dicht isoliert, wird die Luft beim Einschwenken abrupt gequetscht. Das klingt dann sportlich. Ist die Dichtung aber so verlegt, dass die Luft verzögert entweicht, so klingt der Türschlag weich und zuverlässig wie das Schließen eines schweren Tresors.

Für einen guten Sound braucht es eben gute Ideen. Das Scheppern des "Star Wars"-Laserschwerts war schließlich auch nichts anderes als ein im Tonstudio bearbeiteter, stinknormaler Hammerschlag auf Antennendraht.

"Wir waren die erste Autofirma, die Wert auf Sound legte", versichert Jürgen Pippig von Porsche in Stuttgart. Seit den 60er-Jahren tüftele man bereits an Motor- und Auspuffgeräuschen. Heutzutage entwickeln bis zu 40 Spezialisten beispielsweise Anlassergeräusche im Tonstudio. "Sportlich, aber nicht prollig. Kräftig, aber nicht zu laut", lauten die Vorgaben. Bei BMW untersuchen über 100 Angestellte in den Abteilungen Akustik und Schwingungstechnik das Geheimnis guter Klänge.

Vorbei die Zeiten, da mit Mikrofonen, Modulen und Lautsprechern Lärm und Gegenlärm in der Fahrgastzelle kompliziert miteinander verrechnet wurden. "Das war in den 90ern", sagt Gerhard Thoma, Leiter der Akustikprojekte bei BMW. "Heute setzt man wieder auf echte Geräusche." Das Klicken des Blinkers, das Wischen des Scheibenwischers, das Dröhnen des Motors - viel ließe sich da technisch noch optimieren. Doch das Ohr des Kunden wünscht Authentizität.

Vom Keks bis zum Porsche - es gibt kaum ein Produkt, dessen Geräusch nicht von Technikern gecheckt und verbessert wird. (Foto: Foto: dpa)

Selbst beim Warnton setzt Thoma auf einen ganz realen Vibrafonakkord - alles andere sei "japanisches Geschepper", meint er. Auch die Stimme des Navigationssystems ist von ergreifender Natürlichkeit. Während aufwändiger Castings habe man eine "freundlich empfehlende Sekretärinnen-Stimme gefunden, die auch Widerspruch zulässt".

Intelligent, damenhaft, nicht herrisch - so mag es der Sportwagenlenker. "In einigen Stimmen schwingt so fürchterliches Gutmenschen-Geschwätz mit", sagt Thoma. "Das kann einem auf die Nerven gehen, wie täglicher Old-Spice-Tee."

Um Autogeräusche jedenfalls so echt wie möglich untersuchen zu können, haben die BMW-Akustiker sich einen Simulator gebaut. Das Trommeln des Regens auf das Autodach, der Fahrbahnbelag, die Aufhängung des Motors, der Auspuffklang, selbst der Duft und das Krachen der Ledersitze - alles wird hier simuliert und analysiert.

Auch bei Daimler-Chrysler untersuchen Psychologen und Ingenieure, was den Mercedes-Fahrer in seiner Überholfreude stören könnte - Lichtreflexe auf der Windschutzscheibe, kratzige Sitzbezüge, ätzende Nebengeräusche. Den Forschern könnte es so gehen wie der Titelheldin von Stewart O'Nans gruseligem Roman "Speed Queen": Die Frau erkennt die Marke der Autos schon von Weitem am Geräusch. Déformation professionelle.

Vielleicht stimmt es ja, dass nun das Zeitalter des Hörens angebrochen ist. Vielleicht ist der hörende Mensch sogar der bessere, feinfühligere. Fähig, sich auf andere einzulassen, andere zu achten. Nicht Opfer vielfältiger optischer Reize, die ihn zwar stimulieren, aber auch ruinieren können. Bisher war die Geschichte des Menschen vornehmlich eine Geschichte des Sehens.

In der aristotelischen Metaphysik heißt es, Sehen sei die Grundvoraussetzung für Einsicht und Erkenntnis. Die neuplatonische und mittelalterliche Lichtmetaphysik war eine wahre Orgie der Sichtbarkeit, und auch die christliche Metaphysik interpretiert das göttliche Wort beinah ausschließlich in visuellen Metaphern.

Leonardo da Vinci nannte das Sehen - nicht das Hören - "göttlich", und auch Aufklärung wie Moderne spielen ständig mit den Begriffen Licht und Sichtbarkeit. Heute noch verrät die Sprache die allgegenwärtige Dominanz des Sehens: Wenn einer Visionen hat, so gilt er als Vordenker. Hört jemand aber Stimmen, so ist er auf dem besten Weg durchzudrehen.

Diese Konnotationen könnten im akustischen Zeitalter bald ausgestorben sein. Schon längst ist das fiepende Handy einer Art mobiler Musikbox gewichen. Anstelle von blechern tönenden Fernsehern finden sich in Deutschlands Wohnzimmern nunmehr voluminöse Dolby-Surround-Heimkinos. Bereits das Klicken der Lichtschalter signalisiert Verlässlichkeit.

Geschirrspüler klappern nicht mehr, sie rauschen wie ein Gebirgsbach. Und ist das Programm einer modernen Waschmaschine beendet, so wartet der Mensch heute vergeblich auf ein klackendes Schaltgeräusch. Schaltgeräusche irritieren nur - das weiß man im akustischen Zeitalter. Schaltgeräusche könnten Indiz für eine Fehlfunktion sein.

Selbst vor Keksen und Rasierern machen Sound-Designer nicht Halt. Bei Deutschlands umsatzstärkstem Hersteller von Süßgebäck etwa versuchen Forschungsleiter Heinz-Dieter Lechte und sein Mitarbeiter Paul Dahlke Kekse mit einem eigenen Bahlsen-Klang auszurüsten. Jedes Jahr essen die Deutschen ja gut sechs Kilogramm Gebäck. Da isst das Ohr selbstverständlich mit! Während alte Leute eher "schwach knusprige Mürbekekse" wie das Bahlsen-Kipferl schätzten, reize junge Menschen der "kurze helle Knack", heißt es bei Bahlsen.

Dennoch bleiben individuelle Unterschiede: So klingt in einem kleinen Kopf der Keks-Biss anders als in einem großen Schädel. Deshalb sind bei einigen Süßwarenherstellern Apparate im Einsatz, die unterschiedliche Gebissgrößen simulieren können.

Rasierer für den Mann und Ladyshaves für die Frau wiederum mögen zwar identische Funktionen haben - sie klingen aber vollkommen anders. Bei der Firma Braun fand man heraus, dass leise Rasierer beim Verbraucher gar nicht beliebt sind. Der Rasierapparat soll dem Mann seine Männlichkeit bestätigen, das Schneidegeräusch muss daher gut hörbar sein.

"Männer wollen ein ausgeprägtes Prazzeln hören. Diese Schneidegeräusche helfen, noch unzureichend rasierte Stellen aufzuspüren", sagt Wolfgang Brey, Sound-Designer bei Braun. Das Geräusch eines Ladyshaves hingegen sollte gedämpfter klingen. Ein diskreter Ton suggeriert eine sanfte Haarentfernung der Damenbeine. Prazzeln ist hier verpönt.

Doch Vorsicht: Jede Zeit hat ihren Sound. Als eine Firma in den 80er-Jahren eine lautlose Thermo-Schreibmaschine auf den Markt brachte, hatte sie den Klang der Zeit verkannt - das vertraute Klappern, Knarren, Klingeln. Die lautlose Schreibmaschine wurde zum Flop. Sie war ihrer Zeit viel zu weit voraus.

© Süddeutsche Zeitung vom 29. Oktober 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: