Kommentar:Raketen fürs Volk

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Warum China einen Mann ins All schießt.

(SZ vom 15.10.2003) - China schießt einen Mann ins All. Warum? Einfach die Volkszeitung lesen, da steht ausnahmsweise alles drin: "Bemannte Raumfahrt ist ein Symbol für die Stärke einer Nation und ein großer Schub für das Prestige eines Landes", stimmt der Leitartikler die Leser auf das große Ereignis ein. Deng Xiaoping wird zitiert, ohne ein Raumfahrt-Programm könne China nie "den Status einer der großen Mächte dieser Erde" erlangen.

Aber das ist nicht alles. "Die bemannte Raumfahrt hat große militärische Implikationen, die man nicht ignorieren darf", fährt der Kommentator des Partei-Sprachrohrs Volkszeitung ungewöhnlich offen fort, und freut sich über künftige militärische Aufklärungsmissionen. Nicht umsonst untersteht Chinas Raumfahrt-Programm dem Militär.

Nationales Prestige und militärischer Nutzen - Beobachter werden nun streiten, was von beidem Hauptmotiv und was Nebenprodukt ist, wenn die ShenzhouV ("Götterschiff") startet, wahrscheinlich an diesem Mittwoch, spätestens aber am Freitag dieser Woche. Dass erfolgreiche Raumfahrtprogramme beides zu liefern vermögen, ist unumstritten.

Mehr Streit gibt es da schon um die Frage, welchen Nutzen die horrend teure bemannte Raumfahrt hat. Viele ihrer Verfechter sagen: Vielleicht macht sie keinen Sinn (ökonomisch) - dafür stiftet sie welchen (politisch-psychologisch). Damals, als die Sowjetunion und die USA auch um die Herzen und Hirne der Menschen kämpften, da waren es Bilder von unheimlicher Macht: Jurij Gagarin, der als erster Mensch im All schwebte, Neil Armstrong, der für uns alle seinen kleinen Schritt auf den Mond tat.

Jetzt also ein Chinese - 42 Jahre später. Es waren mittlerweile andere schon im All, lange vor den Chinesen: ein Deutscher, ein reicher Tourist, ein Mongole. Kann es heute also noch der Triumph sein, den die Parteipresse herbeischreiben möchte? Als Bild, als Signal wird die Mission des "Götterschiffs" - so sie denn den Taikonauten wieder lebend herunter zur Erde bringt - zumindest in Asien ihre Kraft entfalten: China ist vielleicht noch längst nicht da, wo die USA sind, aber es ist zumindest euch voraus.

Der Deutsche, der Mongole, sie flogen im Huckepack ihrer Alliierten. China hingegen wird weltweit erst die dritte Nation sein, die in der Lage ist, selbst einen Menschen ins All zu befördern.

Aber zu welchen Kosten? Lohnen die mindestens zwei Milliarden Dollar, die China im Moment jährlich ausgibt für dieses Programm? Eine Summe, die sich vervielfachen wird, wenn all die Träume wahr werden, die in den Köpfen von Chinas Raumfahrt-Gemeinde herumspuken: eine eigene Weltraum-Station, dann die Expedition auf den Mond, später der Mars...

Trunken in Vorfreude

Manche der Ingenieure scheinen geradezu trunken in Vorfreude, und sie können es leicht sein, wissen sie doch die Politik hinter sich: China schießt vor allem deshalb einen Mann ins All, weil die Kommunistische Partei es will, und vielleicht noch mehr um des Respektes des Auslandes willen.

Vor allem aber handelt die Führung mit Blick auf das eigene Volk: Der Ausbruch nationalen Stolzes soll direkt umgemünzt werden in Anerkennung für die Partei, die China groß und stark macht. Bezeichnend vielleicht, dass die Rakete nicht - wie vom Ausland erwartet - zum Nationalfeiertag startet, sondern zum Abschluss einer Tagung des KP-Zentralkomitees. Es feiert die Partei.

Es ist die Führergeneration um den alten Jiang Zemin, die das "Götterschiff" auf den Weg geschickt hat. Diese Männer sind Ingenieure, die aufgewachsen sind in dem Bewusstsein der Schwäche und der Demütigung Chinas, und zwar in einer Zeit, da "Wissenschaft und Technologie" als Wundermittel für die Genesung des Landes galten. Ihre Wirtschaftspolitik hat China tatsächlich erstaunlich weit vorangebracht.

Gleichzeitig darf man nicht vergessen: Diese Herrscher regieren als Diktatoren, und haben eine Schwäche für unsinnige Prestigeprojekte und gigantische Denkmäler ihres großartigen Wirkens. Darüber vergessen sie gerne, was ihr Volk wirklich bräuchte.

Da wäre das verrottete Gesundheitswesen, das China einen beschämenden hinteren Platz im internationalen Vergleich beschert, weit hinter anderen Entwicklungsländern. Oder, als naheliegendes Beispiel: das Bildungswesen. Der Chinese im Weltall soll zeigen, wie weit es China technologisch gebracht hat. Hilft das den Millionen Bauern, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken können, weil sie das Schulgeld nicht aufbringen?

Chinesische Erzieher nennen das Bildungswesen, vor allem auf dem Land, eine Schande. In die Schlagzeilen kommt es jedoch immer nur bei schrecklichen Vorfällen wie jenem in Jiandxi: Dort explodierte ein Schulhaus, weil die Kinder Feuerwerkskörper montieren mussten, um ihre Lehrer zu bezahlen. Dutzende Schüler starben. Warum ist die Situation so gravierend? Weil Chinas Regierung noch immer nicht so viel für die Bildung ausgibt, wie sie ihrem Volk schon vor Jahren versprochen hat.

Vor 42 Jahren schickten die Sowjetunion und die USA je einen Menschen ins Weltall. Die Nation, die ihnen nun nacheifert, ist mit keinem der beiden Staaten vergleichbar. Wenn sich aus den Vorbildern dennoch eine Lektion ableiten lässt, dann diese: Die Geschichte ist nicht gnädig mit jenen Regierungen, die ihre Prioritäten falsch setzen.

© Von Kai Strittmatter - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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